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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

und Gebräuche treuer beibehalten, als die Landschaft ihre nationale Tracht. Einer der freundlichsten Gebräuche ist ohne Zweifel der folgende: Wird ein Kind geboren, so geht eine der Mägde des Hauses im Sonntagsstaate mit einem mächtigen Blumenstrauße oder Kranze (sonst auch einen an die eigene Brust geheftet) zu den Verwandten der Familie, den jungen Ankömmling zu verkünden; Festschmuck und Blumen scheinen sagen zu sollen: „Eine neue Blüthe ist auf Eurem Stammbaum aufgesprossen; bittet Gott, daß sie zur guten Frucht werde!“

Auch der Brauch der Hochzeitsreisen scheint seit Langem in Zürich zu Hause zu sein. Statt die jungen Eheleute jene ersten Tage, die der Liebe so theuer sind und die in jene unrecht genug bei uns „Flitterwochen“ genannte Zeit fallen, bei geräuschvollen Mahlzeiten, langweiligen Besuchen, oder in Gesellschaft, während sie lieber allein wären, verlieren zu machen, läßt man sie eine mehrtägige Reise machen, und giebt ihnen so den ersten Beweis von Liebe und Achtung, daß man sie allein und sich selbst überläßt.

Eine sehr alte Sitte ist auch die Feier des Frühlingseintritts, bekannter als „Sechseläuten.“ Um die Zeit des Frühlingsäquinoctiums werden auf allen Zünften, die indeß jetzt ihre frühere politische Geltung verloren haben, Mahlzeiten gehalten. Sonst richtete man es wohl ein, daß man sich noch versammelt fand, wenn die Abendglocke das Ende des letzten Wintertages ankündigte; dann erhoben sich das Haupt der Zunft und alle Gäste von ihren Sitzen, und Jener hielt eine den Umständen angemessene Rede, eine Einladung an die Mitgesellschafter, die Rückkehr der schönen Jahreszeit zum Nutzen und Vergnügen wohl anzuwenden. Den Vormittag benutzen die Kinder zu allerlei Verkleidungen: es ist ein Kinderfasching; bei einbrechendem Abend aber zünden die Knaben in und vor der Stadt an unschädlichen Orten große Reiserbündel oder kleine Holzstöße an, und springen um diese Feuer her; so feiern auch sie ihrerseits unter freudigem Jubel die Ankunft des Frühlings. Am Auffahrtstage führt ein seit undenklichen Zeiten üblicher Gebrauch Knaben und Mädchen auf den Gipfel des Uetliberges, um sich da auf einem der schönsten Punkte in frohen Liedern einer unschuldigen und lebhaften Freude zu überlassen. Klopstock gedenkt in seiner Ode an den Zürchersee des Uetli, auf dem er im Kreise seiner Freunde einige heitere Stunden zugebracht hatte. – Doch nur einzelne flüchtige Züge aus einem reichen Gemälde können wir geben, ein paar Striche zu einem Bilde, das mit der gewissenhaften Sorgfalt des Künstlers auszuführen, uns weit über die Gränze unserer Absicht führen würde.




Aus dem Privatleben eines ostindischen Königs.

Nussir, der König von Oude. – Sein englischer Lehrer, sein englischer Barbier und Premierminister. – Ein Diner bei Nussir. – Tafelfreuden. – Bajaderen. – Puppentheaterkünste des Königs. – Die barbierende Civilisation der Engländer. – Admiikanawallah, das Menschen fressende Pferd und dessen Zweikampf mit Burrhea, dem Lieblingstiger des Königs.

Außer den Schneidergesellen spielen die Barbiere besonders eine wichtige Rolle in der Weltgeschichte. Ohne Rasirmesser giebt’s bekanntlich gar keine Kultur mehr und ohne Kultur keine Geschichte. Und wer heut zu Tage Geschichte macht, geht nie unrasirt aus, weil er stets mit einem guten Beispiele vorangeht, damit Andere sich desto geduldiger von ihm barbieren lassen. Jeder große Mann auf den Höhen der Menschheit ist ein Barbier, der andern Leuten die Haare von den Backen oder wohl gar von den Zähnen schneidet; und dann nicht selten das Fell über die Ohren zieht. Die englischen Barbiere scheeren bekanntlich seit Jahrhunderten die ganze Welt und wurden neuerdings so verwegen, nicht nur den ehrwürdigen Nationalbart Rußlands, sondern auch Sebastopol und Kronstadt rasiren zu wollen. Es gehört nicht hierher, nachzuweisen, wie sich das Messer bei dieser Gelegenheit wendete, so daß sie von den Barbieren des Continents geschooren und über’s Ohr gehauen werden. Auch sprechen wir nicht von den Barbieren der Literatur und Kunst, dem „Dorfbarbier“, dem „Barbier von Sevilla“, sondern blos von einem neuentdeckten Haarkünstler, der Premierminister und Diktator eines Königs ward, und jetzt wieder als Omnibus-Condukteur Londons[1] hinten auf dem Brette steht, um seine Herrschergelüste, die er so lange mit Erfolg gegen einen Staatsmann ausübte, an den Passagieren seines Omnibus zu befriedigen.

