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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

zu lassen. Ruhig gab er sich seinen literarischen Arbeiten hin, die in den Journalen freudig begrüßt wurden, da sie ein nicht gewöhnliches Talent und einen reinen Geschmack bekundeten.

Um die Zeit trat Philipp eines Morgens in das Zimmer seiner Gattin. Sie empfing ihn mit gewohnter Zärtlichkeit.

„Bist Du glücklich gewesen in Deinen Nachforschungen?“ fragte sie.

„Nein, meine Geliebte! Der letzte Brief aus Breslau meldet mir, daß sich der Amtmann mit seiner Familie aus jener Gegend entfernt haben müsse, denn er sei nicht aufzufinden. Ich habe nun der Polizeibehörde Auftrag gegeben, daß sie Nachforschungen anstelle, und schon in den nächsten Tagen werde ich eine Aufforderung in der Zeitung ergehen lassen.“

„Ich bin in eine unangenehme Nothwendigkeit versetzt,“ sagte Josephine in einem verdrießlichen Tone.

„Was ist geschehen?“

„Die Verhältnisse zwingen mich, eine Abendgesellschaft zu geben, wenn ich nicht als die geizigste Person von der Welt verschrien sein will. Ich habe schon scherzhafte und ernste Anspielungen hören müssen. Was räthst Du mir?“

„So gieb die Gesellschaft, wenn Du nicht umhin kannst.“

„Und unter welchem Titel wirst Du erscheinen?“

„Spiele die Beschützerin der schönen Künste und Wissenschaften, und lade mich als einen armen Novellenschreiber zu Tische.“

„Vortrefflich, Philip, so kannst Du Charakterstudien machen, denn Du wirst interessante Persönlichkeiten vorfinden.“

Beide saßen beim Frühstück, als die Kammerfrau ein junges Mädchen anmeldete, das zugleich beifolgende Karte übergeben habe.

Josephine betrachtete das elegante Papier, es enthielt den Namen der Madame F., der Gattin des befreundeten Banquiers. Auf der Rückseite standen die Worte. „Ist Madame Lindsor dringend empfohlen.“ Da ein Abweisen unstatthaft war, gab Josephine Auftrag, die Ueberbringerin der Karte eintreten zu lassen. Eine Minute später öffnete die Zofe die Thür wieder, und ein junges Mädchen erschien schüchtern auf der Schwelle.

„Treten Sie näher, mein Kind!“ sagte freundlich Josephine.

Die Angeredete war ein allerliebstes junges Mädchen von neunzehn Jahren mit blonden Haaren, einem feinen rosigen Teint, großen himmelblauen Augen und von zarter, eleganter Gestalt. Sie mußte trauern, denn sie trug ein schwarzes Kleid von grober Wolle, und einen kleinen Hut ohne allen Schmuck von derselben Farbe. Trotz der noch herrschenden Frühlingsfrische lag nur ein leichtes Tuch auf den schneeweißen Schultern. Ihre von Weinen gerötheten Augen, sowie der schmerzliche Ausdruck ihres lieblichen Gesichts verriethen, daß sie viel gelitten hatte. Die Trauernde stand mit gesenkten Blicken stumm und unbeweglich neben der Thür, unter dem linken Arme trug sie einen Karton von blauer Pappe. Philipp bemerkte mit Erstaunen, welch’ eine züchtige Jungfräulichkeit über der ganzen Erscheinung ausgegossen lag. Er konnte kaum seine Blicke von ihr abwenden. Josephine war gerührt von ihrem Anblicke.

„Ich bitte, mein liebes Kind,“ sagte sie mild, „tragen Sie mir ohne Scheu Ihr Anliegen vor. Die Empfehlung, die Ihnen vorangegangen, sichert Ihnen ein geneigtes Gehör.“

Die bleichen Wangen des jungen Mädchens färbte ein flüchtiges Roth. Dann schlug sie die langen Augenwimpern empor und sagte in einem zitternden Tone, der indeß mehr Schmerz als Furcht verrieth:

„Madame, dieser Karton enthält ein Kleid, das ich bereits den ersten Damen der Stadt zum Kaufe angeboten habe; allein alle weisen es mit dem Bemerken zurück, daß sie die dafür geforderte Summe nicht zahlen könnten.“

„Hat Ihnen auch Madame F., deren Karte Sie mir überreichten, dieselbe Antwort ertheilt?“ fragte Josephine, die eine Anspielung auf ihren Geiz in dem ganzen Handel zu erblicken glaubte.

„Ja, Madame! Sie fügte noch hinzu, daß eine Dame ihres Alters ein so kostbares Kleid nicht tragen dürfe, ohne lächerlich zu erscheinen, auch wenn sie den Kostenpunkt nicht berücksichtigen wolle. Dann gab sie mir die Empfehlungskarte mit dem Bemerken, daß Madame Lindsor keinen Grund haben könne, den Kauf abzulehnen. Sie sei jung, schön und reich!“

Die letzten Worte flüsterte das trauernde Mädchen so leise, daß sie kaum zu verstehen waren. Und zugleich nahm sie den Deckel von dem Karton, trat dem Sopha näher, und präsentirte ihren Verkaufsartikel.

