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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Jean, denn er war's, stand einen Augenblick verlegen da und schlug mit mädchenhaftem Erröthen das Auge nieder, als des Malers ausdrucksvoller Blick auf ihm ruhte. Als aber in dem Blicke gar nichts Unfreundliches zu finden war, ermuthigte er sich, grüßte ehrerbietig und bat um Entschuldigung, daß er so keck gewesen sei, hier einzutreten.

„Ich habe,“ sagte er, beherzter geworden durch des Künstlers Zuvorkommenheit, Ihre köstlichen Bilder in der Gallerie zu Versailles so oft bewundert, daß ich einmal gern sehen wollte, wie Sie sie machen.“

Hatte schon die äußere Erscheinung des schönen Burschen auf den Künstler einen günstigen Eindruck gemacht, so wurde dieser nun durch die naive Art und Weise seines Ausdrucks noch erhöht und Horace Vernet legte Pinsel und Palette weg, um ihm den Caron des Bildes zu zeigen, das er malen wollte.

„Ach!“ rief bewundernd der Jäger, das ist gewiß die Schlacht von Isly?“

Der Künstler blickte den Jäger nicht ohne Erstaunen an. „Warst Du etwa dabei, mein Freund?“ fragte er überrascht. „Doch nein,“ setzte er, sich selbst berichtigend hinzu, „Deine Gesichtsfarbe trägt nicht das Gepräge der Wüste.“

Jean seufzte und bestätigte das, setzte aber hinzu. „er werde wohl in der Zeit eines Monats jenes Gepräge tragen, denn sein Bataillon sei nach Afrika bestimmt.“

„Aber woran erkennst Du denn die Schlacht von Isly?“ fragte der Maler, der gerne den Grund der ausgesprochenen Meinung gewußt hätte.

„Das will ich Ihnen sagen, Herr Vernet,“ sprach darauf zutraulicher werbdend der Elsasser. „Sie haben alle früheren, wichtigen Waffenthaten in Afrika schon gemalt, und da meint’ ich, Sie müßten jetzt an der stehen; aber das ist’s nicht allein. Ich habe in den Invaliden einen Kameraden von den Chasseurs d’Afrique, der ist dabei gewesen und hat mir davon so viel erzählt, daß ich mir so eine Vorstellung davon gemacht, die ich hier fast verwirklicht sehe. Ueberdies kenne ich die Generale und den Herzog, und die leiben und leben ja da auf dem Bilde! Sagen Sie mir doch, wie Sie das so fertig bringen?“

Der Künstler lächelte und meinte: das könne er ihm so eigentlich nicht auseinandersetzen, weil – er’s selber nicht wisse.

Jean sah ihn erstaunt, aber ungläubig an.

„Treffen Sie denn Jeden so?“ fragte er dann etwas ängstlich.

„Ich glaube wohl,“ entgegnete der Künstler, der immer mehr Interesse an der Unterredung und dem Menschen nahm.

„Das hab’ ich mir gleich gedacht,“ fiel Jean rasch ein. „Denn Ihre Bilder leben. Sacre nom de Dieu!“ rief er aus, „selbst die Pferde leben und wie aus den Augen das Feuer sprüht! Herr, es ist eine helle Pracht! Und die Kanonen und das Feuer! Man meint – Paff! jetzt kracht’s und duckt sich ordentlich vor Furcht.“

Vernet lächelte und hörte dem Geplauder des ehrlichen Elsässers mit Vergnügen zu. Es entging ihm indessen nicht, daß er noch etwas Besonderes auf dem Herzen haben müsse, dem er auf die Spur kommen wollte. Jean war indessen im Zuge gemüthlichsten Plauderns.

„Wie haben Sie aber die Generale und Stabsoffiziere getroffen! Man meint, sie wollten Einem gleich Befehle geben! Ja, mit dem Treffen, das ist so eine Sache, die Sie meisterhaft verstehen und daran thut’s Ihnen Keiner gleich. – Meine Kameraden, der Larivière und der Stampfler haben sich, da’s nach Afrika geht, bei dem Petetin in Vincennes auch malen lassen für die Ihrigen daheim, aber, fi donc! das ist pure Schmiererei, und sie stehen da, wie Holzböcke und Schanzkörbe. Nichts gleicht, als die Uniform – die Gesichter wahrlich nicht. Nun, frag’ ich Sie, Herr Vernet, was thun ihre Leute zu Haus damit? Ein Bild, mein’ ich, müsste gleichen, dann ist’s ein Andenken an Den, den vielleicht bald der heiße Sand der Wüste deckt. – Und der Petetin lässt sich schweres Geld dafür bezahlen –“

„Wirklich?“ fragte Vernet.

„Ja, denken Sie nur, einen ganzen Franken!“ rief unmuthig Jean aus.

