Seite:Die Gartenlaube (1855) 374.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

anzunehmen. Ich kam also der großen Treppe zu nahe, und, ohne mich lange zu verweilen, fiel ich selbige von oben hinunter und blieb an der letzten Stufe ausgestreckt, ohne Besinnung, liegen. Ich wäre vermuthlich umgekommen, wenn nicht eine alte Magd mein Schutzengel gewesen wäre. Ein Zufall hatte sie an diesen Ort gebracht, und da sie mich im Finstern für den großen Schloßpudel ansah, so belegte sie mich mit einem garstigen Titel und gab mir mit dem Fuß einen Tritt vor den Leib. Da sie aber merkte, daß ich ein Mensch und, was noch mehr, ein junger Hofmann sei, so mochte sich ihr ganzes Herz bewegen; sie schrie nach Hülfe, meine Bedienten liefen herbei, man trug mich in mein Bett, holte den Chirurgus und verband meine Wunden. Den Morgen darauf schwatzte man mir vom Trepaniren vor, allein ich wurde von dieser Furcht befreit und mußte nur vierzehn Tage lang das Bett hüten, in welcher Zeit der Prinz die Gnade hatte, mich alle Tage zu besuchen und zu meiner Genesung alles Mögliche beizutragen. An eben diesem Morgen nach dem Fest war das ganze Schloß zum Sterben krank; weder der Prinz noch in anderer von seinen Cavalieren konnte aus dem Bette steigen, und Ihro königliche Hoheit die Prinzessin befanden sich allein an der Tafel.




Bilder aus dem jetzigen Kriege.

 III. Helgoland und die Fremdenlegion.

Helgo- oder das „heilge Land“, etwa sechs Meilen vor der Elbemündung, war bis vor kurzer Zeit den Engländern, deren Eigenthum es ist, nur ein unbekanntes Thule und wurde selbst von höheren Deutschen jeden Sommer immer wieder auf’s Neue entdeckt, insofern sie Meerwasser gegen Nerven- und Verdauungsbeschwerden probiren wollten. Dieses heilige, jetzt sehr weltliche Land für geschmuggelte deutsche Bummler ist ein aus der Nordsee emporgestrecktes Felsenstück von etwa einer halbmeiligen Länge und so breit, daß wenn man rasch von einer Seite auf die andere geht, in’s Meer fällt, weil man seine Fußlokomotive nicht so rasch anhalten kann, als der Boden „alle“ wird. Unten wälzen sich einige traurige Sandbänke um die steilen Ufer der Insel herum, von denen aus die Badegäste zuweilen angeln oder „Wellenschlag abfassen“. Heilig war einst die Insel als Residenz einer alten sächsischen Gottheit, genannt Phoseta, später als Festung der kühnen Häuptlinge seemächtiger Friesen. Damals soll sie auch viel größer gewesen sein. Das Meer hat alles Land weggewaschen und von dem Fleische nicht als die Knochen übrig gelassen. Im Jahre 1714 nahmen sie die Dänen als ihr Eigenthum in Anspruch und behielten sie bis 1807, wo es den Engländern, welche die dänische Flotte zerstört hatten, ein gutes Geschäft erschien, sie als ihr Eigenthum zu nehmen und sie in eine Schmuggelstation für ihre continentalgesperrten Einfuhrartikel zu verwandeln. Jetzt ist sie Schmuggelstation für geschmuggelte continentalgesperrte Ausfuhrartikel geworden. Im Frieden 1814 hielten es die Engländer für praktisch, die Insel sich auf der Waage des europäischen Gleichgewichts und des genau garantirten „ewigen Friedens“ als Knochenbeilage mit in den Kauf geben zu lassen. Sie hat zwei gute Häfen und kann wegen ihrer Höhe und Steilheit im Kriege gut vertheidigt werden, so daß die aus Deutschland geschmuggelten Artikel, wenn sie erst diesen „freien englischen Boden“ erreicht haben, verhältnißmäßiger Sicherheit vor der Republik und Polizei Hamburgs froh werden können. Die Stadt auf Helgoland besteht aus einer untern am Hafen und einer obern. Letztere sieht nur durch das Haus des Gouverneurs und einige andere „Staatsgebäude“ dieser großen Colonialregierung etwas besser, als ein gewöhnliches Dorf aus, unten aber ist’s fürchterlich in den kleinen Fischer- und Seeräuberhütten, am Schrecklichsten aber in den Hotels, in denen in der Regel Niemand logirt, während der Badezeit aber jede Hundehütte mit Gold bezahlt wird. Dies Jahr wird’s vielleicht noch schlimmer, obwohl anzunehmen ist, daß sich nicht Viele der Hoffnung schmeicheln werden, Bäder in Fremdenlegion-Auswurf seien nervenstärkend.

