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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Civilisation und Wildniß.
Skizze von Fried. Gerstäcker.

Ich will die beiden flüchtig mit einander vergleichen, und der Leser mag dann selber urtheilen, ob sich eben die Wilden oder Heiden, indem sie in einen Zustand der Civilisation übergingen, verbesserten, oder ob das Ganze nur – im Wesentlichen dasselbe bleibend – einen andern Namen bekommen hat.

Die Regierungsformen wilder Völker laufen in der Mehrzahl auf erbliches Häuptlingsthum hinaus; nur die australischen Stämme, mit die weitesten zurück in einem förmlichen Urzustand, nehmen das Alter überhaupt als Maßstab an, weltliche Macht und Gerechtigkeit auszuüben, und ihre alten Männer oder burkas gewinnen mit einer gewissen Zeitperiode das Recht, sich die Haut an verschiedenen Theilen ihres Körpers aufzureißen und – Alles zu essen, was vorkommt, während den Jüngern verschiedene Leckerbissen untersagt sind.

Bei den nordamerikanischen Wilden bemalen sich die Häuptlinge auf besondere Weise, und haben auch großentheils irgend eine besondere Tattowirung ihres Stammes, einen Bären, eine Schildkröte, einen Fisch, einen Vogel, auf der Brust eingegraben. Sie dürfen dabei gewisse Federn, meist vom Adler, im Haar tragen – sie arbeiten Nichts, gehen nur zu ihrem Vergnügen auf die Jagd, oder manchmal, aus irgend einer Grille in den Krieg, und bekommen gewöhnlich noch einen schmeichelhaften Beinamen, schon während Lebzeiten, der sie mit irgend einem außerordentlich schnellen oder starken Thier vergleicht, wie z. B. „der springende Panther,“ „der schwarze Falke“ etc. etc.

Wie außergewöhnlich kommt uns das vor, und wenn wir Namen und Stoff, also höchst unwesentliche Bestandtheile ändern, haben wir doch viel Aehnliches aufzuweisen.

Wie bei den Burkas, darf das „niedere Volk“ bei uns ebenfalls gewisse Sachen nicht essen, wie z. B. Gänseleberpasteten, Trüffeln, Fasanen etc. – Die erbliche Häuptlingsschaft ist dieselbe geblieben, und wem könnte die Aehnlichkeit der jetzigen Wappenschilde mit den Bären und Fischen jener Urstämme entgehen, über die wir lächeln wollen.

Aber die Adlerfedern im Haar? – Unsere Admirale, Generale und Stabsoffiziere tragen ganze Büschel bunter Federn auf den Hüten, und wilde Völker würden sich ausschütten vor Lachen (und thun es auch manchmal), wenn sie herüber kommen zu uns und eben die dreieckigen Filzkasten sehen könnten, die jene darunter tragen dürfen als besonderes Privilegium.

Und die Beinamen? – den schnellen Wolf und den schlauen Panther, den Fuchs und den Adler, haben wir in ähnlichen Bestien, als Löwen, Bären etc., noch auf den Schildern selbst bis auf uns zurückbehalten, und „der Große,“ „der Gute,“ „der Gerechte“ sind eben nur Eigenschaftsnamen eines Häuptlings. Ob er wirklich so rasch laufen konnte wie ein Wolf, oder so schlau war wie ein Panther, kommt gar nicht darauf an.

Aeußerliche Auszeichnungen blieben aber dabei nicht allein stehen, sondern reichten vom Häuptling auch hinunter auf die Krieger und Männer im Rath (Generalstab, Offiziere, Geheime und Legationsräthe und Beamte), die ihre besonderen Tattowirungen als Abzeichen tragen durften.

Der Wilde hat aber keinen Rock, also mußte er sich den Orden in die Haut graben – Verlust der Nationalkokarde war dabei gar nicht möglich – und trügen wir hier nicht den Frack und etwas darunter, so würden unsere geheimen und wirklichen Räthe ebenfalls zur Urhaut ihre Zuflucht nehmen müssen – man kann doch nicht Alles um sich herum hängen.

Der nordamerikanische Indianer trägt außerdem die Scalpe seiner erschlagenen Feinde als Siegstrophäen – was aber sind die, aus dem Metall erbeuteter Kanonen gegossenen Medaillen anderes als civilisierte Scalpe? Wir müssen das Kind nur beim rechten Namen nennen.

Auf den Schmuck und die Abzeichen der verschiedenen Länder brauche ich eigentlich gar nicht näher einzugehen; die Aehnlichkeit ist hier zu auffallend, und ich will deshalb nur die hervorragendsten Punkte berühren.

