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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Krankheiten zu gewinnen, diese höchst ernst Aufgabe beschäftigte mich seit den Jahren 1816, 1817 bei Tag und Nacht, und siehe! der Geber alles guten ließ mich allmälig in diesem Zeitraume durch unablässiges Nachdenken, unermüdete Forschungen, treue Beobachtungen und die genauesten Versuche das erhabene Räthsel zum Wohle der Menschen lösen.“ Was ist nun die Auflösung dieses erhabenen Räthsels? Sie ist: sieben Achtel der chronischen Kranken leiden an verborgener Krätze, ein Sechzehntel an verborgener Syphilis und das letzte Sechzehntel an Feigwarzensiechthum, und dagegen muß curirt werden. Was soll man nun von einem Manne sagen, der 12 Jahre lang, obschon er genau wußte, daß seine Heilmethode gegen die meisten Krankheiten nichts taugte, dennoch fortwährend für die unumstößliche Wahrhaftigkeit derselben einstand und diese dann plötzlich wieder über den Haufen stieß?

Das ist nun der Mann, welcher Luthern an die Seite zu setzen ist und dem man in der intelligenten Weltstadt Leipzig ein Denkmal zu setzen gestattete!!! Die folgenden Thatsachen werden das Gesagte bestätigen helfen.

Das Original des nachstehend abgedruckten Briefes befindet sich in der Autographensammlung eines hochgestellten Mannes zu Dresden. Der Patient, an welchen der Brief gerichtet ist, ging trotz der „mit viel Aufwand an Mühe und Kosten“ (NB. durch Schütteln und Verdünnen) von Hahnemann bereiteten Arzneien zu Grunde. Seine zwei Schwäger aber leben noch und gehören einer nahmhaften Familie Leipzigs an.

Lieber Herr N.

Ich schicke ihnen hier die Ihnen dienliche Arznei, die ich auf bewußte Weise fort zu brauchen bitte. Es wird noch ferner besser werden. – Sie wollten mir 10 Thlr. gleich nach den Feiertagen zustellen. Ich muß Sie aber bitten, mir zwanzig Thaler morgen oder übermorgen zu übermachen. Sie können nicht glauben, wie viel Aufwand an Mühe und Kosten mir die Zubereitung meiner Arzneien verursacht, um das damit ausrichten zu können, was ich wirklich damit ausrichte und Niemand mir nachthut.

Ergebenst Dr. Sam. Hahnemann.

Zwei achtbare Bürger Leipzigs (deren Namen durch den Verf. zu erfahren sind) gestatteten mir Folgendes zu veröffentlichen: 1) die Tochter Hahnemann’s, welche ihrem Vater in Paris bei seiner großen Hauspraxis Beistand leistete, versicherte Herrn N., daß alle Patienten Streukügelchen blos aus Milchzucker erhalten hätten. – 2) Als Herr N. von einer Tochter Hahnemann’s, die seine Hausgenossin war, ein homöopathisches Mittel gegen sein Unwohlsein wünschte, rieth ihm dieselbe, Thee zu trinken, da die homöopathischen Mittel doch nur „Dreck“ wären.


V. Die Anhänger der Homöopathie.

Betrachten wir die homöopathischen Heilkünstler inner- und außerhalb Europa’s, so wird man finden, daß sich auch nicht ein einziger, in den Naturwissenschaften oder in der neuern Medicin bekannter oder erfahrener Mann darunter befindet. Dagegen trifft man auf eine Menge Heilkünstler mosaischen Glaubens, auf Söhne homöopathischer Aerzte, auf verdorbene Apotheker, Mediciner und Chirurgen, auf Laien (Stallmeister, Postsecretaire, Amtmänner, Oeconomen und Andere, denen es schmeichelt, ihre eigenen Viehdoctors zu sein), sowie auch auf Weiber (Frauen, Wittwen, Töchter und Schwestern von Homöopathen). Einige dieser Laien sind sogar vom homöopathischen Aberglauben so inspirirt worden, daß sie die Homöopathie auf eine noch weit übernatürlichere Höhe gebracht haben, als dies alle homöopathischen Heilkünstler mit dem Doctorhute zusammen gekonnt hätten. Wir erinnern an den Hrn. Stallmeister Jenichen mit seinen Hochpotenzen, der bis zur 1600fachen Verdünnung der Arzneimittel stieg, sein Verfahren aber beim Verdünnen (was, wenn es nach Hahnemann’s Vorschrift vorgenommen wird, über ein Menschenalter dauerte) in einen Schleier hüllte, der noch nicht gelüftet ist. Wir erinnern ferner an Hrn. Postsecretär Dr. Lutze in Cöthen, der durch seinen Lebens-Magnetismus die Wirksamkeit der decillionfachen Verdünnungen so steigern zu können behauptet, daß sie sogar mehr als die Hochpotenzen Jenichen’s leisten; der sogar im Stande ist, seinen Lebensmagnetismus auf reines Wasser zu übertragen und damit die auffallendsten Wirkungen hervorzurufen. Ueber diese Wirkungen mag man aber Hrn. Dr. Lutze’s Werke selbst nachlesen. – Erwähnenswert sind ferner noch die von Hahnemann Bastard-Homöopathen getauften Heilkünstler, welche im Bewußtsein der Schwäche ihrer homöopathischen Arzneiverdünnungen in Krankheitsfällen, wo es gilt, wirklich Wirkungen zu erzielen, zu allopathischen Mitteln in großen Gaben (wie zu Jod, Chinin, Quecksilber, Morphium) greifen. Solcher Bastard-Homöopathen giebt es sehr viele.

