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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 31. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Horace Vernet und der Jäger von Vincennes.[1]

Unter der Regierung Louis Philippe’s war einst ein Bataillon Jäger von Vincennes nach Versailles commandirt, um die Wachen dort zu versehen. Unter diesen Jägern befand sich ein junger Elsasser, dessen blaue Augen, blondes Haar und weißer Teint, aber auch sein stilles, sinniges Wesen den ächt germanischen Typus darstellten. Es war ein bildhübscher Bursche, schlank, gewandt und freundlich, obgleich er, wenn er allein war oder zu sein glaubte, in eine wehmüthige Stimmung gerieth, deren schmerzlicher Ausdruck sich dann deutlich auf seinem Gesichte ausprägte.

Der Hauptmann der Compagnie hatte Wohlgefallen an dem sittigen und braven Burschen und wählte ihn deswegen zu seinem Diener. Eines Tages traf ihn der Hauptmann wieder in solchem Sinnen und Wesen, wie er es schon oft an ihm bemerkt.

„Jean,“ sagte er, „warum gehst Du nicht einmal in die Gallerie, um die schönen Bilder zu sehen?“

„Darf ich denn, mein Kapitain?“ fragte Jean verwundert.

„Ob Du darfst, närrischer Kautz? Der König hat ja den Soldaten die besondere Erlaubniß gegeben. Geh, Niemand wird Dir etwas in den Weg legen.“

Jean eilte sogleich in das Schloß. Er hatte so viel von den schönen Schlachtenbildern reden gehört, die der Maler Horace Vernet gemacht habe, daß er längst vor Verlangen brannte, sie zu sehen. Die gegen seinen Hauptmann ausgesprochene Meinung hielt ihn indessen zurück, und sich auf gut Glück zuzudrängen, war er zu bescheiden.

Er trat denn nun mit pochendem Herzen in die Säle und wanderte langsam hindurch. Er wußte nicht, welche die Bilder des berühmten Malers seien, aber sie übten auf den unbefangenen Sohn des Volkes einen solchen Zauber aus, daß er gerade vor ihnen wie festgebannt stehen blieb. Als er gar zu denen der neuern Zeit und des afrikanischen Krieges kam, und da die Köpfe der Generale und Staabsoffiziere augenblicklich wieder erkannte, die er schon gesehen, die er genauer kannte, und von denen die Soldaten manch’ tapfres und braves Stücklein erzählen, da hätte er fast laut aufgeschrieen.

„Das ist ein Maler!“ sagte er endlich zu einem neben ihm stehenden Herrn. „Der versteht’s! Wissen Sie vielleicht den Namens?

„Horace Vernet!“ versetzte der Fremde.

„Ist der jetzt in Paris?“ fragte darauf rasch und erregt der Jäger.

„Ich glaube wohl,“ entgegnete der Fremde. „Vor acht Tagen wenigstens habe ich ihn noch in den Champs Elysées lustwandeln gesehen.“

Jean dankte für die Mittheilung und vollendete seine Bilderschau mit dem festen Entschlusse, jede freie Stunde zum Wiederbetrachten dieser Bilder zu verwenden. Freilich blieb ihm Vieles, Historisches namentlich, dunkel. Als er das seinem freundlichen Kapitain äußerte, gab dieser ihm den „Führer durch die Gallerie,“ ein Büchlein, welches die historische Bedeutung jedes Bildes mittheilt, und von jetzt an sah man den Jäger von Vincennes jeden Tag, mit seinem Büchlein in der Hand, in der Gallerie, so lange das Bataillon in Versailles stand. Endlich zurückgekehrt nach Paris, wurde die Nachricht im Bataillone bekannt, es sei nach Algerien bestimmt, und werde in Oran seine Standquartiere erhalten.

Seit dieser Zeit wurde die Gemüthsstimmung Jean's immer trüber und düsterer; er wurde einsylbiger und besonders noch sparsamer, als er bis jetzt gewesen war, und seine Kameraden Larivière und Stampfler meinten neckend, er werde jetzt die Zehntausend-Francs-Rente vollmachen wollen, ehe er mit den Kabylen vertraute Bekanntschaft mache. Er aber lächelte zu solchen Bemerkungen, und was in ihm vorging, errieth Keiner.

Eines schönen Morgens stand Horace Vernet in seinem Atelier vor der Staffelei und der Pinsel fuhr mit raschem, kräftigem, breitem Striche über die grundirte Leinwand. Einzelformen und Gestalten traten schon hervor und ließen fast ahnen, daß es sich um ein afrikanisches Schlachtenbild handle, welches ihm der König aufgetragen.

Es war stille im Atelier. Für neugierige Besucher der kunstliebenden Stände war es zu frühe. Das waren und sind des Künstlers schönste Stunden schöpferischer Thätigkeit, und Horace Vernet war so in seinen Gegenstand vertieft, daß er es gar nicht wahrnahm, wie Jemand leise eintrat.

Endlich verrieth ein umsonst zu unterdrücken versuchtes Husten die Anwesenheit eines betrachtenden Fremden.

Horace Vernet wandte sich um - und vor ihm stand leuchtenden Auges ein Jäger von Vincennes.

An solch einen Besucher war der Maler nicht gewöhnt. Er betrachtete den schönen jungen Mann aufmerksam mit seinem scharfen Blicke und der ächt deutsche Charakter fiel ihm in eben dem Maße auf, als er in dieser Persönlichkeit ihm gefiel.


  1. Die hier erzählte Begebenheit hat dem Ref. eine hochgebildete und hochgestellte Pariserin mitgetheilt, die mit dem Maler und seiner Familie in vielfacher Beziehung stand. Er hält es für nöthig, das hier ausdrücklich zu bemerken.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_403.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)