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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

und sorgfältig Alles, was an die Majestät streifen könnte, in den Hintergrund treten läßt, um, wenn er ein Atelier besucht oder unter seinen Schützlingen ist, ein zwangloses Gespräch führen zu können.

Wer von Münchens Künstlern gedenkt nicht mit inniger Freude jener Besuche des Königs in dem „Stubenrell“, der kleinen niedern Künstlerkneipe, die allerdings schon berühmtere Gäste sah, als mancher Prachtsalon?

„Guten Abend, Majestät!“ rief’s da fröhlich von Mund zu Munde, und im schönsten gothischen Pokale, der immer mit gewisser Feierlichkeit vom Tabernakel herabgenommen wurde, trank der Fürst seinen Lieblingen zu, wie ein Freund dem Freunde. – Wer erinnert sich nicht seiner Bonhomie, mit der er den kecken Gruß: „Guten Tag, Vetter,“ eines jungen Künstlers aufnahm, der bei einem Festzuge, als Kaiser Maximilian, seinen König mit dieser Vertraulichkeit zu begrüßen wagte, die doch, wie bekannt, nur unter wirklichen Monarchen üblich ist? Oder wie elektrisch wirkte nicht seine humoristische Aeußerung, als ebenfalls bei einem Künstlerfeste König Max und Königin Marie sich entfernt hatten; „Kinder,“ rief er da zu den Umstehenden, „jetzt sind wir unter uns, jetzt ist der Hof weg!!!“

König Ludwig entsagte im Jahre der Bewegung dem Throne, weil, wie er sich schlicht und ehrlich genug ausdrückte, seine Ansichten mit denen der bewegten Zeiten nicht in Einklang zu bringen wären. Sein innerer Reichthum ließ ihn keinen Augenblick im Zweifel sein, ob er sich auch dann noch glücklich fühlen könne, nachdem er die erste Würde im Staate mit der zweiten tauschte; im Gegentheil schien er, als ein wahrer Philosoph sich leichter und freier gehen zu lassen, nachdem er sich der Bürde des Regierens entledigt. Unbekümmert alles politischen Getriebes, lebt er noch um Eins so heiter der Kunst und den Künstlern, von denen er auch jetzt nicht läßt, so wenig ihm noch Staatsmittel zur Seite stehen.

Kaulbach’s Atelier steht auf einem einsamen Platze, wild umwachsen von Flieder- und Haselbüschen. Das Häuschen ist so schmucklos als möglich gehalten, bis auf einen gemalten Pfau, der rechts am Eingang prangt. Früher stolzirten zwei lebende Exemplare auf dem Platze umher; wie es scheint, hat der Künstler für diesen graziösen Vogel eine besondere Vorliebe.

Wir sehen den König Ludwig die Werkstätte des Künstlers betreten.

„Nicht stören lassen,“ klopft der König dem Meister auf die Schulter, der eben an seinem großen Gemälde (es war im Jahre siebenundvierzig), „die Zerstörung Jerusalems“ beschäftigt ist.

„Bitte, Majestät,“ entgegnet Kaulbach in seinem gewöhnlichen Ernste, und malt ruhig weiter, nachdem er seinem Besuch einen Stuhl angeboten hat.

Während dessen betrachtet der König mit aller Liebe und Aufmerksamkeit eines Kenners das bald vollendete Werk, tritt bald vor, bald zurück, ist jedoch in seinen Bemerkungen oder Urtheilen sehr behutsam. Jedes seiner Worte zeugt dabei von einem tiefen Eingehen in die Auffassung des Künstlers, in den Vortrag, Arrangement und Behandlung. Und es wäre für manchen Besucher eines Ateliers lehrreich, dürfte er hier sehen und hören, wie sich ein gebildeter Laie einem großen Künstler gegenüber gerirt.

Indem der König dies oder jenes nach der Wand zugekehrte Bild umwendet, und so geräuschlos wie möglich die Runde im Atelier macht, haben wir Zeit, Kaulbach, den Schöpfer der „Hunnenschlacht“, der „Zerstörung von Jerusalem“, des „Thurmbaues von Babel“, des „Reineke Fuchs“, näher in’s Auge zu fassen, der in seinem weiten Talare vor der riesigen Staffelei steht, und eben den Kopf des Ahasver retouchirt, den Rachedämonen geißelnd vor sich hertreiben. Kaulbach’s Antlitz trägt die Blässe des tiefen Denkers, des anhaltend schaffenden Geistes. Die Stirn ist edel gewölbt, die Nase ziemlich scharf gebogen, das Auge tiefliegend und nicht selten durchdringend. Seine Gestalt möchten wir mit der Schiller’s vergleichen, wie überhaupt die Wesenheit Kaulbach’s mit der des großen Todten eine gewisse Verwandtschaft haben mag. Sein ewiger Schaffenstrieb läßt ihn in sich gekehrt und verschlossen erscheinen, dabei ist ihm zuweilen eine gewisse Schroffheit eigen, die wohl aus dem allgemeinen Künstlerleiden, der Hypochondrie, ihren Nahrungsstoff zieht. Sobald er arbeitet, und er arbeitet fast immer, ist ihm jede Berührung mit der Außenwelt sichtlich unangenehm, und nur in einer rechten Musestunde kann man ihn lächeln und heiter sehen. Von einem Hange zur Ironie, ja zum Sarkasmus, ist Kaulbach nicht frei, und dieser Charakterzug (Fehler wollen wir es nicht nennen) mag es wohl besonders sein, der ihm manchen Gegner zugezogen hat. Allerdings kann ein Künstler, der die mit attischem Salze gewürzten Zeichnungen zu „Reineke Fuchs“ entwarf, unmöglich ganz harmloser Natur sein, wie wir auch in manchem andern seiner größern oder umfangreicheren Werke satyrische Züge entdecken, welche unleugbar auf seine Charakterrichtung, wenigstens auf einen Theil derselben schließen lassen. Indessen glauben wir, ein Mann wie Kaulbach dürfe in seinen Werken sich erlauben, was einem minder großen Geiste unstatthaft ist, und sehen wir uns unter den alten Meistern die größesten an, so werden wir bei ihnen, wollen wir unparteiisch sein, genug Stellen finden, wo ihnen der Schalk mehr als in den Nacken geschlagen hat. Bei diesen wird es übersehen, oder die Pietät verbietet es zu sehen. Wäre es nicht vernünftig, lebenden Meistern von dieser oft übertriebenen Pietät auch ein Scherflein zukommen zu lassen?

