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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Nachdem er eine Stunde auf und abgegangen war, erschloß er seinen Secretär, legte Papiere in ein Portefeuille zusammen, und suchte mit dem festen Vorsatze sein Bett, morgen die Angelegenheiten mit dem Herrn von Bornstedt zu Ende zu bringen. Es erschien ihm selbst als keine schwere Aufgabe, dem alten Manne unumwunden die Motive seiner Handlung darzulegen. Philipp schlief endlich ein, um von dem Glücke zu träumen, das er von der Zukunft zu erwarten berechtigt war.



VI.

Gegen Mittag des nächsten Tages, ehe Philipp zu Josephinen ging, zog er die Klingel an des Magisters Thür. Elias öffnete, wie gewöhnlich. Auf Befragen antwortete er, daß Herr von Bornstedt zwar zu Hause, aber nicht allein sei.

„Wer ist bei ihm?“

„Der blonde junge Mann, der Ihnen neulich auf der Treppe begegnete. Ich glaube, er wartet auf Fräulein Anna, die mit meiner Frau ausgegangen ist, um Material zur Arbeit einzukaufen.“

„Auf Fräulein von Bornstedt wartet er?“ fragte Philipp, dem es lieb war einigen Aufschluß über ihn zu erlangen.

Der kleine Mann nickte lächelnd mit dem Kopfe. dann forderte er Philipp auf, einen Augenblick in das Zimmer zu treten.

„Sie meinen es gut mit der Familie, ich weiß es,“ begann Elias, „und deshalb hätte ich Ihnen gern eine bessere Nachricht in Bezug auf das Fräulein mitgetheilt.“

„Was wollen Sie sagen?“ fragte Philipp verwundert.

„Zunächst muß ich eine irrige Ansicht berichtigen. Ich sagte Ihnen, daß ich Gründe hätte zu glauben, jener blonde Herr sei der Liebhaber der Madame Lindsor.“

„So sagten Sie.“

„Er ist es nicht.“

„Und das wissen Sie genau?“

„Urtheilen Sie selbst. Gestern Abend, es war schon dunkel, komme ich aus der Druckerei. Ich bleibe unten auf der stockfinstern Hausflur stehen, um meinen kleinen Wachsstock anzuzünden, damit ich die steilen Treppen besser ersteigen kann. Während ich nach der Zündholzbüchse in meiner Tasche suche, treten auf einmal zwei Gestalten von der Straße herein. Ich bin Menschenbeobachter, lieber Herr, und lasse nicht gern eine Gelegenheit vorbeigehen, die mich belehren kann. So drücke ich mich in einen Winkel und lausche. Gleich an den ersten Worten erkannte ich unsern jungen Mann, und an dem folgenden Fräulein Anna. Das war eine Zärtlichkeit, ein Herzen und ein Küssen, wie ich es in einer Novelle nicht besser beschreiben kann. Für mich als Novellisten war dies eine kostbare Studie. Ach, seufzte Anna, hätten wir nur unser Vermögen noch, Du solltest nicht um elenden Lohn bei einem Advokaten schreiben, lieber Bernhard! – Was würdest Du thun, fragte Bernhard, wenn Dein Vater plötzlich sein ganzes Vermögen wieder erhielte? – Dann würde ich Dir gestatten, um meine Hand anzuhalten. – Wahrhaftig, Anna, Du verschmähst in diesem Falle den armen Schreiber nicht? – Ich würde ihm meine ganze Mitgift zur Verfügung stellen; so aber muß ich noch eine Zeit lang warten, denn es macht dem Vater Kummer, wenn er sieht, daß er meine Wünsche nicht erfüllen kann. – Anna, sagte Bernhard, warte noch einige Tage, und man bringt Deinem Vater das ihm gestohlene Vermögen in das Haus.“

„Wie!“ rief der erstaunte Philipp, „das sagte jener Mensch?“

„Ich habe es deutlich gehört; mir ist keine Silbe entgangen. Der junge Mann scheint mir ein großer Schwärmer zu sein, daß er von Dingen spricht, die in das Gebiet der Fabel gehören. Und so nahm es auch Anna, denn sie rieth ihrem Geliebten, sich eine einträglichere Stelle zu suchen. Dann schieden sie mit dem Versprechen, sich diesen Abend wiederzusehen. Das Fräulein sprang die Treppe hinauf, und ich folgte einige Augenblicke später nach.“

Dem armen Philipp wirbelte der Kopf. Jener Bernhard, dem er den Weg zu Josephine gezeigt, verrieth ein Geheimniß, das nur er und seine Gattin wußten. Was sollte er von ihrer Großmuth denken? Warum stachelte sie seine Ehre an und trieb ihn, das Vergehen seines Vaters auszugleichen? Er wollte keinen Verdacht hegen, und dennoch drängte er sich ihm gewaltsam auf.

