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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Blätter und Blüthen.

Derwische in Andacht. Der priesterliche, mönchische Orden der Derwische im muhamedanischen Religions-Kultus ist ein merkwürdiges Gemisch christlicher Tugenden, der Bescheidenheit, Armuth, Wohlthätigkeit, Demuth, Geduld und fanatischer Dummheit, Lächerlichkeit und betrügerischer, gewinnsüchtiger Gaukelei. Sie gehen stets barfuß, mit offener Brust und brennen sich zuweilen mit glühendem Eisen, um sich moralisch abzuhärten und Schmerzen zu ertragen. Sie fasten jeden Mittwoch bis nach Sonnenuntergang und halten ihre Kirche Dienstags und Freitags. Ihre Andacht besteht zunächst in lautem Beten, alle durcheinander, wobei sie, wie Schneider bei der Arbeit, kauern. Doch den größten Ruhm ihrer Frömmigkeit setzen sie und die altgläubigen Türken in die Kunst, sich mit unglaublicher Geschwindigkeit und fabelhaft lange um sich selbst zu drehen; dann entzückt niederzufallen und sich vom entzückten Publikum durch einen Regen kleiner Münze wieder zum Bewußtsein zurück träufeln zu lassen. Uebung macht in jeder Beziehung den Meister und da sich der Geldregen nach der Leistung richtet, können sich Einige ziemlich eine Stunde lang um sich selbst drehen, als würden sie durch eine Maschinerie unten um sich selbst gesponnen. Das ist freilich noch lange nicht so viel, als der Stifter ihres Ordens konnte, Menelava[WS 1], der sich viermal vierundzwanzig Stunden mit zunehmender Geschwindigkeit um sich selbst drehte, bis er entzückt niederfiel und zur Stiftung des Derwischordens inspirirt ward. Sein Freund Hamsa spielte dazu viermal vierundzwanzig Stunden die Flöte, die noch bis heute alle diese verdrehte Andacht begleitet. Die Flöte ist ihnen heilig, eine Eigenschaft, die sie von Jacob im alten Testamente ableiten, der Gottes Lob mit Flötenbegleitung sang. Sie sind jetzt nicht viel besser, als eine zahlreiche Sorte von gaukelnden Bettlern, die ihre Drehungen zur Vergrößerung ihrer Ernten benutzen. Sie und die Türken sollten lieber Spinn- und Maschinenräder drehen lernen. Das gemeine Volk glaubt aber noch an ihre höhere Religiosität und läßt sich so ganze Massen kleinen Geldes aus der Tasche drehen. Das Wort Derwisch, aus dem Persischen, bedeutet Bettler. Ihr Orden bekam Corporationsrechte unter Ottoman I., der ihnen ein großes Hauptkloster bei Cogna in Anatolien bauen ließ. Dieses ist die Hauptloge, mit dem General des ganzen Ordens, von welcher und welchem alle Neben-Logen und Untergenerale abhängen. Der Orden giebt uns eine Vorstellung von der religiösen Bildung der Türken überhaupt, die eigentlich blos in sinnlosen Ceremonien besteht. Man geht in die viereckigen Moscheen, nachdem man sich im viereckigen Marmor-Vorhofe vor dem Haupteingange gewaschen und Schuhe und Strümpfe zurückgelassen. Der Fußboden inwendig ist mit zusammengeflickten Zeugen bedeckt, auf denen man knien, sich legen und rutschen kann, je nachdem ein Türke (Türkinnen dürfen nicht hinein) seine Frömmigkeit offenbaren will. Das Innere ist mit brennenden Lichtern und Leuchtern, zwischen denen Eier, Ringe und sonstige Curiositäten hängen, reichlich ausgeschmückt. Von Predigen, gemeinschaftlicher Andacht, erbaulichem Gesang ist keine Rede. Jeder theilt seine Gedankenlosigkeit dem Propheten und durch ihn dem großen Allah privatim mit. Das Beste des kirchlichen Kultus findet man neben den Moscheen, nämlich Hospitäler, in denen jeder Fremde, Türke oder „Franke“ unentgeltlich drei Tage Aufnahme und Pflege finden kann. Auch giebt es noch sehr wohlthätige, weltliche Anstalten der Art, in denen jeder Verirrte, Obdachlose, Hungrige und Durstige, mag er einer Nation oder einem Glauben angehören, welchem er will, unentgeltlich schlafen, essen und trinken kann, ohne sich nur eines Dankes schuldig zu machen. Wenn es möglich wäre, die vielen guten, edeln, humanen Charakterzüge der Türken zu retten und sie ihren Nachkommen und der „westlichen Civilisation,“ die sie jetzt gründlich vollends ruinirt, als Erbtheil des „kranken Mannes“ zu vermachen, könnten die alten Türken immer aus der Geschichte scheiden und des Ruhmes sicher sein, daß sie nicht umsonst gelebt haben.




