Seite:Die Gartenlaube (1855) 413.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

sie unter, und ich eilte hinweg, aus Furcht, sie könnte sich ersäufen, um nicht gesehen zu werden.

Die Hauptthür zu unserem Hause stand immer offen, so daß Weiber und Kinder sich oft hereinstahlen, um uns erst aus der Ferne in großäugiger Verwunderung anzustaunen, dann leise näher zu treten und ernstlich und andächtig auf uns seltsame Exemplare des Menschengeschlechts zu starren. Den tiefsten Respekt hatten sie vor unsern Büchern und unserer Kunst, darin zu lesen. Das erschien ihnen ganz übermenschlich. Sie besahen die Bücher von Innen und Außen, gingen um uns herum, schüttelten mit den Köpfen, wunderten sich gegenseitig an und gingen ganz in Wunder und Staunen davon.

Eines Morgens traten wir eine lange vorher besprochene Reise zu einem türkischen Landeigenthümer mit einem unaussprechlichen Namen an. Er bewirtschaftete sein Gut selber. Wir wollten nur ein Bild von dieser Wirthschaft haben. Sein Grundbesitz war größer als manche unserer Grafschaften, so daß wir ein gewaltiges Vorurtheil von Respect mitnahmen. Unsere Straße führte uns über fetteste, üppigste Landstrecken hin, die nach Kultur schrien, auch innerhalb des Gebietes unseres großen Landwirths, der von seinem Vater etwas knapp gehalten worden war, und nach dessen Tode die Freiheit sofort dazu benutzt hatte, nach Constantinopel zu reisen und „das Leben zu genießen.“ So hatte er natürlich Schulden gemacht, welche durch Pfändung gedeckt wurden. Auch lebte er unter einer Art Verbannung. Die Regierung hatte ihm nämlich gerathen, bis auf Weiteres hübsch zu Hause zu bleiben. Dies mochte den traurigen Anblick der Residenz dieses Herrn erhöhen. Das Haus war lang, einstöckig und öde, mit einzelnen Anbauten und besondern Zimmern für die Frauen. Das Ganze sah wie ausgestorben aus. Das Getrappel unserer Pferde versetzte die vorher verschlafenen Hunde in bellende Wuth, durch welche einige dienstbare Geister erweckt und auf die Beine gebracht wurden, für unsere Pferde zu sorgen, während wir unangemeldet, wie alte Bekannte, hineinschritten. Es war ein merkwürdiger Stil von Besuch. Wir gingen von der äußern Thür in eine große Halle. den Lieblingsaufenthalt aller Türken, mit Kissen an den Seiten hin und einen Springbrunnen in der Mitte, dem ganzen Meublement. Kein menschliches Wesen ließ sich sehen, bis wir in eins der anstoßenden Zimmer traten. Hier kühlten sich einige Melonen im Bassin des andern Springbrunnens, und der Hausherr lag daneben, that nichts und rauchte Tabak dazu.

Ein dummer, langer Mann mit delicatem Gesicht, das aber wie gestorben aussah, zumal da er als gebildeter Mann von Lebensart in Gegenwart unverschleierter Damen nichts Anderes thun konnte, als die Augen an den Boden zu heften. Seltsame Sitten! Wir mußten ihm frech erscheinen und möchten doch keinen Augenblick eine der peinlich gehüteten Perlen eines Harems sein. - Drei Diener standen wie von Stein umher, so daß es mir schien, als seien diese Gestalten alle in dem staubigen, schmutzigen Raume hier von der Geschichte vergessen worden, und aus Versehen aus frühern Jahrhunderten hier kleben geblieben. Alles umher athmete verstaubte, öde Trostlosigkeit. Auch das alte, verwitterte Weib, welches jetzt erschien, um uns, den weiblichen Theil des Besuchs, in ihre Zimmer einzuladen, erschien wie ein Stück vertrocknete Geschichte. Wir folgten ihr durch den Hof, auf dem gigantische, schwarze, rauhe Buffalo’s mit fürchterlichen Hörnern umher lagen, in den Harem, den man sich in der Regel als reizend vorstellt. Aber dieser war, wie die meisten, die ich gesehen, traurig, öde, staubig, kahl und geistlos. Wir wurden zuerst der Mutter des Herrn vorgestellt, einer starken, freundlichen Dame, dann seiner einzigen Frau, einem blassen, gebrechlichen Mädchen, die wir für ein schönes Kind hätten halten können, wenn sie nicht so kränklich und hülflos aussähe. Sie trug die üblichen, weiten Beinkleider mit einer kurzen Tunika und einer Jacke von Tuch mit Pelz verbrämt. Ihr schwarzes Haar hing lose herab unter dem ewigen Fez hervor, der noch mit farbigem Mousselin umwickelt war. Die Dienerinnen trugen sich in demselben Stile, nur von hellfarbigem, englischem Kattun.

Die Unterhaltung war nicht sehr interessant, da sie uns schwer ward und die Damen wegen ihres Negligee offenbar Verlegenheit fühlten. Sie bestand aus kurzen Fragen und Antworten. Nur auf die Frage, ob sie viel von dem Fieber des Landes litten, wurden sie sehr lebhaft und läugneten dies in aufgeregtester Weise.

