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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

gemachtem Phosphor gute Zündhölzer macht. Phosphor einer höhern, als jetzt üblichen Temperatur ausgesetzt, ändert seine Farbe und verliert die leichte Entzündlichkeit und Entwicklung der giftigen Säure. Dieser amorphische Phosphor, wie ihn, glaub’ ich, die Chemiker nennen, wird in der großen Fabrik von Sturge in Birmingham ausschließlich verarbeitet und von den schrecklichen Kinnbackenleiden hat sich seitdem keine Spur mehr gezeigt. Die von diesem Phosphor gemachten Hölzer entzünden sich nicht so leicht, als die andern, und bedürfen der Reibung auf sehr rauher Oberfläche; aber wenn dieser Nachtheil (in gewisser Beziehung eine Wohlthat, da die empfindlicheren Zündhölzer noch sehr lange die Luft vergiften) das Wohl von Tausenden bedingt, wird gewiß Jeder, der ein Licht oder eine Pfeife anzündet, gern etwas stärker reiben.

Die Gliederlähmungen der Vergolder werden mit der Zeit durch Elektricität, welche Meister in Vergolden ist, ganz geheilt werden. Was die Naturkraft umsonst macht, braucht die kostbarere menschliche Hand nicht auf Kosten ihres Eigenthümers zu thun, so daß menschliche Kräfte für höhere, gesündere Produktion frei werden.

Die Geschichte der Stahlschleifer-Krankheiten in England ist ein hartnäckiger Kampf von Seiten der Leidenden gegen ihr Wohl. Man versuchte magnetische Mundstücke, welche die feinen, scharfen Stahltheilchen von der Lunge zurückhalten, einzuführen. Die Schleifer empörten sich dagegen. Keiner wollte sich durch einen Maulkorb lächerlich machen, sondern lieber dreißig Jahre vor seinem Tod sterben. Man wolle nur ihren Wochenlohn herabsetzen, räsonnirten sie, denn wenn das Schleifen nicht mehr so viel Leben abschliffe, sei es nicht mehr so viel werth. Ganz logisch. Aber man sieht, bis zu welchem Zerrbilde der Industrialismus hier ausgebildet erscheint! – Jetzt macht man den Stahlstaub durch einen scharfen Luftzug zum Theil unschädlich, aber nur in wenigen Anstalten. In den meisten bestehen die Schleifer noch auf guten Wochenlohn und frühen Tod. Grimmig und tückisch sitzen sie vor ungeheuern Steinen, welche mächtige Dampfkraft mehrere tausend Mal in der Minute dreht. Manchmal giebt so ein Fels der Centrifugalkraft nach, berstet, wie von Pulver gesprengt und zerschmettert den Mann davor. Man führte starke eiserne Schilder zum Schutze der Leute ein, aber sie finden es in der Regel zu mühsam, sie zwischen sich und den Stein zu schrauben. So sitzen sie in Stahlstaub, alle Augenblicke gewärtig, zerschmettert zu werden. Aber sie sind’s „gewohnt“ und dann passirt ja auch nicht alle Tage ein Unglück. – Die Bergleute wissen, daß sie am Vielfältigsten in Gesellschaft des Todes arbeiten. Sie wissen, daß im Durchschnitt allein in England jährlich 30,000 Menschen verunglücken, obgleich längst alle Mittel bekannt sind, durch welche man jedes Jahr diese 30,000 retten könnte. Die Mittel kosten zu viel und neue Arbeiter kann man für dasselbe Geld, welches die Verschütteten u. s. w. kosteten, immer wieder haben. So denkt und räsonnirt der große Industrialismus und macht viel Geld dabei. Zwar haben die englischen Kohlenschachter eine Massenpetition an’s Parlament gerichtet, man möge etwas zu ihrer Sicherheit thun, dabei sind sie aber selbst wahre Fatalisten und verhöhnen die Davy-Lampen, welche die Entzündung „böser Wetter“ unmöglich machen. Manchmal brennt ihnen unten (bis 1260 Fuß tief) die Lampe nicht hell genug; so wird sie geöffnet und heller gemacht. Aber Du kannst Dich auf diese Weise zerschmettern, sagt man ihnen. „O gewiß,“ erwiedert er heiter, „aber sollen wir einmal ausgeblasen werden, geschieht’s doch. Das fragt dann nichts nach sonne Lampe.“