* NB. Das Verdünnen bewirkte ein leipziger Homöopath durch Anbinden der Fläschchen an die Säge einer Dampfmühle; Mure durch eine Schüttelmaschine. Lutze’scher Lebens-Magnetismus ist da freilich nicht hineingekommen.

VI. Gegner der Homöopathie.

Obschon in der früheren Zeit sehr viel gegen die homöopatische Heilmethode geschrieben worden ist (von Heinroth, Kramer, Baltz, Sachs, Simon u. A.), so wollen wir doch nur die auf gründlichere Erforschung der Homöopathie gestützten Ansichten zweier Autoren anführen. Ein Arzt ist von uns zuvörderst deshalb zu erwähnen, weil dieser die Blößen der Homöopathie und Homöopathen auf eine etwas absonderliche Weise kennen zu lernen suchte und dann als Resultat seiner Erfahrungen eine Schrift verfaßte unter dem Titel: Directer Beweis von der Nichtigkeit der Homöopathie als Heilsystem. Für Aerzte und Nichtärzte, von Dr. R. W. Fickel, ehedem dirigendem Oberarzte an der homöopathischen Heilanstalt zu Leipzig. 1840. – Dieser Arzt erwarb sich nämlich zuvörderst unter dem Namen Ludwig Heyne als homöopathischer Schriftsteller und Arzneimittelprüfer einen bedeutenden Ruf und von Seiten seiner homöopathischen Collegen die übertriebensten Lobpreisungen (s. Archiv der homöopath. Heilkunst. XIV. 2.), so daß er sogar von den Koryphäen in der Homöopathie den Namen eines Hohenpriesters erhielt und, als sein wahrer Name bekannt geworden war, die Stelle als Oberarzt in der leipziger homöopathischen Klinik angetragen bekam. Trotzdem daß nun Hr. Dr. Fickel, wie er selbst erzählt, die Wirkungen der angeblich von ihm probirten Arzneimittel (Aconit., sem. nigellae, actaea spicata, aqui leja, rad. caincae, solan. vesicatorium, vulvaria, kreosotum), ebenso wie die dazu gehörigen Krankengeschichten vollständig erdichtet hatte, wollten die homöopathischen Aerzte diese Mittel doch in denselben Krankheitsfällen mit dem glücklichsten Erfolge gebraucht und die angegebenen (ersonnen) Symptome buchstäblich wahrgenommen haben. In der oben genannten Schrift Fickel’s wird ferner noch der Nimbus von so mancher glücklichen Heilung genommen, manche Täuschung aufgedeckt und bewiesen, daß die für Homöopathen unheilbaren Krankheiten in aller Stille mit allopathischen Mitteln in großer Gabe geheilt wurden. Fickel’s Ausspruch ist: „Als Heilsystem ist die Homöopathie eine Irrlehre, in praktischer Anwendung ein Unding.“

Was die Resultate der öffentlichen homöopathischen Heilanstalten und insbesondere die der Heilanstalt in der Leopoldstadt zu Wien, der Vorsteher Dr. Wurmb ist, betrifft, so erhält man die beste Aufklärung hierüber und überhaupt darüber, ob die homöopathische Heilmethode bessere Erfolge habe als jede andere, in einer lesenswerthen Schrift des Dr. Eigenbrodt (vom Jahre 1854) über die wiener homöopathische Heilanstalt. Die Ergebnisse der Beobachtungen dieses genauen und nüchternen Beobachters, welcher in der physiologischen Medicin gehörig unterrichtet ist und ohne vorgefaßte Meinung beobachtete, sind die folgenden:

1) Nach der genauen Beobachtung einer größeren Reihe von verschiedenartigen mit homöopathischen Arzneiverdünnungen behandelten Krankheitsfällen konnte, bei vorurtheilsfreier Berücksichtigung des natürlichen Krankheitsverlaufes, den angewandten Mittel in keinem Falle nur die geringste Wirkung mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden. – 2) Bei einer genauen Vergleichung des natürlichen Verlaufs der verschiedenartigsten Krankheitsformen bei rein diätetischer Behandlung mit ihrem Verlaufe im homöopathischen Hospitale läßt sich durchaus kein wesentlicher Unterschied entdecken. – 3) Plötzlich eintretende, das Leben bedrohende Krankheitserscheinungen können niemals bei rein homöopathischer Behandlung so, wie durch eine zweckmäßige, nach den Grundsätzen der neueren Medicin geleiteten Therapie beseitigt werden. – 4) Alle die Kranken belästigenden Symptome können durch die Wirkung homöopathischer Arzneiverdünnungen nicht entfernt oder gemildert werden, während die Beseitigung solcher Symptome, in vielen Fällen, und Erleichterung durch schmerzstillende und lindernde, nicht homöopathische Mittel fast immer möglich ist.




Zum Schlusse dieses Aufsatzes lege ich hiermit noch die Erklärung ab, daß ich diese Beleuchtung der Homöopathie nicht etwa im Interesse der Wissenschaft veröffentliche, denn die will von der unwissenschaftlichen Homöopathie nichts wissen, sondern nur im Interesse der Volksaufklärung und des Volkswohles. Ich fühlte mich hierzu deshalb verpflichtet, weil ich schon seit längerer Zeit bemüht bin, vernünftigere Ansichten über die Behandlung des gesunden und kranken menschlichen Körpers unter das Volk zu bringen. Ich glaube aber auch Recht zu thun, da selbst das Ministerium der Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten zu Berlin dem Dr. Schimko (welcher die Unnatürlichkeit der homöopathischen Heilmethode auf mathematischem und chemisch-geologischem Wege nachwies) seine Zufriedenheit über den guten Zweck zu erkennen gegeben hat, das Publikum über die Homöopathie aufzuklären.





Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_430.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)