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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

schlechterdings den kranken, von ihnen vollends todt gemachten Mann beerben müssen, so folgt daraus eine Art Umkehr der Civilisation, wenn nicht, nach Gerlach in Berlin, der Wissenschaft. Und so könnten wir es noch erleben, daß die europäischen Auswanderungsströme, statt nach dem Westen der neuen Welt, durch die alten Säulen des Herkules bei Gibraltar hindurch und das Meer der alten Welt, das mittelländische, sich nach dem Osten eine Straße bahnen und auf den Ruinen großer vorchristlicher Reiche und der Türkei Dampfpflüge und Maschinen treiben. Seltsame, aber mindestens romantischere Idee, als die, unter die Yankees und Know-nothinger zu gehen, die historische Erde aufzupflügen und zu kultiviren, welche die fruchtbar gewordenen Gebeine des Hektor, der schönen Helena, des Paris, der trojanischen Helden birgt, wo die Gärten der Semiramis hingen, über welche Vater Abraham auswanderte, von wo die Engländer der ältesten Kultur, die Phönizier, den Welthandel beherrschten, zweimal assyrische Reiche blühten, dann babylonische und medische und medo-babylonische, über alle diese hinweg das stolze Perser-Reich mit seinem Cyrus, seinem Darius, der über drei Welttheile herrschte, seinem Xerxes u. s. w., bis die Ormuzd- und Ahriman-Herrlichkeit an griechischer Schönheit und Tapferkeit brach, die historische Erde, über welche hierauf der macedonische Alexander erobernd bis Indien drang, auf der die macedonische Zwangseinheit in eine Menge kleinasiatischer Staaten zerfiel, bis das arabische Schwert des Propheten aus der sternenklaren, nächtlichen Wüste darüber hinwegstürmte und der Halbmond der Chalifen schreckenerregend für die ganze christliche Welt vom Ganges bis zur Donau und Wien leuchtete, dieselbe Erde, welche das Blut und die Gebeine von Millionen abendländischer Kreuzzügler in sich aufnahm, die Schädelstätte von hundert über einander hingesunkener Völker und Reiche. Diese seit Jahrtausenden über einander gehäufte Verwesung geht jetzt als schüttelndes Fieber durch die traurige, spärliche Bevölkerung der modernen Gläubigen Muhamed’s, da kein Pflug, keine Industrie, keine Kultur diese fruchtbar gewordene Auflösung von hundert Reichen und Völkern zu benutzen, zu befriedigen weiß. Diese Erde, so gedüngt und getränkt, will und muß blühenden Weizen treiben, Meere goldener Halme tragen, und eine dichte, rührige Bevölkerung spielend und freudig ernähren. Da sie dies nicht kann, sendet sie ihre schwellenden Fruchttriebe rächend als Würgengel und Heere von Fiebern und Pestilenz durch die historisch verfluchte Türkei

„Wo der Türke seinen Fuß hinsetzt, da ist Wüste und Hauch des Todes,“ rief mir neulich ein Mann zu, der Jahre lang durch die europäische und asiatische Türkei reiste, unter den Cedern von Libanon saß und die Gastfreundschaft der Drusen genoß. „Nur Unverstand und Heuchelei sprechen von einer Aufrechterhaltung des Türkenthums als Staat. Ich hasse, ich verabscheue die Alliirten, besonders die Engländer, weil sie unter diesem Wahne, unter dieser heuchlerischen Firma sowohl für die Türkei als die Civilisation zu kämpfen vorgeben. Sie kämpfen einzig und allein, weil sie fürchten, daß sie bei der Erbschaft zu kurz kommen könnten. Und dies wäre ganz gut, wenn sie nur ehrlich und offen in diesem Sinne handelten und sprächen. Je mehr sie sich bei der Theilung des türkischen Leichnams gegen Rußland sichern, desto lieber soll’s mir sein, denn die Herrschaft des Türkenthums und des Muhamedanismus ist eine Pest, eine Schande für die Menschheit geworden. Mögen sie glauben, was sie wollen, sich Weiber kaufen, so viel sie bezahlen können, rauchen und Kaffeesatz dazu essen vom Morgen bis zum Abend, aber herrschen sollen sie nicht mehr und so fortfahren, die schönsten Theile der Erde zu verwildern und in Herbergen wilder Thiere und Menschen, in Giftquellen der Pestilenz und theuern Zeit zu verwandeln.“