Josephine stieß einen Schrei der Bewunderung und Ueberraschung aus.

„Himmel, welch’ eine köstliche Robe!“ rief sie, indem sie mit der allen Frauen eigenen Neugierde, wenn sie ein pikantes Toilettenstück erblicken, das Kleid auf dem Sopha ausbreitete, um die Feinheit des Mousselins und die bewunderungswürdige Stickerei besser beurtheilen zu können. Und wahrlich, hier zeigte sich ein Meisterstück, wie es wohl selten der neugierige Blick einer Tochter Eva’s gesehen hat. Blumen und Blätter von den geschmackvollsten Farben und Gestalten waren so dicht in einander verschlungen, daß man kaum den weißen Grund des Mousselins gewahren konnte. Das Kleid war von einer Sauberkeit und Eleganz, daß man es lieber für das Wunder einer launenhaften Fee, als für die Arbeit einer weiblichen Hand hätte halten mögen. War Philipp auch kein Kenner von Dingen dieser Art, so mußte er dennoch staunen über dieses Wunder von Geduld und Geschicklichkeit.

Wohl eine Minute verharrte Josephine in stummer Verwunderung vor dem ausgebreiteten Schatze, dann wandte sie sich zu der schüchternen Verkäuferin.

„Wer ist die Stickerin?“

„Sie hat die Ehre vor Ihnen zu stehen, Madame!“ antwortete das junge Mädchen mit einer leichten Verbeugung und indem ihr eine Thräne über die bleiche Wange rann.

„Wieviel Zeit haben Sie darauf verwendet?“

„Zwei Jahre!“ war die seufzend ertheilte Antwort. „Und dabei habe ich Tag und Nacht gearbeitet.“

„O, ich glaube Ihnen, armes Kind! und haben Sie diese mühsame Arbeit unternommen, um sie zu verkaufen?“

„Nein; sie war ursprünglich zu einem andern, für mich schönern Zwecke bestimmt. Aber leider bin ich jetzt gezwungen, sie um einen hohen Preis zu verkaufen, weil ich des Geldes nothwendig bedarf. Gebe der Himmel, daß ich einen Käufer finde!“ fügte sie mit einem Blicke auf Philipp hinzu, als ob sie ihn um seine Fürsprache bäte.

„Welchen Preis fordern Sie?“ fragte der junge Mann.

Die niedliche Verkäuferin schwieg einen Augenblick, als ob sie Furcht hätte, die verhängnißvollen Worte auszusprechen, die schon so oft ihre Hoffnung zertrümmert; dann flüsterte sie ganz leise:

„Dreihundert Thaler!“

„Dreihundert Thaler!“ wiederholte Josephine mit jenem unbeschreiblichen Ausdrucke, den nur schöne Frauen in den Blick und in das Lächeln zu legen wissen. „Das ist viel! Philipp, ein Kleid um einen solchen Preis!“ wandte sie sich zu ihrem Gatten.

Dieser antwortete durch ein bedauerndes Lächeln.

Die Trauernde sah zwar lächelnd Philipp’s Gattin an, aber ein Strom von Thränen entrang sich ihren großen Augen.

„Madame,“ flüsterte sie mit unterdrücktem Schluchzen, „ich weiß, daß ich eine große Summe fordere; aber was ist sie für eine reiche Dame? Sie üben ein Werk der Wohlthätigkeit, wenn Sie mir die mühsame Arbeit abkaufen. Ach, Madame,“ rief sie lauter, indem sie wie eine Betende die flachen Hände zusammenlegte und fast auf die Knie sank „weisen Sie mich nicht ab, ich gehe der Verzweiflung entgegen, wenn ich mit leeren Händen Ihr Haus verlasse. Wäre es möglich, ich würde mich mit der Hälfte, selbst dem dritten Theile begnügen, aber es darf nicht ein Groschen an der geforderten Summe fehlen – ich kann nicht anders!“

Sie zog ein weißes Tuch hervor, um die Thränen zu trocknen.

Die beiden Gatten sahen sich in schmerzlicher Verwunderung einander an.

„Mein Kind,“ begann Josephine nach einer Pause halten Sie mich nicht für geizig oder hartherzig. Könnte ich frei über mein Vermögen schalten, ich würde nicht um eine Minute Ihre Sorge verlängern, auch wenn mich der Besitz dieses prachtvollen Kleides nicht reizte. O, mein Gott, Philipp, was kann ich thun?“ flüsterte sie ihm zu. „Unsere Grundsätze werden auf eine harte Probe gestellt. Die Empfehlung der Madame F. provocirt meine Ehre, und dieses arme Kind meine Wohlthätigkeit.“

Auch Philipp war gerührt.

„Wer sind Sie, mein Kind? fragte er die Weinende. Nennen Sie uns Ihren Namen und Ihre Wohnung.“

„Anna Bornstedt!“ flüsterte sie.

„Wie?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_417.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)