Der Wilde thut entsetzliche Dinge, sich in einen Zustand zu versetzen, den er schön nennt; er durchbohrt sich Nasen und Ohren und hängt Glaskorallen oder steckt Federn und Stücke Holz hinein – er bindet sich Schellen und Perlen in’s Haar und an Arme und Beine, malt und tattowirt sich die Haut, reibt sich mit Fett oder Thon ein, und glaubt es, etwas Außerordentliches, wenn er einen alten Knopf oder etwas Derartiges gefunden hat, seiner Würde einen vielleicht höhern Glanz zu verleihen.

Ja aber wir tattowiren und bemalen uns nicht.

Nein, lieber Leser – dem letzteren aber immer noch Ausnahmen zugestanden – aber nur aus dem Grunde, weil unsere Kleidung schon gewissermaßen unsere Tattowirung ist. Sobald der Wilde erst einmal Kleider trägt, tattowirt er sich auch nicht mehr, aber nicht etwa, weil er die Tattowirung jetzt für etwas Häßliches hielte, sondern weil man sie eben nicht mehr sehen könnte.

Eine Auszeichnung will nun einmal ein Mensch vor dem andern haben, sei es aus welchem Grunde es wolle, und wenn wir uns nicht tattowiren oder bemalen, der neidischen Kleider wegen, kleben und knöpfen wir uns oben darauf Orden und Sterne und bunte Bändchen und Flittern und Steinchen und alte Knöpfe und Schlüssel, und Gott weiß, was sonst noch – und nun ziehe einmal Jemand die Grenzlinie.

Dabei fällt mir ein alter Indianer der Südsee ein, der wahrscheinlich einmal bei einer festlichen Gelegenheit einen Consul oder Schiffskapitain mit Orden besteckt gesehen und dem das Ding gefallen hatte. Er ließ sich also die ganze Bescheerung, ohne erst bei irgend einer der betreffenden Behörden um Erlaubniß nachzufragen, auf den eigenen Körper nachtattowiren; leider aber war auf der Brust, wo schon andere Linien standen, kein Platz mehr gewesen, und er nahm deshalb die Verzierung auf den Rücken.

Ueberhaupt giebt es Nichts auf der Welt, in dem die civilisirtesten Völker den wildesten ähnlicher sind, als gerade in den äußeren Ausschmückungen. Ob sie sich nun mit Thon oder Patchouly einreiben, die Extreme berühren sich doch, und selbst den Chinesen, die ein Recht zu haben glauben, sich bei uns sehen zu lassen – denn wir könnten dort dasselbe thun – dürfen wir Nichts vorwerfen.

Sie rasiren sich den Kopf, wir den Bart; sie schnüren die Füße ihrer Kinder ein, wir die Taillen; sie nennen ihr Reich das Himmlische, und unsere biederen Zeitungsredacteure schreiben, „die allerhöchsten Herrschaften begaben sich in die Kirche, dem Höchsten ihren Dank darzubringen.“ Während wir dabei behaupten, die Compaßnadel zeige nach Norden, lacht der Chinese und sagt, wir wären blind, daß wir nicht sähen, wie sie nach Süden wiese – und nun beweise ihm das Einer.

Auch bessere Menschen sind wir nicht durch die Civilisation geworden; je feinere Unterschiede wir zwischen den einzelnen Ständen und Geschäften, zwischen unseren Stellungen und Aemtern, zwischen unserer Geburt, und gleichviel wie erlangten Besitz machen, desto größer wird die Verführung zur Sünde, oder wenigstens zu manchen Handlungen, die ein unkultivirter Wilder nicht für möglich halten würde, und über die er ebenso die Achseln zuckt als wir darüber, daß er vielleicht sein Rindfleisch ohne Senf und mit den Fingern ißt.

Wir tadeln bei ihm seinen Blutdurst, seine Kindesmorde und feindlichen Einfälle auf Nachbargebiet, schlagen uns an die Brust und bedanken uns beim lieben Gott, daß wir nicht sind „wie Jene da,“ und geben uns trotzdem, selbst mit der Beistimmung und dem Segen unserer allerchristlichsten Kirchen die größte Mühe unsern complicirten Mordmaschinen, Feuerschlünde und Gewehre, Brandraketen, Bomben etc. etc., noch auf die möglichste Weise zu verbessern, unserer Nachbarn Kinder – ja nicht selten die eigenen in so großen Quantitäten als angeht, aus der Welt zu schaffen. Wir stehen entsetzt, wenn uns ein Missionär mit dem Sammelteller (denn ohne den erzählen sie uns Nichts) in der Hand von zwei oder drei Wittwen Nachricht giebt, die sich mit der Leiche ihres Gatten haben verbrennen lassen und lesen ungerührt die Schlachtberichte, nach denen so nun so viel Tausende getödtet wurden, oder mit, durch die Civilisation zerrissenen Gliedern in den Spitälern liegen, dort nothdürftig wieder zusammengeflickt, und womöglich noch einmal gebraucht zu werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_224.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)