So sprach er und begründete sein Urtheil noch durch viele Erlebnisse und Totaleindrücke. Seiner Erfahrung, seinem auf die genauesten Studien gegründeten Urtheile glaubte ich um so weniger widersprechen zu dürfen, als ich in ihm (Dr. G. aus Dresden) nicht nur einen scharfsinnigen und vielseitig gebildeten, sondern auch einen edeln Mann kennen gelernt habe, der unabhängig von politischen, nationalen und geographischen Schranken die Menschheit in ihrem Kulturberufe frei und mit Erkenntniß der dabei in Betracht kommenden natürlichen Bedingungen aufzufassen weiß. Uebrigens beschränke ich mich fortan nur auf einige seiner Specialschilderungen. Als Arzt hatte er sich besonders mit dem Studium der physischen und Krankheitserscheinungen in der Türkei abgegeben. Mit seinem eigenthümlichen Humor schilderte er die verschiedenen Arten von kalten und Wechselfiebern, von denen sich die armselige Bevölkerung der asiatischen Türkei ohne Widerstand schütteln und zu Gerippen abnagen läßt. Hoch und Niedrig, Jung und Alt werden Jahr aus Jahr ein mit Heulen und Zähneklappern geplagt. Man tritt in einen langen Bazar und sieht in diesem und jenem Winkel zitternde Haufen und Bündel von Kleidern; es stecken Leute darin, die von der kalten Periode des Fiebers gemißhandelt werden. Man sieht auf und bemerkt einen blassen, hagern Handelsmann mit glühenden Flecken unter den hohlen Augen, der mit zitternden Fingern mühsam seine Waaren einpackt, um mit brennenden Augen und gedörrten Lippen zu Hause den hitzigen Theil des Fiebers wüthen zu lassen. Jeder betrachtet diese Landesplage als ein unangenehmes Geschenk Allah’s, dem auf diese Weise im Durchschnitt jeder zweite Tag gehört. Sich dagegen zu wehren, gilt für gottlos. Auch scheint Niemand nur eine Ahnung davon zu haben, was man dagegen thun und anwenden könnte. Außerdem hat fast Jeder seine eigne Philosophie in Bezug auf die Ursache des Fiebers. Wenn man Aprikosen ißt und dann in die Sonne geht, Wasser trinkt vor dem Ausgehen, oder wohl gar ein Stück Caimac[1] genießt, sich bethauen läßt, unreife Früchte genießt, in offener Nachtluft schläft – in allen diesen Fällen bekommt man dieses oder jenes Fieber, und da Jeder bald in diesen oder jenen solcher Fälle kommt, weiß er immer genau, aus welchem Grunde ihn Allah schon wieder fieberschütteln läßt.

Quinine-Sulphot (eine Mischung von Schwefel und China) ist ein unfehlbares, specifisches Mittel gegen das kalte Fieber, wodurch sich die gebildeten Europäer fast durchweg frei halten, aber zu kostspielig und auch unbekannt unter den armen, faulen, abergläubischen Eingebornen, über deren Leben, so jämmerlich es auch ist, man sich nur wundern muß. Sie essen unreifes Obst scheffelweise, schlafen im Dampfbade des Nachtthaues offen oder in Häusern, die zum Theil Wind und Wetter ungehindert zulassen, und in so fauler, schmutziger Umgebung und Nachlässigkeit, daß man kaum begreift, wie die, welche noch leben, es angefangen haben, daß sie nicht schon längst alle gestorben sind.

Was man bei uns „wohnen“ nennt, kommt bei den gewöhnlichen Türken in Kleinasien gar nicht vor. Fensterscheiben, wo sie nicht zerbrochen sind, liegen blos unbefestigt in Rinnen, so daß Wind und Winter damit nach Herzenslust spielen. Auf dem Lande haben die untern Stockwerke in der Regel nur wenig und die obern gar keine Seitenwände, sondern nur säulengetragene Dächer, so daß jede Witterung vollkommen ungenirt hindurch spazieren kann. Die Etagen über einander sind oft nur durch lose Breter getrennt, so daß man von Oben genau sehen kann, wie die Dienerschaft unten Hühner schlachtet und pflückt und sonst wirthschaftet. Legt man Teppiche, kommt nicht selten ein Wind, der sich den Spaß macht, sich hineinzuwickeln und diesen oder jenen Zipfel umherzupeitschen. Da die Häuser ziemlich alle vier Wochen in Massen von Feuersbrünsten verzehrt werden, baut man sehr leicht und wohlfeil und denkt: ’s brennt doch bald auf Allah’s Befehl ab. Etwas Holz und Gips, ein Paar Säulen und Breter – und das Haus ist wieder fertig. Und zieht man dann „Chambre garni,“ d. h. in einen ziemlich offenen Verschlag ohne Meubles, muß man ziemlich so viel bezahlen, daß das ganze abgebrannte Haus (denn abbrennen thut’s auf jeden Fall sehr bald) davon wieder gebaut werden kann. Kurz, bei uns logiren die Schweine anständiger und gesünder, als in der Türkei die Menschen. In großen Städten kommt dazu, daß man sehr eng und hoch baut und allen Schmutz dazwischen aufhäuft. Unter solchen Verhältnissen ist’s blos ein Wunder, daß die Türken überhaupt noch theilweise aus ihren Fiebern und Pestilenzien sich herausschütteln lassen. Die Sommer sind herrlich, die Winter aber ziemlich kalt, so daß die Türken jedes Jahr vier bis fünf Monate ununterbrochen frieren, wie die Hunde, und ihr Vieh jedesmal zur Hälfte erfrieren und verhungern lassen.

Der historisch hundertfach gedüngte Boden treibt im Sommer die üppigste wilde Vegetation, die jeden Herbst niederfault und Fieber und Pestilenz füttert. Kultur, Pflug, Abzugsgraben, Dampfmaschinen, Säe- und Mähemaschinen auf dieser großen, paradiesischen Halbinsel würden aus Fieber Hunger, Pestilenz und theurer Zeit die Hauptspeisekammer und das Hauptsommervergnügen dreier Welttheile machen. Wollen sehen, was zunächst Omer Pascha mit


  1. Sehr wohlschmeckender dünner Kuchen aus abgedampfter Sahne.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_548.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2023)