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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Da sank sein Blick plötzlich auf seiner langsamen Wanderung in ein blaues Augenpaar, in die Augen einer blonden, zarten Frau, die ganz allein seitwärts von den Andern stand. In demselben Augenblick stieß sie einen hellen Schrei aus, es war fast der Jubelruf eines Kindes, die leichte Gestalt flog schneller als Worte zu sagen vermögen, auf den Dichter zu, schlang die Arme um seinen Nacken und drückte lachend und weinend zugleich einen feurigen Kuß auf seine Lippen. Jean Paul umschlang unwillkürlich das liebe Geschöpf und drückte es an seine Brust, dann bog er das jugendliche Antlitz der Schwärmerin sanft zurück, sah sie lange an und sagte mit seelenvoller Innigkeit: „Kind! soll ich sagen, liebes oder böses Kind, was thust Du mir an?“ – Da riß sich die Hocherröthende plötzlich los von ihm, sah ihn noch einmal an, und lief dann dem Hause zu, Niemand hielt sie zurück.

Auf Jean Paul’s Frage nach dem Namen dieses holden Wesens, flüsterte man ihm zu, daß es die etwas excentrische jüngere Schwester der liebenswürdigen Wirthin sei, dann aber vermied man sichtlich jenen Vorfall wieder zu berühren, redete viel, war geistreich nach Kräften, streifte durch den Garten und setzte sich endlich zum Souper nieder. Auch hier erschien die junge Enthusiastein nicht. Des Dichters Gedanken suchten sie, und doch wagte er nicht, nach ihr zu fragen. Aber er wurde immer zerstreuter und unruhiger. Seine Tischnachbarin, eine längst verblühte Rose, bemühte sich auf alle erdenkliche Weise seine Aufmerksamkeit zu erregen. Hatte sie nicht ein Recht bemerkt zu werden von Dichteraugen, sie – selbst Dichterin, die so manches Lied von Frühling und Liebe im Musenalmanach gesungen, sie, die den Titan und Hesperus fast auswendig herzusagen wußte. In ihrer Verzweiflung ließ sie endlich die letzte Mine springen und redete ihren gefeierten Nachbar in Versen an. – Das schien zu wirken. – Jean Paul zuckte auf, wendete sich zu ihr, fuhr einige Mal mit seiner rechten Hand in sein Haar, blickte seine Nachbarin starr an, seufzte tief, schlug endlich mächtig auf seine Brust und sagte: „Rathen Sie, meine Gnädigste, wie viel mich diese gelbe Weste gekostet!“ – –

Dem Donnerschlag dieser Frage folgte eine gewitterschwüle Pause. Die Gefragte sah beleidigt aus. Die Nahesitzenden flüsterten das Gehörte den Ferneren zu, Alle nahmen diese Jean Paul’schen Worte mit feierlichen Mienen auf, die Unterhaltung stockte. – Da rief ein junger Mann von bescheidener Haltung, der dem Dichter gerade gegenüber saß, der Nachbarin des Gefeierten heiter lächelnd zu: „Das war mehr als ein Jean Paul’scher Sprung, wie Sie ihn so oft im Titan und Hesperus bewundert, gnädiges Fräulein, das war sogar ein Jean Paul’scher Fall. Bemitleiden Sie ihn, er stürzte aus dem Himmel Ihrer Augen in einen Zeugladen in der Neustadt, wo man billige Westen kauft!“

Der Dichter rief „Bravo“ und lachte herzlich, die ganze Tischgesellschaft stimmte ein, die verblühte Rose aber nickte dem freundlichen Trostspender holdselig zu.

Die schöne Hauswirthin hob die Tafel auf, Jean Paul nahm Abschied mit seinem Begleiter, der Wagen fuhr vor. Kurz vor dem Einsteigen zog aber der Dichter jenen jungen Mann, der ihm bei Tische gegenüber gesessen, auf die Seite und sagte sehr aufgeregt: „Sie wurden mir, dächt’ ich, als Bruder der Hauswirthin genannt. Sie haben ein gutes Herz und einen hellen Blick, das hab’ ich gesehen und gehört. Ich habe eine Bitte an das gute Herz und Vertrauen zu dem hellen Blick. – Sie müssen mir noch einmal den Anblick jener Schwester verschaffen, die dem glücklichen Dichter den schönsten Lohn so süß und und voll an’s Herz warf! Das war Natur, reiches, köstliches Ueberwallen eines Frauenherzens! – Ich will, ich muß sie noch einmal sehen, bald sehen und reden hören! Der liebe Kopf weicht mir nicht aus den Gedanken und die liebe Gestalt nicht aus dem Arm. Sie müssen mir helfen und Sie werden es thun. Bringen Sie mir die Antwort morgen in mein Zimmer, wir können hier nicht länger ungestört mit einander reden.“

Eine halbe Stunde nach diesen hastig ausgestoßenen Worten rollte Jean Paul an der Seite seines Freundes dem anmuthigen Dresden wieder zu.

