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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Goethe’s Aeltern.

Ein Gedenkblatt zu Goethe’s Geburtstag: 28. August.
von Arnold Schloenbach.

„Vom Vater hab’ ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen;

Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabuliren!“

So kurz und treffend bezeichnet Goethe seine Aeltern und den Einfluß, den dieselben auf ihn gehabt haben; den Vater, den am 31. Juli 1710 geborenen und am 27. Mai 1782 gestorbenen kaiserlichen Resident und Rath, Johann Kasper Goethe, Dr. jur., schildert am Treffendsten Lavater in seinen psychologischen Fragmenten, indem er dessen Bild mit den Worten giebt: „Das Bild des vortrefflich geschickreichen, Alles wohl ordnenden, bedächtiglich und klug anstellenden, aber auf keinen Funken dichterischen Genies Anspruch machenden Mannes.“

Goethe’s Vater war eine Erscheinung echt deutscher Art der sogenannten „alten guten Zeit"; eine Erscheinung specifisch hervorgewachsen aus dem Boden der alten, freien Reichsstadt Frankfurt, mit den nur ihr gehörenden bedingenden Elementen. Den Grund seiner gelehrten Bildung hatte er auf dem damals berühmten Coburger Gymnasium gelegt; in Regensburg, Gießen und Wetzlar weitumfassend Jurisprudenz studirt, und auf großen Reisen durch Deutschland, Holland, Frankreich und Italien weite Anschauungen von Völker-, Wissenschafts- und Kunstverkehr gewonnen; dazu reiche Sammlungen gelehrter Werke, Gemälde, Zeichnungen, Radirungen, Statuen, Gypsabgüsse, Marmore, Gefäße u. dgl. – Er gab große Summen dafür aus, die einzelnen Fächer seiner Bibliothek in durchaus gleicher Form aufstellen zu können, natürlich auch in demselben Einband; die Gemälde hatten alle gleichen Rahmen, die Zeichnungen gleiche Einfassung; dabei hatte er aber keine Vorliebe für alte Gemälde, sondern er meinte, es sei nothwendiger, die lebenden Künstler zu beschäftigen, und so war wohl kein mitlebender Künstler seiner Vaterstadt, der nicht Bestellungen von ihm empfing. Er liebte aber die Gemälde auf tüchtigen Eichenbrettern mehr, als die auf der „leichtsinnigen Leinewand;“ zu dem Zwecke hatte er stets eine Anzahl besonders guter Bohlen in petto, und es kam nicht selten vor, daß er ein weniger gutes Bild auf der deutschen Eiche lieber hatte, als ein besseres auf holländischer Leinewand, so sehr er auch auf Holland große Stücke hielt. Dies aber noch weit mehr auf Italien, das ihm – mit Ausnahme der Gasthäuser – das Land aller Länder und der einzige Gegenstand war, bei dem der sonst sehr lakonische Mann redselig wurde.

Aus Italien zurückgekommen, bot er sich seiner Vaterstadt zu einem Dienste ohne Besoldung und Belohnung an, doch unter der Bedingung, daß man ihn ohne Ballotage erwähle; da dies nach alten Normen nicht zugelassen wurde, verschwor er ein für allemal jeglichen Dienst für seine Vaterstadt, ließ sich vom deutschen Kaiser zum Rath machen, vergrub sich noch tiefer in seine gelehrten und künstlerischen Studien, in seine Schrullen und Sonderbarkeiten, und konnte sich erst in seinem 39sten Jahre entschließen, eine Tochter der Stadt zu heirathen. Das mußte denn aber auch eine der Ersten sein, und so vermählte er sich am 31. Juli 1748 mit der siebzehnjährigen Katharina Elisabeth, der dritten Tochter des wirklichen kaiserlichen Rathes, Stadt- und Gerichtsschultheißen, Johann Wolfgang Textor.

Alle seine Eigenthümlichkeiten trug er nun in „Handhabung“ seines Ehelebens und namentlich seiner Kindererziehung über. Er hatte ein ebenso großes Mißtrauen in die Schulen, als Vertrauen zu sich selbst, und wurde daher auch der Lehrer seiner Kinder; dies nach einem Erziehungs- und Unterrichtskalender, der so strenge festgehalten wurde, daß, wenn durch Krankheit und andere Zufälligkeiten Stunden und Aufgaben ausgefallen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_447.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)