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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

sehen. Nur Herr Shmidt, der eine Missionär, blieb mit einem Hottentotten, welcher ihm gewöhnlich als Dolmetscher diente, zurück, um erst abzuwarten, ob der Tiger wieder zurückkommen werde, ehe er sich noch den Blicken der übrigen Jagdgesellschaft gezeigt; denn es ist selten, daß der Tiger flieht. Wenn er durch Schüsse aufgeschreckt wird, läuft er gewöhnlich eine Strecke, bis er in ein sicheres Versteck kommt, von dem aus er bequem seinen Sprung gegen den Verfolger ausführen kann. Nach und nach verhallte der Lärm der Jagd. Die letzten fernen Töne wurden überrauscht durch die sich sanft bewegenden Wipfel der mächtigen Bäume und überschrien durch die aus ihrer Morgenruhe aufgeschreckten Vögel, die Afrika’s Wälder in so reicher Anzahl beleben. Shmidt und sein Hottentotte bogen endlich in eine Schlucht, die vom wüthenden Wasser im Frühjahr gerissen war und selten von einem menschlichen Fuße betreten ward.

Plötzlich schienen sich die starren Augen des Hottentotten zu vergrößern, seine Lippen bebten, und kaum vermochten sie den ängstlichen Ausruf: „Kaïffau! Kaïffau!“ (Tiger, Tiger!) auszusprechen. In demselben Momente wurde der Gegenstand seines Schreckens sichtbar; sprang mit zwei Sätzen auf den Hottentotten zu und zerriß ihm mit einem Schlage seiner mächtigen Tatze das ganze Gesicht. Shmidt legte kaltblütig seine Flinte an, um den gefährlichen Schuß gegen die Engumschlungenen zu wagen; aber der Tiger, welcher wohl ahnen mußte, welcher von Beiden sein gefährlicherer Feind sei, verließ den Hottentotten und sprang auf Herrn Shmidt los. Dieser drückte zwar sein Gewehr ab, aber fruchtlos, und stand nun unbewehrt dem gräßlichen Feinde entgegen, nur seiner natürlichen Kraft, die allerdings eine fast übermenschliche war, und dem Beistande Gottes vertrauend. Schon war der Tiger auf ihn losgesprungen. Herr Shmidt parirte den mächtigen Biß, welchen der Tiger ihm zudachte, mit dem Ellenbogen seines linken Armes, den er so tief als möglich in des Tigers Rachen drückte; mit dem rechten Arm umschlang er den Tiger und drückte ihn krampfhaft fest an sich. Dieser dagegen zerfleischte mit den scharfen, über seine Schultern geschlagenen Tatzen ihm den Rücken, während er mit seinen Hinterfüßen ihm die Beine so heftig zerkrallte, daß Shmidt die Kraft einen Augenblick vor Schmerz verlor und rücklings fiel. In dieser bedrängten Lage wollte er seine Kraft nicht durch unnützes Hülferufen verschwenden, doch schrie er dem Hottentotten zu, diesen Augenblick zu benutzen, um den Tiger, den er von unten festhielte, von oben anzugreifen. Der Hottentott aber stand mit schrecklich zerfleischtem Gesichte blutend da, und konnte wegen des überströmenden Blutes von dem furchtbaren Kampfe nichts sehen. Als Herr Shmidt merkte, daß von da aus keine Hülfe zu erwarten, sondern er ganz allein auf sich angewiesen sei, versuchte er zuerst den Tiger unter sich zu bekommen, weil er fühlte, daß er nicht mehr lange mit der einen Hand festzuhalten im Stande sein würde. Einige mächtige Anstrengungen wollten nicht gelingen; die Kraft der Verzweiflung, die Gewißheit des Unterganges, wenn er noch kurze Zeit zu unterst bliebe, veranlaßten Shmidt zu einer letzten, krampfhaften Wendung. Der Tiger widerstand mit aller Gewalt, aber Shmidt bohrte seinen zerfleischten Fuß in die Erde, ließ den umschlungenen Tiger los, faßte ihn blitzesschnell an die Kehle und drehte ihn mit kraftvollem Drucke herum, daß im nächsten Augenblicke der Tiger rücklings auf der Erde lag. Shmidt fühlte sich sehr erleichtert. Durch die Kraft, mit welcher er dem Unthiere die Kehle zudrückte, verhinderte er dasselbe am Beißen und zog ihm nun seinen linken Arm aus dem Rachen. Dieser war leider kampfesunfähig geworden, denn der Tiger hatte ihm die Ellenbogenknochen vollständig zermalmt. So viel besser auch seine jetzige Lage war, so fühlte er doch, daß er den übermächtigen Anstrengungen des Tigers nicht mehr lange widerstehen können werde, um so mehr, als derselbe ihm Rücken und Seiten auf die schmerzhafteste Weise zerkratzte.

