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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

heiliger Stätte. Ich glaube zu fest an eine allwaltende Vorsehung, als daß ich unser Zusammentreffen in dieser hehren Stunde für ein Werk des Zufalls halten sollte – Amalie, lassen Sie mich Ihnen bekennen, warum ich hier jeden Morgen zu der heiligen Jungfrau bete!“

„Ich errathe es!“ flüsterte sie. „Sie bitten um die vollkommene Kräftigung Ihrer Gesundheit –“

„Dieses Gebet hat die Heilige, die dem Quelle dieses Thales Heilkraft verleiht, bereits erhört, denn ich fühle eine Kraft und ein Wohlsein in mir, daß ich auf ein langes Leben hoffen darf –“

„Nun, mein Herr, um was bitten Sie denn jetzt?“ fragte Amalie leise.

„Darf ich es offen bekennen?“

„Ich weiß nicht, aus welchem Grunde Sie meiner Erlaubniß bedürfen.“

„Nun denn, so will ich Ihnen in Gottes Namen sagen, daß ich die heilige Jungfrau anflehe, sie möge in Ihrem Herzen eine Neigung zu mir erwecken, die mir erlaubt, Ihnen meinen Namen, mein Vermögen und mein ganzes Leben zu Füßen zu legen!“

„Mein Herr! Mein Herr!“ stammelte Amalie in einer reizenden Verwirrung,

„Ach, Amalie,“ rief Herr von Funcal, indem er ihre Hand an sein Herz drückte und einen unbeschreiblich frommen Blick zum Himmel sandte, „ich würde mit rettungslos krankem Gemüthe auf meine Güter zurückkehren, wäre es mir nicht vergönnt, die Hoffnung mit mir zu nehmen, Sie dereinst meine Gattin vor Gott und der Welt zu nennen, und wo fände ich eine würdigere?“ fügte er in frommer Rührung hinzu. „Unsere Herzen sympathisiren in der Hingebung zu Gott und der heiligen Jungfrau – Amalie, es ist nicht zu leugnen, Gott hat uns für einander bestimmt; er hat mich deshalb bisher mit einer an Verachtung grenzenden Gleichgültigkeit gegen das weibliche Geschlecht ausgerüstet, damit ich Ihnen, dem frommen Mädchen, ein reines unbeflecktes Herz zubringen soll. Als ich Sie das erste Mal an der Quelle sah, die nur den Guten Gesundheit giebt, begann die Rinde der Gleichgültigkeit zu schmelzen, und heute ist sie bei dem Strahle Ihres himmlischen Auges völlig verschwunden. Jetzt erkenne ich, was zu meinem Glücke noch fehlt: Amalie, wandeln wir Hand in Hand durch das dornenvolle Leben, beten wir vereint zu Gott, und er wird unsern Pfad mit Rosen schmücken!“

Die junge Dame hatten gesenkten Blicks die begeisterte Rede des frommen Mannes angehört, und es entging dem Lauscher nicht, daß sie auf das wirklich reizende Geschöpf, in dem sich die zarteste Anmuth mit der reinsten Unschuld zu vereinen schien, einen nicht geringen Eindruck hervorgebracht. Eine Dame von Welt, in der sich die Lebenslust noch kräftig regt, würde einen solchen Bewerber, der außerdem noch das Doppelte ihres Alters zählte, mitleidig belächelt haben – Amalie aber schlug züchtig und verschämt die Augen auf, sah gerührt den frommen Liebhaber an, und flüsterte:

„Mein Herr, Ihr bedeutungsvoller Antrag, so hoch er mich auch ehrt, kommt mir so unerwartet, daß ich Ihnen in diesem Augenblicke keine Entscheidung geben kann. Erlauben Sie daher, daß ich mit Gott und meinem Herzen zu Rathe gehe, ich werde mich nicht von Ihnen trennen, ohne das Resultat Ihnen mitgetheilt zu haben. Ich bin eine Waise, meine Aeltern starben früh und hinterließen mir nur ein kleines Vermögen, das ich jetzt zur Kräftigung meiner Gesundheit verwenden muß –“

„Amalie, Sie werden Ihr Vermögen unangetastet lassen! Ich wache über Sie und werde so lange als Ihr Freund für Sie sorgen – –“

„Verzeihung, mein Herr!“ stammelte sie bestürzt.

„O, sie müssen mir gestatten, daß ich die Pflicht des Christen übe!“

Die Ankunft eines Dieners unterbrach das Gespräch. Herr von Funcal bot Amalie den Arm und verschwand mit ihr auf dem Wege nach Spaa. Der Jäger trat aus seinem Verstecke hervor.

„Fritz!“ rief er.