„Sie sind traurig, lieber Herr“, unterbrach Elias sein Nachsinnen. „Ach ja, es ist Schade, daß Anna sich schon so weit eingelassen hat, es wäre eine Frau für Sie gewesen. Ich hätte sie Ihnen von Herzen gewünscht. Wüßte ich nur ein Mittel,“ sagte Elias halb in Gedanken und indem er sich mit der Hand die Stirn rieb, „Sie schadlos zu halten, ich hätte Sie so gern zum Helden meiner Novelle gehabt. Da habe ich schon an Madame Lindsor gedacht, die eine junge, reiche und schöne Wittwe ist – aber das geht auch nicht, die hat ebenfalls schon ihren Theil. Die Geschichte hat sich seit gestern so verwirrt, daß ich den ganzen Plan noch einmal umarbeiten muß.“

„Was sprechen Sie von Madame Lindsor?“ fragte Philipp, der Alles für einen Traum hielt.

Der Magister fuhr erschreckt zurück als er Philipp’s aufgeregte Züge sah.

„Ich kenne die Dame nicht, ich habe nur von ihr gehört, daß sie eine ausgezeichnete Frau ist, die sich nächstens mit einem steinreichen, schon ziemlich bejahrten Herrn verheirathen wird“, sagte Elias.

Der junge Mann sah den alten verschrobenen Novellenschreiber mitleidig lächelnd an.

„Sie haben sich wieder tief in die Romantik versenkt, Herr Magister,“ sagte er. „Wollen Sie denn durchaus, daß Madame Lindsor sich wieder verheirathen soll? Sie verwechseln Fiction mit Wahrheit dergestalt, daß man versucht wäre zu glauben –“

„Ach ja, mir schwindelt auch mitunter der Kopf! Indeß bei dieser Arbeit wird meine erschöpfte Phantasie kräftig unterstützt. Madame Lindsor wird sich im Ernste verheirathen. Ja, wir Poeten kommen hinter seltsame Geheimnisse! Dann und wann kündige ich im hiesigen Tageblatte an, daß ich poetische und prosaische Aufsätze gut und billig fertige – da kam diesen Morgen schon ein großer stattlicher Herr mit einem schwarzen Barte, und gab mir den Auftrag, ein Akrostichon zu fertigen. Das Gedicht, sagte er, solle zärtlich und geistreich sein, denn er habe es für seine Braut bestimmt, die er nächstens heirathen werde. Und nun rathen Sie, welche Namen er mir angegeben hat. Josephine Lindsor!“

Das war zu viel. Hätte ihn der Gedanke an das verrathene Geheimniß seines Vermögens nicht abgehalten, er würde in ein lautes Lachen ausgebrochen sein, Er ließ sich nun den Mann, der das Gedicht bestellt hatte, beschreiben.

„Wann will er die Verse abholen?“

„In einigen Tagen; das Hochzeitsgedicht soll ich ebenfalls anfertigen. Als ich ihn fragte, ob er einen besondern Gedanken ausgesprochen zu haben wünschte, gab er mir zu erkennen, daß das überaus glückliche Verhältniß durch ein Heirathsgesuch in der Zeitung entstanden sei, und ich solle darauf anspielen. Weiter weiß ich nichts.“

Philipp hielt es für gut, sich seiner Papiere noch nicht zu entäußern. Er bat den Magister, über den Heirathskandidaten Näheres zu erforschen und es ihm mitzutheilen.

„Der Mann ist ein Narr,“ sagte er unwillkürlich hinzu „es kann Madame Lindsor nicht einfallen, sich zu verheirathen. Sie leisten mir und der Dame einen Dienst, wenn Sie dafür sorgen, daß diese Geschichte, die entweder Dummheit oder Bösartigkeit erfunden hat, nicht weiter verbreitet werde.“

Philipp verließ den verwunderten Magister. Er suchte den einsamsten Theil der Promenade auf. Seine Lage war entweder eine sehr komische oder eine sehr ernste, Er wunderte sich zwar nicht darüber, daß Josephine Heirathsgelüste erregte, und es war natürlich, daß Annäherungsversuche nicht ausbleiben würden, was aber konnte den jungen Mann zu ihr führen, der Anna’s Geliebter war und die Rückerstattung des Vermögens in Aussicht gestellt hatte? Warum hatte man einstimmig und in einem so frostigen Tone den Besuch der Soirée abgelehnt? Das Resultat seines Nachsinnens war die Ansicht, daß man Josephine’s heimliche Ehe vermuthe, und aus Neid Intriguen spinne, um ihr zu schaden. Die Beschuldigung einer Bigamie war zu plump, als daß er ihr Glauben schenken konnte. Philipp beschloß, im Stillen zu forschen, seiner Gattin nach und nach die herrschenden Gerüchte mitzutheilen, und sie endlich zur Abreise zu bewegen. Dem poetischen Bewerber wollte er je nach Umständen eine heilsame Lection ertheilen.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_446.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)