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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 39. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Der gestohlene Brautschatz.
Eine Criminalgeschichte aus guter alter Zeit.
Vom Verfasser der schwarzen Mare
(Schluß.)


„Schon gut. Ich schenke Ihnen für heute das Weitere. Ich weiß es schon von Graumann, und Sie haben Recht, ich brauche es von Ihnen nicht noch einmal zu hören.“

Auf einen Wink führte Schmidt Vier den Kellerwirth ab und Ludwig Liedke ein. Der alte Dieb war nicht trotzig geworden; er sah beinahe gerührt aus.

„Nun, Lude, armer Kerl? Erst vorgestern vom Zuchthause zurück, und schon wieder reif! Und diemal zeitlebens, denn es liegt ein großer Diebstahl vor. Und jene beiden ehrlichen Männer werfen Alles auf Dich, Alles, auf Dich allein, und waschen sich selbst rein. Du dauerst mich, alter Bursche.“

Das freundliche Mitleid des Polizeiraths traf so voll als möglich in das weiche Herz des Diebes, das zu schwach war sowohl zum vollen Leugnen als zum vollen Bekenntnisse der Wahrheit.

„Herr Polizeirath,“ rief er unter Thränen, „an dem Diebstahl bin ich unschuldig. Ich habe nichts angerührt, von dem Gelde gar nichts. Ich schwöre es Ihnen.“

Der Beamte unterbrach ihn.

„Ein Wort, Lude, ehe Du weiter sprichst. Wir kennen einander. Du weißt, daß ich nicht eher aufhöre, bis Du nachgegeben hast, und ich weiß, daß Du keinen zu harten Kopf hast und nachgeben wirst.“

„Ich habe ein weiches Herz, Herr Polizeirath,“ betheuerte der Dieb.

„Also wollen wir Einer den Andern nicht lange quälen.“

„Ich will Ihnen ein offenes Geständniß ablegen.“

„Das ist brav von Dir.“

„Gestern Abend vor Dunkelwerden schlenderte ich draußen vor dem halle’schen Thore. Ich wollte mir die neue Anstalt für Verbesserung jugendlicher Verbrecher ansehen. Ach, Herr Polizeirath, wie hat es die Jugend Berlins doch jetzt gut, gegen die Zeit, als ich noch jung war. Im Sommer kann sie vor das brandenburger Thor in den Thiergarten gehen und stehlen, und im Winter geht sie vor das halle’sche Thor in das neue schöne Haus, um sich bequem hinterm warmen Ofen bessern zu lassen. Wie ich da nun so herumging, sehe ich auf der andern Seite einen alten Bekannten herumschleichen, dessen ich mich nicht vermuthet hatte. Er erkannte mich und kam auf mich zu.“

„Und wie hieß dieser alte Bekannte?“

Der Dieb zögerte mit der Antwort.

„Nun?“

„Seinen Namen meinen Sie, Herr Polizeirath?“

„Du bist wirklich ein recht braver Kerl, Lude, daß es Dir schwer wird, Deinen Freund zu verrathen. Denn, nicht wahr, der hat den Diebstahl gemacht, und Du hast nur von ihm die gestohlenen Sachen angenommen? Aber ich kann Dir nicht helfen den Namen muß ich wissen.“

Der alte Dieb trotzte in seinem vorigen Harren.

„Indeß, braver Lude, vorläufig wie Du willst. Ohne den Namen bleibt natürlich Alles auf Dir allein sitzen. Die beiden Andern haben sich schon rein gemacht.“

„Herr Polizeirath,“ antwortete der Dieb, noch immer zögernd, „Sie kennen ihn doch nicht. Er war vor Ihrer Zeit hier.“

„Ich kenne alle berliner Diebe seit fünfzig Jahren.“

Der Dieb ergab sich in das Unvermeidliche.

„Auch den Fritz Jure?“

„Sein Vater war Portier im auswärtigen Ministerium.“

„Weiß Gott, Sie kennen ihn.“

„Er ist also entsprungen? Er hatte zwölf Jahre Festung, und kaum erst die Hälfte verbüßt.“

„So ist es wahrhaftig. Er kam direkt von der Festung. Noch in seiner Soldatenjacke. Er bat mich, mich seiner anzunehmen. Ich verschaffte ihm eine andere Jacke.“

„Gestohlen?“

„Es ist ja noch nicht angezeigt, Herr Polizeirath,“ antwortete listig der alte Dieb.

„Fahre fort.“

„Dann ging ich mit ihm in einen Keller in der Markgrafenstraße. Er war ausgehungert und verdurstet. Wie er nun gestärkt war, da zog gerade dem Keller gegenüber ein Offizier ein. Der Fritz, der seine Augen überall hat – meine Augen sind schon alt, Herr Polizeirath – meinte, da wäre wohl etwas zu machen. Ich mußte in dem Keller bleiben und er ging fort. Nach einer Weile kam er wieder und brachte mir die Sachen. Nun wissen Sie alles, Herr Polizeirath.“

„Schön, lieber Lude. Und wozu brachte er Dir die Sachen?“

„Um sie für ihn zu verkaufen.“

„Und das Geld?“

„Welches Geld?“

„Das Du nicht angerührt hast?“

„Habe ich davon gesprochen?“

„Ich denke.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_507.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2019)