Das ist ruchlos. Woher kommt diese Ruchlosigkeit? Von Unwissenheit, verwahrloster Erziehung, hornhäutiger Abstumpfung. Die Leute sind nicht nur unwissend, sondern stolz auf ihre Verdummung und mißtrauisch gegen die Wissenschaft, von der sie keine Ahnung haben. Es ist leicht, auf die Arbeitgeber und Fabrikherren zu schimpfen, aber auch nicht schwer, zu sehen, daß die Schuld von tausendfachem Mord und Todtschlag in der fieberhitzigen Industrie von den Arbeitern stark getheilt wird. Wissen ist Macht, Bildung Leben, Einsicht Gesundheit, richtiges Eigeninteresse – Liebe und Humanität. Ohne unser Thema weiter fortzusetzen und zu klagen, wollen wir uns des richtigen Weges freuen, auf welchem wir alle gebildeten Völker thätig und produktiv erblicken. Ich habe diese Bemerkungen der Gartenlaube zugesandt, weil ich sie für das thätigste, tüchtigste Organ zur Verbreitung und Vervolksthümlichung des wirklichen, praktischen, produktiven Wissens und der wahren Macht halte. Wie die Gartenlaube Jeden, der da will, zu seinem eigenen Arzte und seiner eigenen Apotheke macht, wird sie im gesegneten Fortwirken im Stande sein, die bösen Geister aus den Stätten der Arbeit und Produktion vertreiben zu helfen, zunächst die bösesten aller Geister, die des Dünkels, der Stumpfheit gegen Neuerungen und Fortschritte, der stolzen Unwissenheit.

Die Gesellschaft der Künste in England schloß voriges Jahr das Jubiläum ihres hundertjährigen Bestehens mit Eröffnung von Discussionen und Untersuchungen über gewerbliche Krankheiten. Sie bildete einen besondern Ausschuß für weitere Verfolgung dieser Untersuchungen. Dieser setzte sich mit 375 andern, ähnlichen Gesellschaften zu diesem Zweck in Verbindung, welche nun alle daran arbeiten, von Tausenden verschiedenen Gewerbtreibenden selbst Erkundigungen einzuziehen und eine Grundlage für positive Maßregeln zu gewinnen. In England gilt es hauptsächlich, die arbeitenden Klassen mit den Mitteln gegen ihre Uebel bekannt zu machen und sie von deren Nutzen zu überzeugen. In Deutschland wird dies, Gott sei Dank, im allgemeinen nicht nöthig sein, da es von dem Grundübel Englands, der Bornirtheit und Verwahrlosung der arbeitenden Klassen durch gute Schulen und ein der Wissenschaft und Kunst längst befreundetes Volk sich mehr und mehr befreit. Aber das Feld der Wirksamkeit liegt auch hier noch sehr unkultivirt. Nennen Sie jeden Spatenstich, der hier geboten wird, willkommen.

Ich bemerke nur noch, daß die Gesellschaft der Künste Ausstellungen der Mittel zur Verhütung gewerblicher Krankheiten und Beseitigung der Krankheitsursachen vorbereitet und nächsten Mai mit einer öffentlichen Sammlung von Mitteln und Instrumenten, deren Zweck Erhaltung und Schutz des Auges ist, beginnen wird.




Ein deutscher Bauer.
Ein Lebensbild.
„Es bildet ein Talent sich in der Stille, 
Sich ein Charakter in dem Strom der Welt.“ 
Goethe. 

Vor einiger Zeit lasen wir in deutschen und französischen Blättern die Entwicklungsgeschichte des Haarkräuslers und Dichters Jasmin aus Agen im mittäglichen Frankreich und stolz warf dabei ein französisches Blatt mit vielem Selbstgefühl die Frage auf, ob unter einer anderen Sonne und unter einem anderen Himmel als denen der duftigen Provence eine solche Geistesblüthe gedeihen könne. Nicht lange darauf fanden wir in einem englischen Athenäum preisend erzählt die Geschichte eines walliser Landmannes, der vor kurzer Zeit gestorben, und in dessen Nachlaß man mehrere von ihm herrührende Handschriften, welche Erläuterungen classischer Werke, wie die des Plato, des Herodot, des Sophokles, des Livius, Seneca, Plinius, enthielten, entdeckt habe. Freue dich, stolzes England! rief am Schluß der Erzählung das Athenäum aus, Männer zu besitzen, die ebenso das Feld der Wissenschaft wie ihren Kornacker bebauen und so, den Landbau und die Beschäftigung mit den Wissenschaften vereinigend, jene Stufe des Glückes erreichen, von der Virgil und Horaz so oft geträumt, die sie so oft in ihren Liedern gefeiert.

Nach diesen Vorgängen wird es mehr als gerechtfertigt erscheinen, wenn wir in Nachfolgendem dem Gedächtniß eines deutschen Mannes einen Denkstein setzen, den Manen eines deutschen Bauers, der, herangewachsen unter dem rauhen kalten Himmel und zwischen den düsteren Tannen- und Fichtenwäldern des Voigtlandes, sich einen Ruf erwarb, welcher selbst durch das Waffengetöse jenes schrecklichen Krieges, der dreißig Jahre lang unser Vaterland von der Ostsee bis zur Donau und zum Rhein mit Schlachtenlärm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_290.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2023)