Harmonie der Farben in Kleidern für die verschiedenen „Teints“. M. E. Chevreul, ein Franzose, behandelt in seiner „Farben-Harmonie“ die Schönheits-Gesetze, nach welchen das schöne Geschlecht die Farbe seiner Kleider zu wählen und zu combiniren habe, ziemlich verständig. Er sagt: „Rothe Draperie“ kann als rosige nicht mit den rosigsten Gesichtern in Verbindung gebracht werden, ohne diese zu bleichen. Dunkelroth ist nur zulässig, wenn die Hautfarbe durch einen weißeren Schein gewinnt, der durch den Contrast bedingt wird. Zartes, delicates Grün ist günstig für die meisten Blondinen mit weißer, frischer Haut, die etwas mehr Rosiges gebrauchen können, ungünstig für mehr Rothe, als Rosige, noch ungünstiger für Gesichter, in denen sich Orange und Braun vorfinden, weil dies dem Gesichte eine ziegelrothe Schattirung giebt. Ein dunkeles Grün mag in diesem Falle eher passiren. Gelbe Draperie giebt einer schönen Haut einen bläulichen, violetten Hauch und ist deshalb ungünstiger als mattes Grün. Gelblicher Haut giebt sie eine weiße Tinte, doch paßt die Zusammenstellung schlecht zu blondem Haar. Sie sieht zu schwer und ruhig aus. Mehr in Orange spielende Haut wird duch Gelb geros’t, da es Orange neutralisirt. Gelb paßt deshalb in der Regel am Besten für schwarzhaarige Brünetten. Violette Draperie. Violett ist die Ergänzungsfarbe zu Gelb und bringt deshalb entgegengesetzte Wirkungen hervor. So überhaucht es weiße Blondinen, die zu hell und nüchtern aussehen, mit einem grünlichen Gelb, das sehr oft günstig ist. Es vermehrt Gelb und Orange in den Hautfarben ähnlichen Charakters. Bläuliche Tinten nehmen durch Violett einen grünlichen Schein an. Violett ist also im Allgemeinen die ungünstigste Farbe für alle Gesichter. Nur wenn es tief genug ist, kann es durch Contrast mangelnde Weiße der Haut ergänzen. Blaue Draperie. Blau reflektirt in Orange und kann deshalb dienlich werden, weiße und leichte Fleischfarbe zu heben. Blau ist denn auch sprüchwörtlich Blondinen am Günstigsten. Doch ist auch hier Geschmack und Farbensinn nöthig, da zu grelle und entschiedene blaue Draperien leicht ein gemeines Ansehen geben. Brünetten müssen sich vor Blau hüten, da sie schon zu viel Orange haben. Orange-Draperie ist zu brillant, um elegant zu sein. Es bläut Blondinen, weißt Orange-Haut und grünt gelbe Tinten. Weiße Draperie. Mattes Weiß harmonirt gut mit frischen Gestalten und Farben, die dadurch an Prosa und Strenge verlieren; doch alle übrigen starken Hautfarben müssen sich davor hüten, da sie dadurch nur greller werden, so daß ein Mann mit weißem Halstuche und eine derbe Magd im weißen Putz in der Regel sehr dumm und grob aussehen. Leichte, luftige, weiße Draperien von Musselin mit Mustern oder Spitzen sind dagegen von ganz anderer Wirkung. Sie versöhnen Contraste und geben jungen Damen ein harmonisches, ätherisches Etwas, das man mehr fühlen, als beschreiben kann. Schwarze Draperie schwächt die Töne der Hautfarben und versöhnt sie durch Hervorbringung eines weißen Tons, doch wenn sehr rosige Wangen sehr weit davon abstehen, tritt das Rothe aus dem geweißten Gesichte desto greller hervor, so daß also z. B. ein schwarzes Kleid sehr hoch herauf getragen und nicht durch Weiß vom Gesicht getrennt werden darf, wenn die Wangen nicht blos erröthen, sondern die Rosen darauf ohne Unterbrechnung blühen.“ Diese Bemerkungen gründen sich genau auf katoptrische Gesetze des Lichtes und der Farben, so daß Damen beim Einkauf von Hüten und Kleidern wohl mit Nutzen für ihre Schönheit darauf Rücksicht nehmen können. Wenigstens ist diese Rücksicht nützlicher und nobler, als das sklavische Gebaren unter dem sinnlosen Scepter der Mode.




