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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 26. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Eine pariser Geschichte.
Nach wahren Thatsachen mitgetheilt von Feodor Wehl.
(Schluß)


Zunächst waren ihm die Erkundigungen sehr ungünstig, die man über ihn einzog. Emil, Graf von Luckner, genoß eben nicht eines untadelhaften Rufes. Aus der Familie jenes unglücklichen Generals stammend, welcher in der ersten französischen Revolution den Tod auf dem Schaffotte fand, war er jung, der Aeltern durch eine verderbliche Krankheit frühzeitig beraubt, in ein ziemlich zügelloses und wüstes Leben eingeführt worden. Er hatte mehrere Liaisons mit leichtfertigen Frauenzimmern, viele Duelle und anderweitige Ehrenhändel, die ihm nicht immer ein gutes Ansehen gaben, gehabt, war durch Spiel und Wetten mehrfach ruinirt, von Schulden überhäuft, bereits zum Oefteren nur durch die Gnade einer reichen Tante mütterlicher Seite von einem schmählichen Untergange gerettet worden, und befand sich, wie sich zeigte, auch jetzt wieder in sehr derangirten und mißbehaglichen Umständen.

An sich, mußte man ihm freilich lassen, hatte er etwas sehr Einnehmendes, Offenes, das Herz der Menschen Gewinnendes. Er war zu jener Zeit eben vierundzwanzig Jahre geworden und repräsentirte sich in diesem Alter als ein hoher, schlanker, elegant und distinguirt aussehender Lion, dem feine Manieren und eine aristokratisches Air überaus vortheilhaft ließen. Seine Hände und Füße waren ungemein fein und zart; sein Gesicht, obschon ein wenig bleich und verlebt, zeigte sich doch anziehend und fesselnd durch seinen Anflug von Genialität, den ein hochstrebender Geist und ein kühnes Gemüthe selbst denjenigen Zügen noch aufzudrücken pflegen, die sonst durch wilde Verschleuderung der Jugend, die zarter Schönheit und den milderen Reiz derselben eingebüßt haben.

Wenn man Graf Luckner in die blaßblauen, großen, an den Rändern ein wenig gerötheten, meist müde und übernächtlich aussehenden, aber doch hellen, offenen und unschuldsvoll blickenden Augen sah, wenn man seine lässig und ein wenig hohlklingende, aber nicht destoweniger doch herzlich und warm tönende Stimme hörte, sein etwas heiseres, aber stets heiter herausplatzendes Lachen vernahm, seine frei, hohe, von blondwolligem Haar umrahmte Stirn, seinen graziösen, keckgeschnittenen Mund mit einem Zuge, der bald sorglos, bald verachtend, zumeist aber gutmüthig aussah, bemerkte, so fühlte man sich allerdings unwillkürlich zu dem Ausspruch bewogen: dieser Jüngling kann kein so niederträchtiger Räuber und Mörder sein, als hier vom hohen Gerichtshof behauptet wird. Wenn man indeß wieder den Auseinandersetzungen und Folgerungen eben dieses hohen Gerichtshofes Gehör und Eingang gab, so mußte einem wieder die Schuld des Graf Luckner so erwiesen, so unbestreitbar scheinen, daß man nicht umhin konnte, gerade nur in ihm den Urheber und Ausführer des schauderhaften Verbrechens zu sehen.

Alfred Gautier, der so räthselhaft Ermordete, war allen Zeugnissen und eingeholten Nachforschungen zufolge ein durchaus braver, tüchtiger und ehrenhafter Mensch gewesen, der, wenn man es so nehmen will, nur die eine Schwäche hatte, Graf Emil von Luckner auf eine beinahe abgöttische Weise zu lieben. Er hatte denselben vor einigen Jahren in Nizza kennen gelernt und seitdem überall und jeder Zeit als seinen besten und intimsten Freund behandelt, ihm mehrfach Geld geliehen und andere dergleichen Dienste erwiesen, alles Dinge, die der Angeklagte auf das Bereitwilligste einräumte und wofür derselbe sich noch stets vom aufrichtigsten Danke beseelt zeigte. Er war der natürliche Sohn eines kleinen Handwerkers, den dieser mit einer Wäscherin zeugte, die kurz nach der Entbindung starb. Der Vater, der das Kind zuerst nicht als das Seine anerkennen wollte, nahm sich nach dem Dahinscheiden der Mutter desselben denn doch noch an, ließ es kümmerlich erziehen und in eine Handlung treten, in welcher der junge Mensch später sich von solchem Nutzen und glücklicher Verwendbarkeit zeigte, daß er nach einer zehnjährigen Mitbetheiligung und zeitweisen Leitung des Geschäfts sich zum Compagnon erhoben und dadurch zu einem so vermögenden Manne gemacht sah, daß er im Stande war, seinem Vater auf seine alten Tage und der ganzen Familie, die dieser in einer zweiten, späteren Ehe erzeugt hatte, eine bedeutende Rente auszusetzen.

Daß ein Mann dieser Art, als er von einem so schnellen und geheimnißvollen Tode ereilt wurde, nun doppelt und dreifach die Theilnahme und das Bedauern der großen Menge zuertheilt erhielt, was sonst in dergleichen Fällen den Manen des in Schaden gekommenen anheimfällt, versteht sich von selbst, und um so mehr, wenn wir hier noch anführen, daß sich bei der Besichtigung seiner Leiche ein Umstand, oder genauer gesagt, eine Sache zu Tage legte, welche über ihn und sein Ende ein noch seltsameres und eigenthümlicheres Mysterium breitete als es an und für sich schon sein Tod darbot. Man fand nämlich auf der Brust des Todten an einer feinen, goldenen Kette die Hälfte eines Ringes, der offenbar eine Bedeutung hatte, die man indeß nicht zu erforschen im Stande war, da der Vater nichts davon wußte, und Graf Luckner sich nur erinnern wollte, von dem Verblichenen gehört zu haben, daß dieser Reif, von dessen Mutter stammend, ihm von einer Freundin derselben lange nach deren Tode mitsammt einem Zettel übergeben worden sei, welcher ihn einst zu einer wichtigen Entdeckung führen könne.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_333.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)