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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 27. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Elsje.

Eine niederländische Geschichte von W. O. v. Horn.


I.

Es war an einem Spätsommerabend, als die Familie des Gärtners van Houwening um den Tisch saß, die Abendmahlzeit zu halten; die letzten Lichter des Abendhimmels fielen durch die hellen Fensterchen auf die um den Tisch Versammelten. Es waren ihrer zehn, acht Kinder und das Aelternpaar. Der Gärtner nahm seine Mütze vom Haupte, und das kleinste der Kinder betete: „Komm’ Herr Jesu, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheeret hast!“ Und als das Gebet geendet war, begann jene rasche Arbeit, deren mächtige Triebfeder eine gesegnete Eßlust ist, und nicht lange währte es, so war die Schüssel mit gesottenen Kartoffeln leer und auf der kleinen Platte, darauf sechs Heringe gelegen, hätte das schärfste Auge keinen Rest davon entdecken können.

Als der Vater das Dankgebet gesprochen, sprangen die kleinen Kinder noch hinaus vor die Thüre zu heiterem Spiele; der Vater aber blieb an seiner Stelle, während Elsje, die älteste Tochter, der Mutter abräumen half.

„Wenn Ihr fertig sei in der Küche, so kommt herein,“ sagte der Vater. „Wir müssen über ernste Dinge reden!“ Der Ausdruck seines Gesichtes bestätigte seine Worte.

Während in der Küche Mutter und Tochter spülten, die Küche versorgten und das Nothwendige für den andern Morgen vorbereiteten, saß der Vater lange in trüben Gedanken. Zwei Söhne, der eine von siebenzehn, der andere von fünfzehn Jahren, saßen stille auf der Fensterbank, und sahen bald den jüngeren Geschwistern und ihren Spielen zu, bald ruhte ihr Blick auf dem sorgenvollen Antlitz des Vaters. Kein Wort wurde indessen gewechselt, bis die Mutter und Elsje eintraten, und sich erwartungsvoll setzten, doch war ihre Erwartung keine fröhliche. –

„Es sind schlimme Zeiten,“ hob endlich der Vater mit bewegter Stimme an, und ein Seufzer hob seine Brust; „schlimme Zeiten! Alles theuer und unsre Kartoffelernte reicht nicht bis April. Die Früchte sind mißrathen, die Trockenheit hat das Obst von den Bäumen gerüttelt, schlimmer als der gräulichste Sturm. Die Leute in der Stadt schränken sich ein. Mit Blumen ist nichts zu verdienen und die Gemüse vertrocketen auch trotz alles Begießens. Jan, Du weißt, wie es steht?“

Der ältest Sohn nickte bejahend, ohne daß er aufblickte, und die Mutter trocknete das Auge. Alle kannten die Lage der Familie genau.

„Wäre der Garten und das Haus bezahlt, so ginge es wohl schon eher, aber was ich auf- und losbringe,“ fuhr der Vater fort, „muß ich dem alten Wucherer bringen. Da bleibt keine Wahl; Dreie müssen sich ihr Brot verdienen, Du, Elsje, Du, Jan und du, Claas! – Es bleibt uns nicht Anderes übrig! Wie schwer es uns auch wird, wir müssen uns trennen.“ –

Mit Mühe hatte der Vater diese Worte gesprochen, und ein schwerer Seufzer und ein leises Schluchzen begleitete sie von Seiten der Mutter und Elsje’s. Die Worte des Vaters lagen zentnerschwer auf den Herzen.

Es trat ein lange Pause ein. Endlich sagte Jan:

„Ich sehe es wohl ein, Vater, und ich will gerne gehen, wenn ich nur wüßte, wohin? Wißt Ihr mir eine Stelle?“

„Der gute Baas Daatselaar hat Rath geschafft,“ sagte der Vater. „Du kommst zu seinem Bruder, Pint Daatselaar in Haarlem, und lernst da die Zwiebelzucht, die jetzt so außerordentlich viel Geld einbringt. Du darfst schon Morgen zu Daatselaar kommen; er giebt Dir einen Zettel mit und für Dich ist gesorgt, wie ich zu Gott hoffe, denn sein Bruder ist ein berühmter, und ein Ehrenmann.“

„Und was giebt’s mit mir?“ fragte Claas fest und ruhig. „Vater, Ihr wißt, ich bin ein Wasservogel und zum Gärtner verpfuscht. Laß mich Schiffer werden!“

„Ganz richtig,“ versetzt der Vater; „darum kommst Du zu dem Waalschiffer van Breigem, der in Gorkum vor Anker liegt. Mußt halt Schiffsjunge werden, armer Claas! Das hat so sein Mucken, aber es muß durchgemacht sein! Der alte van Breigem ist auch nicht mit seinem Schiffe, das „het Lammetje“ heißt, vom Himmel gefallen, oder auf die Welt gekommen. Er fing als armer Junge an.“ „Ich weiß es,“ sagte Claas. „Ich will mich schon durchwinden, und in einem Jahr ist’s überwunden. Ich hoffe, Ihr sollt’s erleben, daß ich auch noch so ein Lammetje steuere, als Patron nämlich!“ –

„Geb’s Gott in Gnaden!“ sagte der Vater und lächelte zu dem kecken Sinne des rothwangigen Jungen, wenn’s ihm schon nicht um’s Lachen war. „An Muth fehlt’s Dir nicht!“

„Und Du, meine Elsje,“ fuhr dann der Vater fort, und seine Stimme wankte – „Du gehst mit van Breigem, der morgen abfährt, nach Rotterdam. Er ist ein treuer Remonstrant und wird für Dich väterlich sorgen auf der Reise.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_349.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)