Das deutsche Publikum wird sich noch des scharfen Angriffs erinnern, den Kaulbach (betreffs seiner Friese für die neue Pinakothek) von einem Kunstgenossen erlitt. Man wollte finden, Kaulbach habe darin einige der Künstler, die König Ludwig zur Ausführung seiner Ideen nach München berief, nicht auf das Schmeichelhafteste behandelt.

Gut. – Aber hat ein Kaulbach so wenig Verdienst um die Kunst, oder trägt er einen so unberühmten Namen, daß man ihm in diesem Falle die schuldige Pietät verweigern dürfte, die gewiß dazu geschwiegen hätte, wenn ein Meister einmal irrte? Aber es ist schlimm, und doch ist es so, viele unserer Landsleute ertragen weit eher die plumpeste, sogenannte biedere Derbheit, als einen feinen Witz oder eine beißende Bemerkung. Beide sind unserm Künstler eigen, und aus beiden allein scheint uns leider die große Zahl seiner Gegner zu entspringen, so ungerecht, so unkünstlerisch dieses Verfahren auch sein mag. – König Ludwig soll, als er von diesem Federkriege hörte, gelächelt haben – gelächelt, – wie ein Mann, der Künstlerlaunen zu beurtheilen weiß. Am Allerwenigsten gab er jenen Gallsüchtigen Gehör, die in ihrer Entrüstung so weit gingen, ihn unterthänigst zu bitten, die entsetzlichen Friese vernichten, oder statt ihrer andere anbringen zu lassen. Erinnert diese Scene nicht an die im „Urbild des Tartuffe,“ worin Advokaten, Mediziner und Akademiker den Polizeiminister beschwören, Herrn Molière auf die Finger zu klopfen, weil er es wagte, sie dem Spottgelächter von Paris Preis zu geben? Molière aber entgegnet in seiner berühmten Vertheidigung: „Nicht eine Person, sondern nur eine Gattung wollte ich schildern.“

Und – gestehen wir es uns am Ende ehrlich: von Vielen, die damals nach München berufen wurden, gab es doch auch einige, die nicht auserwählt waren. Den Zopf, und die damit meist Hand in Hand gehende Mittelmäßigkeit wollte Kaulbach ein wenig züchtigen, aber gewiß kam es ihm nie in den Sinn, die Erhabenheit jener Kunst-Epoche (die dem Friese zum Vorwurf dient) lächerlich zu machen. Möge dies Urtheil der Mit- und Nachwelt gerechter und liebevoller über den großen Künstler lauten, als das mancher seiner Kunstgenossen, mögen kleinliche Anfeindungen, sie entspringen aus Mißverständniß, falscher Auffassung der Thatsachen oder – Neid – sein arbeitsvolles Leben nicht ferner vergällen. Betrachten wir Alle vielmehr den rastlos Strebenden mit Achtung und Bewunderung, die jeder Vorurtheilslose empfinden muß, blickt er auf die Werke des Künstlers, die Jahrhunderte überdauern werden. Es mag wohl einige große Maler geben, die ihm an dem, was man Genies nennt, zur Seite stehen oder selbst überragen – aber an Produktivität, an tief-ernstem Studium übertrifft ihn kein Zeitgenosse, und der Künstler, welcher zwei so seltene Eigenschaften besitzt, darf schon deshalb auf den Rang eines Genies Anspruch machen, vor dem wir uns beugen müssen, ohne seine etwaigen Schwächen nebenher kleinlich zu bekritteln. Vor Allem bleibt es aber immerhin eine mißliche Sache, wenn ein Künstler den andern Angesichts der Menge auf solche Weise vor die Schranken fordert. Die Kunstgeschichte ist, unsers Wissens, wenig reich an solchen Fällen – sie möge auch für die Zukunft arm darin bleiben.

Wir wollen weder von König Ludwig, von Kaulbach, noch von München scheiden, ohne zuvor einigen der wackersten Künstler zu gedenken, die in dieser Kunst-Metropole ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_528.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)