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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 37. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der gestohlene Brautschatz.
Eine Criminalgeschichte aus guter alter Zeit.
Vom Verfasser der schwarzen Mare
(Fortsetzung.)


II.

Dem Hause Markgrafenstraße Nummer 92 gerade gegenüber befand sich ein sogenannter Frühstückskeller. Das Frühstück in solchen berliner Kellern besteht hauptsächlich in Kümmel, und außerdem in Brot, Wurst und saueren Gurken, manchmal auch in noch sauererm weißbier, der sogenannten kühlen Blonden. Das Alles kann man auch den ganzen Tag über haben und genießen. Die Frühstückskeller sind daher vom frühen Morgen bis oft in die späte Nacht mit Gästen besetzt, zuweilen reichlich, zuweilen spärlich.

In dem genannten Keller befanden sich an jenem Abend, zu derselben Zeit, als der Lieutenant von Maxenstern mit seinem Kameraden in der Droschke vor seinem neuen Quartier vorfuhr, nur zwei Gäste. Es waren ein alter und ein junger Mann. Der alte Mann trug einen alten, zerrissenen, schweren, grünen Flausrock, was bei der herrschenden großen Hitze auffallen mußte. Der junge Mann fiel dadurch auf, daß das graue kurze Kamisol, das er trug, so sehr zu kurz für ihn war, daß die Schöße desselben kaum die Mitte seines Rückens erreichten.

Der junge Mann war eine große, stämmige, breitschultrige, aber doch gewandte Gestalt von ebenmäßigem, gefälligen Wuchse.

Er hatte ein etwas blasses, aber feingeformtes Gesicht, mit großen, schwarzen, sehr klugen und sehr lebhaften Augen, aus denen aber ein finsterer Trotz hervorblickte.

Der Alte war von kleiner Figur, mehr schwächlich als kräftig, mit gebückter Haltung. Sein Gesicht war ungesund aufgeschwollen, an manchen Stellen mit den rothen Flecken der Schnapssäufer bedeckt. Die kleinen grauen Augen schienen, wenn auch nicht so klug, doch nicht minder lebhaft zu sein als die des Jüngeren; aber ihr Blick war verschleiert, so daß man eben nur ihr fortwährendes Hin- und Herbewegen wahrnehmen konnte. Aufseinem Kopfe sah man nur noch seltene, schmutzig blonde Haare.

Die beiden Männer saßen an dem Tische, der die ganze Länge des Kellers durchzog. Sie saßen an dem oberen Ende desselben, dicht unter dem auf die Markgrafenstraße führenden Fenster. Sie hatten dort ein großes Glas mit Kümmel vor sich stehen, das zur Hälfte geleert war. Einige Teller, auf denen die übrigen Ingredienzien eines Frühstücks dieses Kellers, Brot, Wurst und sauere Gurken gewesen sein mochten, waren ganz leer.

Sie saßen schweigend. Der Alte warf zuweilen einen sehnsüchtigen Blick nach dem Kümmelglase. Der Jüngere schaute dann und wann verstohlen in die Straße hinein.

Es wurde dunkler auf der Straße, noch mehr in dem Keller. Aus einem Nebenkämmerchen trat der Wirth des Kellers ein. Er wollte eine Lampe anzünden, die schon auf dem Tische stand. Der Jüngere, der sein Vorhaben bemerkte, stieß mit dem Ellbogen den Alten an. Dieser wandte sich an den Wirth.

„Ist für uns nicht nöthig,“ sagte er mit einer schnapsheiseren Stimme.

„Aber für mich,“ antwortete der Wirth. „In die dunkelen Keller kommen die Gäste nicht.“

Die beiden Gäste sahen sich einander an. Zwei einverstandene Blicke begegneten sich.

„Wie viel?“ fragte die heisere Stimme des Alten den Wirth.

„Fünf,“ war die kurze Antwort.

Der Alte zog ein kleines ledernes Beutelchen hervor, nahm ein Fünfsilbergroschenstück heraus und legte es auf den Tisch. Der Wirth besah es genau, als ob er an der Aechtheit zweifelte, und steckte es dann zu sich. Er mochte nach dem Aeußern der beiden Gäste Grund zu seinen Zweifeln haben. Der Alte sah der Prüfung des Geldstücks mit einem höhnischen Blicke zu, während er das Kümmelglas völlig leerte. der Jüngere hatte unterdeß angelegentlicher durch die Fensterscheiben in die Straße gesehen.

In diesem Augenblicke fuhr vor dem gegenüberliegenden Hause die Droschke mit den beiden Offizieren vor.

Die beiden Gaste verlißen den Keller. Um aus diesem auf die Straße zu gelangen, mußte man eine schmale, dunkele Treppe von etwa acht Stufen hinaufsteigen. Oben, unmittelbar an der Straße, war die Thür, die zwei Flügel hatte, nur halb geöffnet. Hinter dem nicht geöffneten Flügel blieb der jüngere der beiden Männer stehen.

„Sieh nach, ob die Straße rein ist,“ sagte er leise zu dem Alten.

Er sprach in einem etwas befehlenden, beinahe hochmüthigen Tone. Der Alte ging gehorsam auf die Straße hinaus. Er kehrte nach einer halben Minute zurück.

„Alles rein,“ sagte er, mit seiner heiseren Stimme, gleichfalls leise.

Der junge Mann wollte auf die Straße hinaustreten. Der Alte hielt ihn zurück.

„Da scheint etwas zu machen zu sein,“ sagte er, nach der Droschke hinzeigend, aus welcher so eben die beiden Offiziere herausgestiegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_483.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2019)