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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Altersjahr für eine große Menge von Personen beobachtet, wie viel im Laufe des nächsten Jahres davon sterben. Findet man z. B., daß von 1000 30jährigen Personen in einem Jahre 10 gestorben sind, so ist die Wahrscheinlichkeit eines 30jährigen im Laufe des nächsten Jahres zu sterben 10/1000 oder 1/100. Diese Brüche müssen für jedes Alter von der Geburt bis zum höchsten bestimmt werden, wenn man die mittlere Lebensdauer eines Menschen überhaupt berechnen will.

Man sieht aber leicht ein, daß dazu genaue nach dem Alter geordnete Bevölkerungs- und Todtenlisten nöthig sind, welche derselben Zeit angehören müssen.

Die ersteren, nämlich die Bevölkerungslisten, sind aber in früherer Zeit gar nicht vorhanden, während es Todtenlisten schon im vorigen Jahrhundert gab. Erst in der allerneuesten Zeit hat man angefangen, solche nach dem Alter geordnete Bevölkerungslisten entwerfen zu lassen und zwar am Vorzüglichsten in Belgien, wie denn überhaupt in diesem Lande fast nur allein brauchbares Material für die Lebensstatistik zu finden ist. England und unser kleines Sachsen sind nächstdem zu nennen. In allen andern Ländern ist nichts dafür geschehen, oder wenigstens nichts veröffentlicht worden; was im Staub der Archive unter Schloß und Riegel liegt, nützt keinem Menschen etwas.

Nun brauchte man aber zur Lösung vieler volkswirthschaftlicher Fragen, namentlich der, welche bei Renten- und Lebensversicherungsanstalten vorkommen, für jedes Alter die Wahrscheinlichkeiten im Laufe des nächsten Jahres zu sterben, und da es am nöthigen Material dazu fehlte, leitete man sie einseitig nur aus den nach dem Alter geordneten Todtenlisten ab. Hierdurch erhielt man aber ganz falsche und allermeist viel zu große Zahlen, weil man die mangelnden Bevölkerungslisten durch eine unrichtige Hypothese, nämlich der einer stationären Bevölkerung, ersetzen mußte. So kam es denn auch, daß die aus solchen Zahlen bestimmte mittlere Lebensdauer viel zu klein gefunden wurde. Als man nun in der neuesten Zeit, nachdem man Bevölkerungslisten erhalten hatte, dasselbe auf richtigem Wege bestimmte, fand man auch die mittlere Lebensdauer viel größer. Daraus kann aber keineswegs geschlossen werden, daß die Sterblichkeit abgenommen hat, denn es sind wiederum falsche Zahlen dazu benutzt worden. Diese Frage, ob gegenwärtig die Sterblichkeit im Abnehmen begriffen ist, werden einst unsere Nachkommen beantworten. Man wird dann wahrscheinlich auch sehen, daß nach Eintritt eines Minimums wiederum ein Zunehmen stattfinden wird und sofort periodisch, bis endlich andere Ursachen dem Menschengeschlechte ein Ende machen werden.




Militairische Kleinigkeiten.

Nr. 2. Die kriegführenden Mächte.
(Mit Abbildung.)

Rußland umfaßt 343,240 Q.-Meilen: nehmen wir Großbritannien, Frankreich und die Türkei zusammen, mit Einschluß aller Kolonien, so erreicht ihr Gebiet immer erst einen Inhalt von 314,662 Q.-Meilen, was ungefähr 11/12 des Flächenraumes vom russischen Reiche entspricht. – Dasselbe bildet einen ungeheuren Komplex, eine vollständig arrondirte Masse, von welcher die großbritannischen Inseln allein nur den sechzigsten Theil ausmachen. Die Hauptmasse Rußlands jedoch sind seine asiatischen Besitzungen, über 2/3 des Ganzen, über 60,000 Q.-Meilen größer als Europa. – Sind England, Frankreich und die Türkei mit ihren außereuropäischen Besitzungen durch Oceane und Meere verbunden, so ist Rußland in seinen Theilen mehr durch die ungeheuren Flächen, durch den Gebirgszug des Ural, wie durch die klimatischen Verhältnisse getrennt, – und während der europäische Kontinent bis zur Prasna von zahlreichen Verkehrslinien durchkreuzt ist, welche die innere Entwickelung desselben gewaltig fördern, so ist Rußland – ein Glied asiatischen Lebens und Verkehrs – blos durch vier große Handelsstraßen durchschnitten, welche man mit Recht wohl Karavanenstraßen nennen könnte. Wenngleich ein vollständig entwickeltes Kanalsystem dem Verkehr die größte Unterstützung bietet, so ist doch Rußlands Verkehr im Vergleich zu dem seiner Gegner nur 2/25 des Ganzen. Denn wenn Großbritanniens Verkehr die Summe von 100 Mill. Pfund Ster. an Einfuhr und von 180 Mill. Pfund Sterl. an Ausfuhr repräsentirt, Frankreichs Einfuhr 44 Mill. Pfund Sterl. und Ausfuhr 547/10 Mill. Pfund Sterl., der Türkei Einfuhr 12 Mill. Pfund Sterl., Ausfuhr 105/10 Mill. Pfund Sterl., so ist Rußlands Einfuhr nur 166/10 Mill. Pfund Sterl., Ausfuhr 16 Mill. Pfund Sterl., so daß sich seine Handelsbewegungen nur als 2/17 der Großbritanniens ergiebt.