Literarisches. Mit dem Frühling scheint auch die Produktionskraft der deutschen Dichter erwacht zu sein. Die letzte Woche brachte wieder warme Sonnenstrahlen und interessante Neuigkeiten. Otto Roquette, der Dichter der überaus reizenden „Waldmeisters Brautfahrt“, hat ein episches Gedicht: Hans Haidekuckuk vollendet, dessen Stoff, dem bunten Treiben des mittelalterlichen Städtelebens entnommen, mit jenem leichten und glücklichen Humor bearbeitet sein soll, der alle Arbeiten dieses frischen Autors auszeichnet. Von Gust. Freytag, dem Redakteur der Grenzboten und Dichter der Valentine, ist ein dreibändiger Roman: Soll und Haben erschienen. Freytag, welcher damit ein neues Feld betritt, hat den Roman dem Herzog Ernst von Gotha gewidmet, der den Verfasser bekanntlich von einigen Monaten zum Hofrath ernannte. Gutzkow’s neuerschiene Novelle: die Diaconissin erwähnten wir schon. In der Einleitung wenig anziehend, entschädigt sie weiterhin durch lebendig frische Darstellung und tiefe Blicke in die Natur des Frauenlebens. Diejenigen, welche Gutzkow Mangel an Gemüth vorwerfen, werden hier wenigstens diesen Vorwurf nicht wiederholen können. Kompert, der Verfasser des „Ghetto“, hat ebenfalls einen zweibändigen Roman: Am Pfluge vom Stapel laufen lassen. Er behandelt die Zustände einer jüdischen Familie, welche sich ausnahmsweise dem Ackerbau gewidmet. – Nach einer andern Richtung hin dürfen wir noch als eine interessante Erscheinung die in Berlin angekündigte und vom Grafen Pinto redigirte social-politische Wochenschrift: Berliner Revue bezeichnen – das in Zeitungen bereits vielfach besprochene Organ der russischen Partei. Ein Mitglied der Kreuzzeitungspartei, heißt es, hat zur Begründung dieses Journals, das wöchentlich 41/2 Bogen stark erscheinen soll, 20,000 Thaler vorgeschossen, das Honorar der Mitarbeiter ist auf 50 Thaler pro Bogen festgestellt, die ersten literarischen Capacitäten sollen – laut Zeitungen – dafür gewonnen sein! Den Zweck deuteten wir bereits an. Außerdem soll sie die Rechte des Adels und des großen Grundbesitzes vertreten. Wie alle Unternehmen dieser Art, wird auch dieses wenig Erfolg haben. Die Partei, welche darin vertreten wird, bedarf der Belehrung nicht, sie kennt ihre Rechte, ihre Gründe und langweilt sich an der Lektüre. Die Partei aber, welche sie bekämpfen soll, liest sie kaum, acceptirt weder die Rechte noch die Gründe und läßt höchstens in einigen Journalartikeln dagegen protestiren. Die stolze Zuversicht, den Gang der Civilisation auch nur um einen Tag aufzuhalten, ist eine vergebliche. Die Partei wird bald genug um eine Hoffnung und 20,000 Thaler ärmer sein!

E. K. 

Im Verlag des Magazins für Literatur in Leipzig ist erschienen:

Ueber die gewöhnlichsten ärztlichen Mißgriffe
beim
Gebrauch des Wassers als Heilmittel.
Von
J. H. Rausse.
geh. Preis 1 Thaler.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. tatsächlich: Mevlana
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_228.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2023)