Wir meinen den englischen Barbier, der in dem „Privatleben eines östlichen Königs“, über welchen jetzt in England das amüsanteste und interessanteste Buch („The Private Life on an Eastern King“) erschienen ist, die effektvollste, romantische Hauptrolle spielt. Der östliche König ist der neuerdings verstorbene Beherrscher von Oude, eines sich jetzt vollständiger englisirenden Theils von Ostindien an beiden Ufern des Ganges, südlich von dem gebirgigen, noch zwischen Thibet, dem Himalaya und dem englischen Ostindien sich unabhängig haltenden Nepaul. Das Buch macht in England ungemein viel Glück. Die Zeitungen und Journale haben es bereits doppelt und dreifach in Auszügen nachgedruckt, und Jeder liest es, Jeder freut sich darüber, weil die Engländer, denen vor Sebastopol und Kronstadt alle Rasirmesser stumpf geworden (weil die Aberdeen’s und Palmerston’s blos weiche, schlechte Messer führen und die Granitfelsen Rußlands gar hart sind), hier das heiterste Ideal, die komischste, glücklichste Personification ihres Weltbarbierungstalents anschauen. Lassen wir uns zunächst unbemerkt von einem Engländer mit zum Könige einführen.

Niemand darf einem östlichen Könige mit leeren Händen nahen. Ein „Nuzza“ oder Geschenk muß allemal geboten werden, so oft man sich ihm naht. Das ist durchaus Etikette, die übrigens nicht lästig ist, da der Monarch[WS 1] hinterher allemal ein werthvolleres Gegengeschenk macht. Ich stand vor seinem Palaste in der Hauptstadt Lucknow, fünf goldene Mohurs (ziemlich 60 Thaler) in der offenen Hand, und wartete unter einer Sonnenhitze, die stark genug schien, eine Hammelkeule an ihr zu braten. Endlich kam er, ganz wie ein englischer Gentleman gekleidet, schwarzer Leibrock, pariser Hut, Binde und Vatermörder. Er sah übrigens recht angenehm aus, und die indische Nationalhautfarbe war zu einer ganz leichten Sepia-Tinte zurecht und abgebleicht worden. Das schwarze Haar, Schnurr- und Backenbart contrastirten lebhaft zur Haut und zu den kleinen, scharfen, blitzenden, schwarzen Augen. Er war dünn und mittelgroß. Er sprach mit seiner Umgebung englisch, als er mir nahte, mich anlächelte und das Gold in meiner Hand berührte, ohne es zu nehmen.

„Also Sie haben sich entschlossen, in meine Dienste zu treten?“ fragte er mich.

„Ja, Majestät!“

„Wir werden gute Freunde sein. Ich liebe die Engländer.“ Er ging weiter und ich schloß mich seinem Gefolge an.

„Stecken Sie Ihre goldenen Mohurs geschwind ein,“ rief mir ein englischer Diener des Königs zu, „sonst nimmt sie Ihnen ein Eingeborner ab, da der König sie als Geschenk anerkannt hat, ohne sie zu nehmen, so daß sie nach der Logik der Leute hier Ihnen nicht mehr gehören.“

Dies that ich, denn das Gold war mir näher als andern Leuten. Meine erste Bekanntschaft im Dienste des Königs machte ich mit dessen englischem Lehrer. Der König wollte durchaus flüssig Englisch sprechen lernen, da er gar zu oft in Verlegenheit kam, in seiner englischen Unterhaltung zu dem ihm angebornen Indisch Zuflucht zu nehmen. Er hatte befohlen, daß ihm täglich eine Stunde gegeben werde, die aber selten länger dauerte als zehn Minute.

„Boppery bopp,“ rief er nach diesen zehn Minuten, „das ist zu trocken. Komm, Master, trinken wir ’n Glas Wein mit ’nauder!“ Und so wurden allemal mindestens vierzig von den sechzig Minuten der Stunde vertrunken. Der englische Lehrer bekam dafür 1500 Pfund Sterling oder 10,000 Thaler.

Später erhoben sich die Bekanntschaften des Verfassers bis zu dem obenerwähnten Barbier und Premierminister hinauf. Dieser war von England als Cajütenjunge nach Calcutta gekommen, nachdem er in London aus einem Barbier- und Haarschneide-Cabinet entlaufen war. In Calcutta fing er wieder an zu barbieren, zu schneiden und zu kräuseln.


  1. Er kam nach dem Tode des Königs nach England zurück, verspielte hier sein ungeheueres Vermögen durch Eisenbahn-Speculation und ist jetzt Omnibus-Conducteur.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Manarch
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_438.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)