Am folgenden Tage erhielt er einen gar reizenden Strauß von frischen Wald-, Feld- und Wiesenblumen und dazu folgende Zeilen:

„Will unser lieber Jean Paul, dessen großem Herzen und schlichtem Sinne, die einfachen Wald- und Feldblumen näher stehen als die prunkenden Blüthen fremder Zonen, eins der frischesten dieser Frühlingskinder noch einmal an seinem Herzen blühen sehen, so lenke er seine Schritte am folgenden Montage wiederum nach dem kastanienumschatteten Friedstein. Dort wird ihm eine Frau entgegentreten, die am gestrigen Abend das Dichterauge und den Himmel darin nicht ertrug, ohne sich hineinzustürzen mit Leib und Seele, eine Frau, die der Unterzeichnete mit Stolz – nicht seine Schwester – wohl aber sein Weib nennt.

Der Mann mit dem guten Herzen 
L. P. …“ 

Hier die Antwort des Dichters, die eben auf einem sehr vergilbten Blättchen vor der Erzählerin dieser Skizze liegt und folgendermaßen lautet:

Dresden, den 17. Mai 1822. 

„Sie sind ein Mann von Geist und Liebe. Erst auf dem Rückwege wurd’ ich über meine irrige Voraussetzung belehrt, denn sonst hätt’ ich mir meine Bitte nicht so kühn erlaubt. In Friedstein – das bei mir den Königstein überagt – werd’ ich Ihnen zum zweiten Male danken und länger. Am Montage wird gewiß die Schönheit des Himmels sich zur Schönheit der Erde gesellen; und meine ganze Seele freut sich auf diesen Tag der Liebe und Schönheit, und meine Lippen freuen sich auf die Wiederholung des neulichen Empfangs. Grüße an Alle.

Der Ihrige 
Jean Paul Fr. Richter.“ 

Ob ihm dieser ersehnte Empfang geworden? – O, gewiß’ und noch mehr als dies, er gewann an jener begeisterten Frau eine treue geistvolle Freundin, die noch bis zu ihrem Tode mit einem bezaubernden Lächeln, das ihr seelenvolles Gesicht wunderbar verjüngte, gar zu gern von jenem blauen lichten Himmel erzählte, der ihr einst, aus den Augen des warmherzigsten Dichters aller Zeiten, so überwältigend entgegen gestrahlt.




Blätter und Blüthen.

Die Flaschenpost. Man findet jetzt häufig in den Zeitungen Berichte von in der See aufgefundenen Flaschen, deren Inhalt, da der Zweck desselben der größeren Menge unbekannt ist, nur von geringem Interesse scheint, dem Institute aber, für welches er bestimmt, von höchster Wichtigkeit ist.

Diese Flaschenpost ist schon seit etwa einem halben Jahrhundert errichtet und wurde in letzterer Zeit in ein bestimmtes System gebracht. – Der Kapitain eines Schiffes giebt von dem Punkte, wo er sich befindet, Nachricht, er legt den Streifen Papier in eine leere Flasche, versiegelt sie und übergiebt sie den Wellen in der Hoffnung, daß sie irgendwo aufgefangen und ihr Inhalt veröffentlicht werde. – Dieses geschieht aber nicht, um sich einen Scherz mit der Neugier des Finders zu machen, sondern auf Veranlassung jenes Instituts und zu einem belehrenden Zweck. Es muß jedem Seefahrer von größter Wichtigkeit sein, die Stärke und die Richtung der Strömung des Oceans genau zu kennen, und um diese auszumitteln, verfiel man unter andern auf den Gedanken, jene Anstalt zu gründen.

Obgleich man nun nicht mit Sicherheit nach dem Ziel, das eine solche in’s Meer gesenkte Flasche erreicht, noch nach der Zeit bis zu ihrer Auffindung die Richtung und Stärke der Strömung berechnen kann – denn wie oft kann sie nicht hin- und zurückgetrieben sein, oder an einer unbesuchten Küste wer weiß wie lange gelegen haben, bis neue Wellen sie wieder hinweggespült – so ist die Frage doch für die Wissenschaft von zu großer Bedeutung, um irgend ein Mittel, Aufschlüsse zu erhalten, unversucht zu lassen. Gesetzt, eine Flasche sei am ersten Januar bei der Insel St. Helena in’s Meer geworfen und erst am letzten Tage desselben Jahres in der Nähe der Insel Wight aufgefischt worden, so wird sich daraus keineswegs folgern lassen, daß sie die gerade Richtung verfolgt, noch, daß sie während eines ganzen Jahres zwischen beiden Inseln auf den Wellen getrieben habe; allein wenn man verschiedene Flaschen an verschiedenen Tagen von demselben Punkte absendete, so würde die Vergleichung der verschiedenen Punkte wo, und des Zeitraums, bis zu welchen sie aufgefunden, zu einem Resultate führen, welches von großem Nutzen sein dürfte.

Kapitain Beecher, der Redakteur des „Nautical Magazine“ beschäftigt sich schon seit zehn Jahren damit, alle Berichte zu sammeln, welche die in der See aufgefundenen Flaschen enthalten. Er entwarf eine bemerkenswerthe Seekarte, welche genau die Reisen angiebt, die jede solcher Flaschen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_401.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)