„Wahrlich, das ist zu viel, wenn das Bild nicht gleicht,“ sagte Vernet. „Das sag’ ich auch,“ fuhr Jean fort, der sich nun, zutraulich gemacht, ganz gehen ließ. „Ein armer Soldat hat doch nicht viel herzugeben. Und Einen so zu schröpfen für ein Bild, das nicht ähnlich ist, pfui!“

„Gewiß!“ sagte Vernet; „aber hast Du denn nicht daran gedacht, Dein Bildniß den Deinigen zu senden?“

„Ich?“ fragte sehr betroffen Jean. – „Ja – ja, ich habe wohl – daran gedacht; – aber –“

„Nun, was hielt Dich zurück?“

„Ich will’s Ihnen ehrlich gestehen,“ fuhr Jean fort und redete mit gedämpfter Stimme, als dürfe das Niemand außer Vernet hören: „von dem Petetin will ich nicht gemalt sein. Was sollte mein armes, liebes Mütterlein daheim dran haben, wenn sie ihren Sohn darin nicht sähe? – Wenn sie ihn nicht erkennte, und ihren Blick mit Liebe darauf heften, mit ihm in Gedanken plaudern könnte. Nein, von dem Petetin wollte ich einmal nicht gemalt sein; aber doch – das leugne ich nicht, lag es mir am Herzen, meiner lieben, guten Mutter mein Bild zu senden, und als ich Ihre Bilder in Versailles gesehen, da sagte ich zu mir: Jean, wenn du dich malen lässest, so muß es der Herr Vernet thun, der trifft doch zum Sprechen! Aber – da fiel mir etwas auf das Herz. Das Geld nämlich, denn ich dachte, bei Ihnen werde so ein Bild ohne Zweifel das Doppelte kosten, wie bei dem Petetin –“

„Und das brachtest Du nicht zusammen?“ fragte lächelnd Vernet.

„Ach,“ sagte Jean, „mein Herr, halten Sie mich nicht für einen Leichtfertigen. Hören Sie erst, wie es um mich steht, dann werden Sie mir glauben, daß ich seit zwei Monaten darauf spare.

„Und das brachtest Du nicht zusammen?“ fragte lächelnd Vernet.

„Ach,“ sagte Jean, „mein Herr, halten Sie mich nicht für einen Leichtfertigen. Hören Sie erst, wie es um mich steht, dann werden Sie mir glauben, daß ich seit zwei Monaten darauf spare.

„Mein Vater war ein Weber in der Nähe von Mühlhausen und er lehrte mich, als ich heranwuchs, dies Geschäft. Herr Köchlin in Mühlhausen gab uns immer Verdienst, daß wir uns ernähren konnten; aber gerade, als meines Vaters Kräfte nachließen, und er meiner erst recht bedurft hätte, wurde ich gezogen und Soldat. Sie können sich’s denken, wie ich mit schwerem Herzen die alten Aeltern verließ! Meinen ganzen Sold schickte ich ihnen regelmäßig und behalf mich kümmerlich. Die Liebe zu den guten Aeltern, Herr Vernet, macht jedes Entsagen leicht.

„So vergingen zwei Jahre, da starb mein Vater und meine arme, alte Mutter war völlig hülflos. Von meinem Solde konnte sie nicht leben. Ich that alle Schritte, um frei zu werden, da das Gesetz den Ernährer einer Wittwe frei giebt; aber es blieb Alles ohne Erfolg. Man beachtete meine Eingabe nicht! Gott weiß, wie es zuging. Andere kamen frei, ich nicht!“

„Das ist ungerecht!“ rief Vernet mit Entrüstung.

„Das ist es gewiß,“ sagte Jean, „allein ich bin arm, ohne Fürsprecher, ohne einflußreiche Freunde. – Nun, Sie wissen, wie es eben in der Welt geht; ich mußte Soldat bleiben und meine theure Mutter darbte. Da fügte es Gott, daß ich meines Hauptmanns Diener wurde, wofür ich monatlich fünf Francs beziehe. Damit konnte ich mein liebes Mütterlein wirksamer unterstützen, und hab’ es ihr mit meinem ganzen Solde monatlich geschickt. Ach, mein Herr, was war mir das ein süßer Lohn und wie glücklich war ich, daß ich es konnte! Wär’ ich freilich zu Hause, dann könnte ich weben, und es geht mir von der Hand – aber leider muß ich nun nach Afrika und – mir ahnet’s – daß ich dort mein Grab finden werde. Da dacht’ ich meiner theuern Mutter wenigstens mein Bild zu hinterlassen und habe seit zwei Monaten jeden Centime gespart, aber, ich habe nur Einen Francs und fünfundsiebenzig Centimes zusammengebracht und der Zeitpunkt der Einschiffung rückt näher und näher heran. So wollt’ ich Sie denn fragen, ob Sie für dies Geld, mein Alles, mich malen wollten? – Ach, wenn Sie’s könnten, wie würde mein Mütterlein glücklich dadurch!“

Vernet war tief ergriffen von dem einfach schlichten Worte, von der innigen treuen Kindesliebe und von der gutmüthigen Offenheit des jungen Menschen. Es wurde ihm weich um das Herz und sein Auge wurde feucht.

Er schwieg eine Weile und Jean betrachtete ihn mit Spannung, schwebend zwischen Furcht und Hoffnung.

Endlich sagte Vernet: „Wohlan, mein Freund, ich will Dir das Bild malen und ich denke, es soll besser werden, als das Petetin’s, den ich übrigens nicht kenne. – „Ich glaub's wohl,“ fiel ihm Jean in die Rede, „er ist Tüncher seines Handwerks und malt nebenbei Soldaten, die die Esel für Portraits nehmen.“

„So?“ sagte Vernet, sich ernst haltend. „Ich weiß indessen nicht,“ fuhr er fort, „ob ich vor nächstem Sonntag daran komme.

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