Als er seine Kräfte schwinden fühle, versuchte er einen letzten Angriff auf den Tiger. Er zog langsam das rechte Knie in die Höhe und setzte es dem Tiger in die Bauchhöhle. Als diese Manipulation bewerkstelligt war, ohne daß die Bestie diesen Augenblick benutzte, um ihn abzuwerfen, erhob er sich zu einem mächtigen Drucke. Der Tiger kreischte laut auf und schlug wüthend mit seinen Vordertatzen. Herr Shmidt verdoppelte nun seine Anstrengung: mit der Hand preßte er die Kehle, mit dem Kniee die Bauchhöhle so gewaltig, daß der Tiger sein lautes, die Wälder erschütterndes Gebrüll ausstieß. Dies hörte die Jagdgesellschaft, die sich nach den verschiedensten Richtungen zerstreut hatte, um den unsichtbar gewordenen Feind aufzusuchen. Alle eilten jetzt dem Gebrülle zu. Wenige Augenblicke später sprang der Missionär Eberstein über die nächsten Busche und sah mit Entsetzen den grauenvollen Kampf. Doch es keine Sekunde zu verlieren, Shmidt’s Augen traten aus ihren Höhlen hervor – es war augenscheinlich, daß er die letzten Fibern anstrengte, daß er in der nächsten Minute loslassen mußte und dann von der grimmigen Bestie in tausend Stücke zerfleischt worden wäre. In diesem entscheidenden Momente krachte ein Schuß – der Tiger, durch das Gehirn getroffen, streckte sich. Missionär Eberstein war herangesprungen, hatte die Büchse über seines Freundes Schulter gelegt und den gräßlichen Kämpfer mitten durch’s Auge getroffen. Shmidt lag ohnmächtig auf der Leiche des furchtbaren Tigers, mit welchem er über eine halbe Stunde gerungen hatte. Unterdessen waren die Uebrigen alle herzugekommen und standen staunend um den kühnen Sieger, der jetzt mit Blut übergossen auf seinem Feinde schlummerte. Eine Laubbahre wurde geflochten, auf welcher Shmidt neben dem erlegten prachtvollen Tiger im Triumphe hereingetragen wurde. Doch währte es lange, bis er sich wieder erholte; sein linker Arm konnte nicht geheilt werden. Das Fieber ergriff ihn so stark, daß er Afrika verlassen, und seine Genesung auf vaterländischem Boden, in seinem theuren Deutschland, abwarten mußte. Da lebt er denn noch jetzt, und sieht mit tiefer Rührung auf einige Ueberreste jenes Tigers, den er ausgestopft mitbrachte, welcher aber jetzt sehr von den Motten zerfressen ist. Er ist wieder frisch und munter geworden, und zur Erinnerung an jenen denkwürdigen Kampf nennt man ihn „Tiger-Shmidt.“