Im Zusammenhange mit der Verkehrsentwickelung steht natürlich die Bevölkerung. Wenn Rußland in Europa eine Durchschnittsbevölkerung von 800 Köpfen auf die Q.-Meile hat, so zählt Großbritannien in Europa 4792 Köpfe, Frankreich 3630, die Türkei 1270 Köpfe auf die Q.-Meile, und bleibt man bei der europäischen Bevölkerung stehen, so repräsentirt die Handelsbewegung Großbritanniens 10 Pfund Sterl., Frankreichs 25/10, der Türkei 19/10, Rußlands 5/10 Pfund Sterl. auf den Kopf. – Die europäische Gesammtbevölkerung von Rußland ist ungefähr 54 Millionen, die von Großbritannien 271/4 Millionen, von Frankreich 351/2, von der Türkei 121/2 Millionen. Vergleicht man die Bevölkerungsdichtheit und die Verkehrslebendigkeit, so könnte man annähernd die Leistungsfähigkeit auf die Q.-Meile bei Großbritannien 48, bei Frankreich 9, bei der Türkei 24/10, bei Rußland 4/10 nennen, – und abgesehen von allen andern Verhältnissen, betrüge sie hiernach für Großbritannien (477,792) 131/4, für Frankreich (87,732) 21/4, für die Türkei (41,294) 11/7, für Rußland (36,046) 1.

Dieser Faktor erleidet durch die Produktionsfähigkeit eines jeden Staates eine bedeutende Abänderung, ingleichen für den speziellen Fall durch die Lage des Landes zum Kriegsschauplatz, – ob nämlich die Leistungsfähigkeit in ihrem vollen Umfange sofort auf demselben in Anwendung kommen kann oder nicht.

Die Produktionsfähigkeit ist annähernd:

Edle Metalle: Eisen:
Großbritannien  80,000 Pfd. 3 Millionen Tonnen.
Frankreich 5000 Pfd. 600,000 Tonnen.
Türkei unbedeutend. unbedeutend.
Rußland 118.000 Pfd. 200,000 Tonnen.
Getreide-Einfuhr: Menschen (Wachsth. d. Bev.)
Großbritannien 3 Mill. Pfd. St. 34/7 % od. jährl. 300,000.
Frankreich 13/4 Mill. Pfd. St. 1/2 % od. jährl. 188,800.
Türkei Ausfuhr: 1/2 Mill.[1] unbedeutend.
Rußland Ausfuhr: 62/3 M. Pf. St. 1/4 % od. jährl. 135,000.

Es ergiebt sich aus Vorstehendem ungefähr folgendes Resultat: Rußland, welches eine bedeutende Masse edler Metalle erzeugt, aber in Bezug des Eisens und der ganzen Eisenindustrie an das Ausland gewiesen ist, hat wohl hinreichende Bevölkerungszunahme, um einen mehrjährigen Kampf führen zu können; da jedoch ein großer Theil seiner Produktion (Getreide etc.) auf den Export gewisen ist, kann es einen längeren Kampf nicht führen, ohne seine inneren Verhältnisse nicht gänzlich zu zerrütten.

Großbritannien und Frankreich, welche nahezu 5/6 der von Rußland erzeugten edlen Metalle selbst produziren, und eine Bevölkerungszunahme von jährlich über 450,000 Menschen nachweisen können, sind in dem großen Vortheil, daß ihre Verkehrsverhältnisse mit Ausnahme einer einzigen Richtung dieselben bleiben, daß sie vollständig unabhängig von jeder fremden Industrie sind, und von überseeischen Märkten das Getreide zu beziehen vermögen, das an ihrem Bedarf fehlt. Sie sind im Stande, einen jahrelangen Krieg zu führen, welcher nicht ohne Resultate sein wird, sobald Führung und innere Organisation die Fehler vermeiden lassen, welche bis jetzt geschehen.

Die Türkei leidet am meisten durch den Krieg, da sie weder edle Metalle noch Eisen in bemerkenswerther Quantität erzeugt.

  1. Die Ausfuhr an Getreide könnte im türkischen Reiche bei nur einiger Entwickelung der vorhandenen günstigen Vorbedingungen auf das 5-10fache gesteigert werden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_200.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)