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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

In B… aber hatte sie sich nun für länger niedergelassen, wie hier und da behauptet wurde, zunächst und besonders darum, weil darin ein junger Assessor, Graf Eduard von B…, der Sohn eines Ministers und ein junger Mann von voraussichtlich bedeutender Zukunft wohnte, den sie, wie man ihr abgemerkt zu haben glaubte, vor allen andern Freiern zumeist und am Liebsten ihrer Tochter zum Gatten gegeben hätte.

Dieser Graf Eduard von B…, der in der That ein schöner, talentvoller, für die Zukunft viel versprechender Mann war, hatte die Majorin von Gl…n und ihre Tochter in Wiesbaden kennen gelernt und gleich von Anfang an der Letzteren eine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt, ohne indeß sich von dieser in seinen Bewerbungen besonders ermuthigt zu sehen.

Clotilde, so hieß die Tochter der Majorin von Gl....n mit Vornamen, hatte unter der Erziehung und Sorge ihrer Mutter mehr als billig und zu wünschen war, von dem Wesen und Charakter derselben angenommen. Alles, was Gefühl, zarte Empfindung, kurz gewissermaßen die Poesie, der höchste Reiz des weiblichen Herzens ist, entbehrte sie, dagegen zeigten sich Verstand, Willenskraft und alle jene glänzenden Fähigkeiten des Geistes, welche heut zu Tage so gesucht und beliebt in den gesellschaftlichen Kreisen sind, in einem hohen Grade bei ihr ausgebildet. Sie war bewandert in der Geschichte, eingeweiht in die Naturwissenschaften und überhaupt so obenhin gelehrt, daß sie nicht leicht durch irgend eine Materie in Verlegenheit gesetzt werden konnte. Sie las politische Schriften mit einem offenen Verständniß, und Bücher über Erdkunde, Astronomie und andere Disciplinen der praktischen und realen Kenntnisse mit so viel Ausdauer und gutem Nutzen, daß sie sich überall in Gespräche über dergleichen Gegenstände einlassen konnte, ohne sich im Geringsten dadurch etwas zu vergeben. Bezeichnend für sie dürfte sein, daß der „Cosmos“ von v. Humboldt ihr zu poetisirend geschrieben schien, wie sie denn auch gern und nicht ohne eine gewisse Ostentation eine entschiedene Abneigung gegen die schönen Künste überhaupt und gegen die Poesie in’s Besondere an den Tag zu legen beliebte.

Graf Eduard von B…, der von dem Allen grade das Gegentheil war, selbst ein wenig malte, große Virtuosität in der Musik besaß, und auch wohl gelegentlich dichtete, konnte ihr deswegen natürlich nicht eben groß imponiren. War er auch schon daneben ein guter Reiter, ein geübter Fechter, Schwimmer und kurz eine ganz ritterliche Erscheinung im modernen Sinne der Welt, so compromittirte ihn doch in Clotilden’s Augen sein Umgang mit allen jenen Künstlern, Dichtern und genialen Leuten, die sie Phantasten zu benennen und oft viel zur Zielscheibe ihres Witzes zu machen beliebte. Auch ihn selbst verschonte sie nicht, und wo sich nur irgend eine Gelegenheit ergab, gegen seine „sentimentalen Neigungen“, seine „romantischen Capricen“ und gegen alles Das zu Felde zu liegen, was sie die unmännliche Empfindelei der Herzen, den Krebsschaden der Zeit, die Verhinderung großer Thaten und Begebenheiten nannte, da that sie es so bitter, grausam und höhnisch, daß Niemand in der Welt zu dem Glauben kommen mochte: es würde je aus ihr und dem so Getadelten ein Paar werden können.

Und dennoch war das im Werk und zwar ganz ernstlich. Die Majorin von Gl…n, die um Alles gern einen Schwiegersohn wünschte, der zu lenken und leiten, mit einem Wort zu beherrschen ging, hielt ihrer Tochter die glänzenden Aussichten Graf Eduards, seinen Rang, seine Fügsamkeit, Milde und Hingebung so vielfach und in so bestechender Weise vor, daß sich diese zuletzt, wenn auch nicht ohne einiges Nasenrümpfen, dazu entschloß, ihn sich als offiziellen Freier gefallen zu lassen.

Was nun Graf Eduard selbst betrifft, so übernahm dieser, trotz der Verschiedenheit, die zwischen ihm und Clotilde herrschte, die ihm zugewiesene Rolle mit allem nur möglichen Eifer und Nachdruck, einmal, weil es von seiner eigenen Familie gewünscht ward, dann aber auch nur aus diesem Grunde, zu seiner Ehre sei es gesagt, zumeist weil er, sonderbar genug, ungeachtet er die Härte und Schroffheit im Charakter und Wesen der jungen Dame sehr wohl erkannte, und obschon er sich zeitweise und bei vielen nicht unwesentlichen Gelegenheiten sehr davon abgestoßen fühlte, dennoch einen keineswegs unbedeutenden Grad von Neigung für sie empfand.