Eine der Damen sprang auf, faßte meine beiden Hände und rief ängstlich: „Yok! Yok! – Yok! Yok!“ (Nein! Nein!) als wenn man das Fieber just schon von bloßer Erwähnung bekommen könne. Die blassen, kränklichen Gesichter bestätigten dies auch nur zu gut. Fieber ist das Gift von ganz Kleinasien. Eine Sclavin machte uns in üblicher Weise Kaffee auf einem Dreifuße im Winkel des Zimmers mit Holzkohlen, in einem rostigen entstellten Kessel, dick wie Honig und ohne Milch und Zucker in kleinen Gefäßen (wie Eierhalter) auf kleinen silbernen Bretchen umher gereicht. Das Aroma ist schön, aber das Trinken oder Essen dieses schwarzen Brei’s war uns ein großes Opfer, das wir aber bringen mußten, um nicht auf das Grimmigste zu beleidigen. Nach dem Kaffee Früchte, eingemachte Kirschen, ein Präparat von Rosen und andern Delicatessen, die mit kleinen silbernen Löffeln gegessen werden. Dabei wird Wasser herum gereicht. Nach dieser Erquickung traten wir unsere Rückreise an, froh, daß es bei uns keine Harems giebt und keine verschlafenen Türken, die keine Dame, die sie nicht gekauft, ansehen dürfen.

Nach einigen Tagen erwiederte der galante Türke unsern Besuch, malerisch angethan auf einem schönen Rosse. Da er aber keinen Mann zu Hause fand, ritt er wieder fort, aus Galanterie nicht die geringste Notiz von uns nehmend. Uns erschien das freilich wie das roheste Bauernthum.

Klima und Vegetation sind hier wahrhaft paradiesisch, und wenn Kultur dazu käme, könnte ein Morgen hier mehr leisten als bei uns in Monden eine Quadratmeile. Pflanzen und Bäume wachsen und blühen mit einem Luxus, einer Ueppigkeit, daß man an Wunder glauben lernt. Man wirft hier irgendwo etwas Samen hin, und in einigen Wochen wogt und blüht und fruchtet es, daß man vor Fülle umkommen möchte. Man kauft für einen Penny so viel Melonen, wie kein Mensch fortschleppen kann.

Aber nach jeder Ueberfülle des Sommers folgt der verhungernde Winter. Kein Türke denkt daran, Vorräthe für den Winter zu sammeln, so daß während der Zeit jedesmal die Hälfte des Viehs tatsächlich verhungert und die andere als Knochengerippe dem Frühlinge zu wankt. Manche Franken von England, Frankreich, Deutschland u. s. w., haben sich durch die ungeheuere Wohlfeilheit des reichsten Bodens verleiten lassen, sich hier anzusiedeln, aber sie kamen um in der Fülle, die sie aus Mangel an Wagen und Absatzstellen nicht verwerthen, und daher nicht zu Mitteln machen können, den Ackerbau zu verbessern und ihr Leben mit den nöthigsten Bedürfnissen der Civilisation zu versorgen. Die üppige, jedes Jahr in sich selbst verfaulende Vegetation unterhält stets eine giftige Fieberluft, in der die Ansiedler jämmerlich dahin sterben. Wir waren Zeuge eines herzzerreißenden Beispieles der Art. Eines Morgens erfuhren wir, daß die Frau eines Franzosen, der sich unweit von uns angesiedelt hatte, im größten Elend lebe. Ihr Mann sei abwesend, ihr Kind liege im Sterben. Wir ritten am nächsten Tage zu ihr. Ich werde den Anblick, der uns hier begegnete, nie vergessen. Eingefallene oder noch halb stehende Ställe, ein Unkraut überwucherter Hof mit ein Paar Gänsen, ein verschlossenes, spaltiges, abgebröckeltes Häuschen. Wir klopften, aber der Wiederhall kam hohl zurück, wie aus einer todten Höhle. Endlich öffnete uns die blasse Mutter mit einem entsetzlichen Kinde aus ihrem Arme, zusammengefallen. Es war vier Jahr alt und hatte ein hundertjähriges, verwittertes, tieffaltiges, gelbes Gesichtchen mit großen, klugen Augen. Es wimmerte fortwährend in einem eintönigen, schwachen Jammer an der Brust ihrer Mutter zusammengekauert. Die Beinchen hingen wie Skelette machtlos herab. Die Mutter suchte mit angeborner Höflichkeit uns Sitze zu verschaffen und färbte sich mit dem aufleuchtenden Roth neuer Hoffnung unter unserm trostreichen Zuspruch. Sie wußte nicht, wo ihr Mann war. Er war weggegangen, um sein Heil irgendwie zu versuchen, da er zu Hause der Verzweiflung an jedem Erfolge verfallen war. Geschrieben hatte er einige Mal und auch einmal Geld geschickt - fünf Piaster (etwa zehn Silbergroschen), sonst aber nichts von sich hören lassen. Sie hatte Niemand, ihr oder dem Kinde zu helfen.

Einige Frauen, die ihr kurz vorher Mais gehülset, hatten mehr mitgenommen als zurückgelassen. Kein Pfennig im Hause, kein Freund in der Nähe ringsum, unter sich den heißen Sumpf, der das Kind verzehrte, so einsam und unglücklich hatte ich noch kein Weib gesehen. Und doch glänzte noch die nationale Heiterkeit der Französin auf ihrem Gesichte. Wir wollten helfen, ohne gerade Almosen zu bieten, wurden daher von einer Passion für Gänse

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_413.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)