Die etwa 2200 Einwohner der Insel leben von Badegästen, Fischen im Meer und im Trüben und als Lootsen. Die Weiber und Töchter treiben Ackerbau, d. h. sie säen auf Stellen, wo noch etwas Erde ist, Gerste und Hafer und sehen zu, wie ein paar hundert Schafe fortwährend aufpassen, wo ein grünes Hälmchen empor guckt, auf welches sie dann gemeinschaftlich Jagd machen. Bäume und Sträucher giebt es nicht, wohl aber Strauchdiebe. Holz und Torf, Kohl und Kartoffeln holt man sich für Fische und gekaperte „Strandschätze“ von Cuxhaven und Hamburg. Während der Badezeit halten hamburger Kaufleute die nöthigsten Bedürfnisse und Erfrischungen feil, aber für Preise, die das Nervensystem stärker angreifen, als die Nordseewellen wieder gut machen können. Die jetzt von den Enländern vorgenommene Metamorphose ist noch störender. Mit der idyllischen Badesaison, dem Mark und der Seele Helgoland’s, wird’s nun wohl vorbei sein.

Zunächst erschienen englische Ingenieurs und suchten sich eine Stelle aus, um eine starke Batterie zum Schutze der geschmuggelten deutschen Bummler zu errichten. Für diese wurden denn auch eine ziemliche Portion Hütten gebaut, die unter der Aufsicht eines „Hüttenmeisters“ stehen. Jetzt giebt’s noch nicht viel zu hütten und zu hüten, da die englischen Seelenverkäufer und Pulverfutter-Schmuggler im Ganzen mehr Respekt vor der deutschen Polizei haben, als man dieser stolzen, für „westliche Civilisation“ kämpfenden Nation zugetraut hätte, und die Deutschen für ihren Goldklang durchweg schwerhöriger sind, als sie bei der sonst allgemein anerkannten Macht des Goldes (der alleinigen Allmacht Englands) glaubten. Von Hamburg sind sie bald herübergeschmuggelt die gekauften Seelen, aber die dortigen Republikaner wollen es doch als gute Neutralikaner auch nicht mit Rußland verderben und sehen auf die Gefahr hin, die westliche Civilisation zu erzürnen, gar nicht so ruhig zu, wenn deutsche Produkte verdächtig erscheinen, als wollten sie ohne Paß und Concession auf freie englische Schiffe steigen, um „der Königin zu dienen“, wie die eigentliche Phrase heißt, die übrigens ehrlicher ist, als „Kampf für die Civilisation“. Auch ist Palmerston, seitdem er nun wirklich zur Macht gekommen ist, gar kein solcher Eisenfresser mehr, wie früher, als er jedesmal furchtbare Kriegsschiffe schickte, sobald in irgend einem Theile der Welt ein freier Engländer nur schief angesehen worden war. Jetzt läßt er selbst Consul-Secretaire und sonstige englische Unterthanen ruhig arretieren oder auf den Schub bringen, wenn sie sich beim Schmuggeln oder Legioneinkaufen ertappen ließen. Auch ließ er neulich vierzehn Rekruten, die von Hamburg schon abgesegelt waren, ruhig von der Polizei zurückholen, und verlangte nicht einmal das Werbegeld wieder.

Hätten die englischen Staatsmänner den wirklichen Begriff und das ehrliche Ehrgefühl „der westlichen Civilisation“, brauchten sie ihre Agenten nicht wie hausirende Bandjuden ohne Hausirschein umherschleichen zu lassen. Uebrigens meint man in England, man habe nicht Ursache, mit den bisherigen Hausir-Resultaten in Deutschland unzufrieden zu sein. Auf dem kleinen, offenen Plateau der Insel sehen die sich herumtreibenden aufgekauften Artikel wie ein Paar hundert Stück aus. Bis in die Mitte des Juni hatten sie auch nichts weiter zu thun, als Pökelfleisch zu essen und unter englischen wollenen Decken und englischen Hütten zu schlafen. Ohne Waffen und ohne Kleidung von einem Ende der Insel zum andern bummelnd und sich das Meer ansehend, kannten sie bisher keine andere Sorge, als den Durst zu löschen, der durch Pökelfleisch und Müßiggang stets höher stieg, als die dargereichten Flüssigkeiten wieder hinunter bringen konnten.

Am 20. Juni gingen drei englische Schiffe von London mit noch mehr Pökelfleisch, Porter, Uniformen, Waffen, Oefen u. s. w. und einige Tage später noch drei andere Schiffe von Portsmouth nach Helgoland ab, so daß es an Leben, Comfort und Beschäftigung dort nicht fehlen wird. Uebrigens sollen sie in Portionen zu je 500 nach England verschifft und dort zu Futter für Pulver einexercirt werden.[1] Unter dem bisherigen Vorrathe bemerkte man viel ehemalige „schleswig-holstein’sche Offiziere“, die also aus dem einen schleswig-holstein’schen Kriege in den andern übergehen.

Die Redakt. 
  1. Ist bereits geschehen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 374. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_374.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)