Diese Neigung war so aufrichtig und fest in ihm, daß er, wie in der Welt so auch im Hause der Majorin von Gl...n selbst, nur Auge und Aufmerksamkeit für Clotilde habend, in dem letzteren eine andere, freilich untergeordnete, aber dennoch eigenthümlich hervorragende Erscheinung nicht beachtete, die doch sonst von Jedermann und selbst von den eifrigsten Verehrern Clotilden’s wahrgenommen wurde.

Ganz B…, und darunter besonders die Studenten und Elegants, sprachen von der schönen und reizenden Gesellschafterin der Majorin von Gl…n, einem jungen Mädchen aus Düsseldorf, deren Vater, ein ehedem begüterter Kaufmann, kurz nach achtzehnhundert und achtundvierzig aus Verzweiflung über einen unabwendbaren Bankerott sich das Leben genommen und eine zahlreiche Familie in peinlicher Lage und mißlichen Verhältnissen zurückgelassen hatte. Daß es unter solchen Umständen natürlich war, daß die älteste und die einzige der erwachsenen Töchter, Natalie mit Namen, um der Mutter nicht zur Last zu fallen, in Eile sich nach einer ihrer Erziehung und Bildung nur einigermaßen zusagenden oder mindestens nicht ganz widersprechenden Stellung umsah, wird man begreiflich finden, ebenso sehr wie in Folge dessen die Beeiferung, mit der sie den um jene Zeit vacant gewordenen Platz einer Gesellschafterin im Hause der Majorin von Gl…n annahm.

Natalie Bl…, über die wir etwas eingehender sprechen müssen, weil sie nicht nur eine hervortretende, sondern geradezu eine Hauptrolle in unserer Erzählung abzugeben haben wird, Natalie Bl… war nicht nur in ihrem Schicksal, sondern auch ihrer ganzen geistigen und körperlichen Beschaffenheit nach ein ganz contrastirendes Seitenstück zu Clotilde von Gl…n.

Clotilde mit ihrem festen, herrischen, überall dreist zufassenden Wesen, war hoch, schlank, vielleicht ein ganz klein wenig zu mager, dabei von braunem, nicht allzu üppigen Haar, dunklen, glänzenden, provozirenden Augen, distinguirten Zügen und einer stolzen, durch eine stets ausgezeichnete und etwas „gewagte Toilette“, wie der Salonausdruck heißt, imposant gemachten Haltung. Neben einer Perlenreihe der schönsten Zähne störten nur ein wenig seltsam, vielleicht von dem eigensinnigen Gebrauch kalten Wassers gehärtete, nicht eben schön und keinesweges zart geformte Hände.

Natalie, die etwa zwei Finger breit größer als Clotilde sein mochte, erschien gewöhnlich noch kleiner als diese, einmal, weil sie meist ein wenig in sich zusammengesunken ging, dann aber auch, weil ihre Formen feiner, voller und gerundeter, durch einen äußerst einfachen und unscheinbaren Anzug nicht nur nicht gehoben, sondern man möchte sagen, geradezu beeinträchtigt wurden. Ihre Zähne waren zwar eben so weiß und blendend, wie die Clotilden’s, aber nicht so klein und regelmäßig. Dagegen hatte sie eine so weiße, edel und schön geschnittene Hand, daß die ihrer jungen Herrin durchaus den Vergleich damit nicht aushalten konnte. Ihr Haar war blond und von einer bezaubernden Fülle; ihr Auge groß und blau, von einer herzgewinnenden Milde und Innigkeit des Blicks.

Wenn man Natalie so geschildert im Geist sich vergegenwärtigen mag, so wird man kaum noch nöthig haben, sich sagen zu lassen, daß diesem Aeußeren entsprechend ihr Inneres, Herz, Gemüth und Seele von hingebenster Wärme, zartester Weiblichkeit und aufopfernster Unterordnung waren. Von Jugend auf gewöhnt, Achtsamkeit und Pflege für jüngere Geschwister zu haben, sich fremdem Willen zu fügen, eigenen Wünschen und Verlangen in Rücksicht auf die von Anderen zu entsagen, Leidende und Kranke zu pflegen, war sie ganz und gar zum Typus jener Frauengestalten geworden, die man so vorzugsweise und gern als Deutsche bezeichnet.

War Natalie nun dadurch sowohl, wie durch ihre äußere Erscheinung von Clotilde verschieden, so nahm diese Verschiedenheit noch zu, wenn man das beachtete, was ihre Neigungen und Lieblingsbeschäftigungen ausmachte, und wo sie nun vollends mit ihrer Gebieterin in Zwiespalt stand. Die Gesellschafterin liebte die Musik mit einer Art von Schwärmerei, spielte den Flügel mit einer berauschenden Fertigkeit und sang mit einer Stimme, die ohne Zweifel auch in der Oeffentlichkeit und vor den strengsten Kunstrichtern ihr Glück gemacht haben würde. Schöne Gedichte und Romane las sie gern, politische oder wissenschaftliche Abhandlungen dagegen, wie sie Clotilde mit Leichtigkeit in sich aufnahm und verarbeitete, vermochte sie nur unvollkommen zu fassen und nur zu geringem Vortheil für sich und die Ausbildung ihres Geistes zu verwenden.

Die Tage, die sie in dem Hause der Majorin von Gl...n verlebte, waren, wie man sich vorzustellen im Stande sein wird,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_142.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)