„Gnädiger Herr!“ antwortete der Diener. „Ich warte seit einer halben Stunde bei dem Forsthause.“

„Wo ist der Wagen?“

„Er hält dort auf der Straße.“

Indem der Jäger an den Stufen der Kapelle vorüberging, bemerkte er einen weißen Gegenstand auf der Stufe der Steintreppe, wo die junge Dame gebetet hatte. Er holte ihn – es war ein feines Batisttuch, das ein kleines Damenportefeuille umwunden hielt. Der neugierige Jäger, auf den die unzweifelhafte Besitzerin einen tiefen Eindruck ausgeübt und den Wunsch nach näherer Bekanntschaft angeregt hatte, würde den Fund sofort untersucht haben, wenn ihm die tiefe Dämmerung nicht daran gehindert hätte.

„Ein Anknüpfungspunkt ist gefunden!“ dachte er lächelnd. „Ich bin Fatalist, wie Herr von Funcal - die Vorsehung will, daß ich mit der reizenden, seltsamen Wallfahrerin in nähere Berührung trete.“

Er steckte die beiden Gegenstände in seine Jagdtasche und ließ sich von dem Diener zu dem Wagen führen, der ihn in kurzer Zeit nach seiner Wohnung in Spaa brachte.




II.
Der Spielsaal.

Es war gegen Mitternacht. Das aus elenden Hütten und prachtvollen Hotels zusammengesetzte Spaa erschien wie ausgestorben; ruhig leuchtete der Mond auf die stillen Gassen und leeren Promenaden herab. Die Nacht war schwül und ein fernes Wetterleuchten durchzuckte von Zeit zu Zeit das tiefblaue Firmament, das wie ein sternbesäeter Teppich über dem schmalen Thale hing. Um diese Zeit trat ein Mann aus dem ersten Hotel des Ortes, durchschritt die Straße und eine Seitenallee, und blieb endlich vor einem langen Pavillon stehen, durch dessen mit Jalousien geschlossene Fenster helles Licht blickte. Eine tiefe Stille, wie in der Umgebung, herrschte auch in dem glänzend erleuchteten Gebäude.

Der nächtliche Spaziergänger war Albrecht von Beck, derselbe, den wir als Jäger bei der Marienkapelle erblickt haben. Albrecht war der letzte Sprosse einer edeln ungarischen Familie, das reiche Erbe, das er vor drei Jahren übernommen, sicherte ihm ein freies, unabhängiges Leben, und wir finden ihn jetzt in Spaa, das er aus Neigung zu seinem Sommeraufenthalte gewählt hatte, weil er hier die Zerstreuungen des fashionablen Badelebens zu finden hoffte. Wir enthalten uns, die Vorzüge und Schwächen seines Charakters zu schildern, da sie der Leser aus seinen Handlungen kennen lernen wird. Aber wenn wir jetzt berichten, daß er sich am Eingange des Spielsaales befand, so wolle man nicht etwa glauben, Albrecht folge seiner Neigung zum Spiele; er hatte nur das Hotel verlassen, um sich zu zerstreuen, um seine Gedanken von der reizenden Amalie loszureißen, die auf ihn einen tiefen Eindruck ausgeübt hatte. Die Bewerbung des Herrn von Funcal, der ihr aus frommer, christlicher Nächstenliebe sein Vermögen angeboten, ihr, der nach ihrem eigenen Geständnisse unbemittelten Dame, hatten ihn mit Befürchtungen erfüllt, denen seine schnell erwachte Liebe auch noch die Eifersucht beifügte. Er hielt Herrn von Funcal entweder für einen Narren, für einen Mystiker, oder für einen Gleißner, für einen jener Roué’s, denen keine Maske zu schlecht ist, wenn es sich um die Befriedigung einer Leidenschaft handelt. Und wahrlich, Amalie war wohl im Stande, eine heftige Leidenschaft zu entzünden, sie besaß Jugend, Anmuth und Liebenswürdigkeit genug, um das Prinzip der besten und schlechtesten Handlungen zu sein. Ihr Gebet vor dem Marienbilde war offenbar ein Beweis von ihrem kindlich frommen Gemüthe – sollte Herr von Funcal die Maske der Scheinheiligkeit gewählt haben, um das gute Kind zu bethören? fragte sein Argwohn. Vielleicht! Aber sie ist auch schön genug, um das Herz eines Priesters in seinem Gelübde schwanken zu machen! antwortete die Eifersucht. Wenn nun Amalie selbst eine Abenteuerin wäre? Wenn sie nach dem reichen, frommen Bewerber ihre Angelhaken auswürfe, indem sie die fromme Wallfahrerin spielt? Rechtfertigte das naive Bekenntniß ihrer Armuth diese Annahme nicht? Warum vertröstete sie auf eine entscheidende Antwort? Eine Dame von Takt hätte sich anders benommen. Oder sollte sie wirklich zu dem langen Manne eine Neigung fühlen?

Diese Zweifel, Befürchtungen und Annahmen hatten Albrecht in einen Zustand versetzt, der ihn lebhaft wünschen ließ, daß die Zeit gekommen sein möge, wo er der jungen Dame das Portefeuille überreichen könnte. Er war, trotz der Ermüdung von der Jagd zu aufgeregt, um schlafen zu können. Es gab in der Nacht keine andere Zerstreuung als die, die sich im Spielsaale bot. Albrecht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_178.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)