„Aus der Natur“ lautet der bündige Titel eines seit 1852 bei Ambr. Abel in Leipzig erscheinenden Sammelwerkes, „die neuesten Entdeckungen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften“ darbietend. Wir halten das Unternehmen für ein bedeutendes und glauben verpflichtet zu sein, die Aufmerksamkeit derjenigen Leser der Gartenlaube darauf zu lenken, für welche ein den Stoff erschöpfende und höhere Auffassungsgabe erheischende Darstellung die geeignete ist. Ohne im gangbaren Sinne des Wortes ein Volksbuch zu sein, noch auch sich als ein solches anzukündigen, glauben wir doch, daß im Volke eine nicht unbedeutende Schicht bestehe, welche den Leserkreis dieses Buches bildet und welche Beachtung ihres Bedürfnisses verlangt und verdient. Hiermit wollten wir keinesweges gesagt haben, daß die Artikel, deren achtundzwanzig die bis jetzt erschienenen fünf Bände füllen, in gelehrter dem Uneingeweihten unzugänglicher Sprache geschrieben seien; im Gegentheile ist die Sprache durchaus, namentlich die der Artikel aus dem Bereiche der Physik, eine angenehm lesbare und ohne Gesuchtheit elegant gebauete. Dem mit den Persönlichkeiten der Wissenschaft und der Oertlichkeit Vertrauten ist es nicht schwer, einige und zwar die bedeutendsten der durchgängig ungenannten Verfasser zu errathen. Es sind anerkannte Meister der Wissenschaft und daher ihre Artikel den Leser auf den neusten Stand ihres Wissenschaftsgebietes stellende. Wir würden aber dem Unternehmen, welches wir gern in seiner ganzen Verdienstlichkeit in weiten Kreisen anerkannt wissen möchten, keinen Dienst erweisen, wenn wir hier einen Mangel desselben verschweigen wollten. Uns wenigstens erscheint es als ein solcher, daß keine einzige Illustration beigegeben ist. Würde auch durch solche der Preis des Buches etwas erhöhnt worden sein, so würde doch durch sie in noch viel bedeutenderem Verhältnisse sich der Werth desselben erhöht haben. Es lag nach dem „als Vorwort“ nicht in der Absicht des Unternehmers, den Bekennern der Wissenschaft, welche allerdings die bildlichen veranschaulichungen anderwärts zu suchen wissen, die Fortschritte der Naturwissenschaft „zusammenhängend zu berichten“; sondern Denjenigen, „welche ohne gründlichere Kenntnisse zu besitzen, Interesse an dem Fortschritte und dem gewaltigen Einflusse der Naturwissenschaften auf alle Lebensverhältnisse nehmen.“ Deren ist aber heutzutage eine große Menge; zu diesen rechnet sich jeder Gebildete. Diesen aber – wir scheuen uns nicht, es auszusprechen – kann z. B. die Galvanoplastik und die Befruchtung der Pflanzen ohne Illustrationen nicht zu klarer Anschauung gebracht werden. – Folgendes ist der Inhalt der fünf Bände von je 15 bis 16 Bogen: 1. Bd.: Galvanoplastik; Galvan. Vergoldung: Photographie; Mosens Thaubilder; Generationswechsel im Thierreiche; Flachsbaumwolle. – 2. Bd.: Entstehung der Mineralquellen; Artesische Brunnen; Thierähnliche Bewegungen; Runkelrübenzuckerfabrikation; Eingeweidewürmer; Die Elektricität als Betriebskraft; Die Umdrehung der Erde. – 3. Bd.: das Nordlicht; Gasbeleuchtung; Wasser als Brenn- und Leuchtmaterial; Infusorien. – 4. Bd.: Befruchtung der Pflanzen; die Atmosphäre; Stereoskop und Pseudoskop; Diamagoreismus; Das Steinkohlengebirge. – 5. Bd.: Das Brot und seine Stellvertreter; Einwirkung der Atmosphäre auf den Erdkörper; Vom Dampf; Leidenfrost’s Versuch; Dampfelektricität; Die Säugethiere der Vorwelt.

Als einen besondern Vorzug der fünf Bände „Aus der Natur“ heben wir noch hervor, daß sich ihre Sprache durchweg ernst und gegenständlich und frei erhält von jenen staunensseligen Expectorationen, welche oft, ohne es zu wissen und sogar zuweilen, indem sie das Gegentheil wollen, der Naturwissenschaft eine confessionelle Richtung geben.

R. 

Die neu begründete, durch die königliche Kreis-Direktion koncessionirte

Pflege- und Bildungsanstalt für Geistesschwache und Blödsinnige
zu Meissen auf dem Plossen,

nimmt Kinder und Erwachsene beider Geschlechter auf, sobald der geistige Zustand derselben die Annahme der Besserung zuläßt und nicht mit unheilbarer und schwerer Krankheit (wie Epilepsie), oder zu großer Körpergebrechlichkeit verbunden ist. Sprachlosigkeit ist kein Hinderniß der Aufnahme, wohl aber Taubstummheit.

Der Eintritt in die Anstalt kann zu jeder Zeit erfolgen, sobald durch vorhergegangene Prüfung die Bildungsfähigkeit des Aufzunehmenden festgestellt ist.

Die Aufnahme erfolgt in solchem Falle zunächst mindestens auf ein volles Jahr. Nur wenn bei der Anmeldung über die Bildungsfähigkeit des Aufzunehmenden nicht mit einiger Sicherheit sich urtheilen läßt, kann zum Zwecke eines Versuchs ein kürzerer Zeitraum für den Aufenthalt desselben verabredet werden.

Das Jahrgeld für Heilverpflegung, Erziehung und Unterricht, für Wohnung, Beköstigung etc. wird in jedem einzelnen Falle nach den besonderen Pfleg- und Bildungsbedürfnissen des Aufzunehmenden bemessen und hiernach zwischen den Angehörigen und der Direktion festgestellt.

Auf mündliche der schriftliche Anfragen werden die gedruckten nähern Bestimmungen der Anstalt zugefertigt.

Meissen, auf dem Plossen, den 8. Februar 1855.

Die Direktion. 
Dr. Heinrich Herz. 

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_124.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)