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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Wasser geschleudert zu werden. Es gelang, die halb Erstarrte zu retten.

Ein Strom, der durch einen andern Kappensturz von 110 Fuß Länge entstanden war, wühlte sich in die Mitte eines Bauernhauses hinein und schuf einen Abgrund, der nach und nach die eine Seite des Gebäudes verschlang. Auf dem Boden, wohin sie sich geflüchtet, drohete den Bewohnern zweifache Todesgefahr: während die das Wanken des Hauses an das gähnende Grab mahnte, entwurzelte der Sturm draußen alte riesige Pappeln und schleuderte die Stämme auf das schwankende und seufzende Dach. Acht Häuser wurden auf diese Weile völlig zerstört, und 37 dergestalt verlezt, daß sie dem Einsturze drohen.

Auch die Insel Wilhelmsburg, die Hamburg zunächst liegt, ward völlig überschwemmt, und sind auch hier leider, außer den Verwüstungen an Wohnungen und Ländereien, Menschenleben zu beklagen.

Neuwerk in der Nacht vom 1. bis 2. Januar.

In Hamburg selbst theilten sich die Elemente. Der niedere, von der Fluth überschwemmte Stadtteil hatte von dem Sturme wenig zu leiden; aber in dem höher gelegenen raste er mit einer wahren Beserkerwuth. Während dort das strömende Wasser in Waarenlagern großen Schaden anrichtete, die Leute aus den hier eigenthümlichen Kellerwohnungen und selbst aus solchen trieb, in denen man das Erscheinen des kalten Elements für unmöglich hielt, so daß die sich sicher wähnenden Bewohner plötzlich aus den warmen Betten gescheucht wurden – ließ hier der Orkan seine verheerende Gewalt aus. Am Grasbrook stürzte er den Telegraphenmast und trug die hohen Schornsteine der Lauenstein’schen Wagenfabrik und der Schmilinksy’schen Eisengießerei mit sich fort. In den nach der Windseite gelegenen Häusern drückte er die Fensterscheiben ein, fuhr in die Zimmer, und warf das Geräth durcheinander. Standen die Hausthüren offen, so fuhr er hinein, die Treppen hinauf und sprengte die Dachfenster, die zur Beleuchtung der Treppenhäuser dienen. Aus den Oefen trieb er Flammen und Ruß in die Zimmer. In Hamm riß der ungestüme Gast während des Gottesdienstes das Dach von der Kirche, so daß die Andacht sich in Schrecken verwandelte, und Pfarrer und Gemeinde schleunigst die Flucht ergriffen. Am Billwärderdeich geriet zur gleichen Zeit eine Mühle in Brand; sie ward bis auf den Grund in Asche gelegt.

Auf der Insel Neuwerk, am Ausflusse der Elbe, waren alle Bewohner aus ihren Häusern getrieben. Sie hatten sich mit ihren wertvollsten Sachen auf den alten Leuchtthurm geflüchtet, der allein noch ein sicheres Plätzchen bot. Jahrhunderte lang hatte er Wogen und Sturm getrotzt, und auch in dieser Schreckensnacht hob sich sein glühendes Haupt stolz und fest aus der Fluth empor, hinblickend über das wild empörte Meer, das sich schäumend an seinem ehernen Fuße brach. Während die entfesselten Elemente Schrecken und Verwüstung anrichteten, schützte der Thurmkoloß mit seinen achtzehn Fuß dicken Mauern, an denen die Gewalt der Wogen sich brach, die geängstigten Menschen der Insel, die oben bei den Feuerwächtern saßen. Schreiend umkreisten die Möven die glühende Kuppel, und rannten mit den Köpfen an die zolldicken Glasscheiben, als ob auch sie Schutz suchten.

„Es war eine furchtbare Zeit, die wir dort erlebten,“ erzählte einer der Männer. „Während unten die Wogen krachten und heulten, umraste der Orkan mit Donnergebrüll die Kuppel, so daß es schien, als ob auch unser wohlthätiger Riese endlich erliegen müsse. Heulen, Zischen und Krachen wechselten mit einander ab, und nicht selten erfolgte unter gräßlichem Getöse ein so furchtbarer Stoß, daß wir schaudernd zusammenfuhren, wähnend, unser letztes Stündlein sei gekommen. Aber siegreich ging der eherne Thurmkoloß aus dem grausen Kampfe hervor. Nach einer qualvollen Nacht brach endlich der Morgen an. Aber welch ein Anblick bot sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_169.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)