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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

unternommen habe, der nach ihrem Ausbleiben sehr weit ausgedehnt worden sein mußte. Kuno war zufrieden damit, sie heut nicht mehr zu sehen – noch war nicht Alles reif und er konnte so vollenden, was er im Sinne hatte. Er zog sich auf sein Zimmer zurück, ließ sich, als man ihm die Heimkehr der Beiden meldete, bei der Abendmahlzeit mit Unpäßlichkeit entschuldigen, und öffnete auch Guido seine Thüre nicht, als dieser vor Schlafengehen kam, sich nach seinem Befinden zu erkundigen.

„Ich liege schon zu Bett,“ rief er ihm zu, „Mir wird Morgen wieder ganz wohl sein.“

Mit dem frühesten Strahle des Tageslichts verließ er, ein Doppelgewehr über die Schulter geworfen, von seinem Jagdhunde begleitet, die Rinkenburg. Am Thore warf er noch einen Blick nach den Fenstern des Hauptgebäudes, vor denen seines Bruders, der gern lange schlief, waren noch die Windrouleaux herabgezogen; hinter der Gardine des Schlafkabinets seiner Mutter glaubte er aber ihre Gestalt im weißen Nachtkleide zu bemerken: er wußte, daß sie immer sehr früh aufstand.

Hinter der Schloßhöhe gleich, in dem Querthale, das die Reihe der Vorhügel von den ersten Stufen des Gebirges scheidet, führte eine grüne Schlucht mit einem Fußpfade in die Berge hinein. Kuno verfolgte den letzteren, der ziemlich breit ausgetreten war, weil er zu den Blochhauern oben im Tannenhorst ging; von ihm trennten sich aber bald mehrere andere, die zu Hämmern und Hüttenwerken in anderen Theilen des Gebirges führten; es gehörte Sicherheit dazu, sich hier nicht zu verirren, Kuno war aber nie zweifelhaft über die Wahl, und befand sich zuletzt auf einer schmalen Spur, die sich nur, weil sie einst hartgetreten war, durch ihren kürzeren Graswuchs auszeichnete. Wie lange war Kuno diesen Pfad nicht gewandelt und, so schien es wenigstens, kein Mensch sonst!

Immer beschwerlicher wurde der Steig, immer enger und klippenreicher die Schlucht, zuletzt verschwand alles Grün von den Seitenwänden, die nun blos nacktes, zerklüftetes Gestein boten. Endlich war der obere Ausgang erreicht, eine schmale Felsspalte, kaum für einen Mann zu passiren und durch überhängende Blöcke, die dem Einsturz zu drohen schienen, obenein gefährlich. Wenn Kuno sich dachte, daß all diesen Beschwerden und Gefahren einst ein zarter Fuß getrotzt haben sollte, so war das bittere, feindselige Lächeln, das auf seine Lippen trat, wohl erklärlich. Er bückte sich und trat durch das Felsenthor in’s Freie. Vor ihm lag sein Ziel, der Kessel des dunkeln, einsamen Thales, in welchem das Haus mit den drei Erkern lag, das sein Großvater, wie er wußte, für seinen Jagdaufenthalt gebaut und die Eremitage genannt hatte. Hochklopfenden Herzens spähte Kuno nach Zeichen, ob es wirklich bewohnt sei, aber keine Rauchsäule kräuselte sich von seinen drei Schornsteinen in den klaren Morgenhimmel hinauf, kein menschliches Wesen Wesen ließ sich sehen, keine sonstige Spur von Leben bemerken: Alles war still und todt, wie er es noch gestern nicht anders erwartet hätte, ehe Guido mit seinem Abenteuer ihm das Gegentheil bewiesen.

Er näherte sich dem Hause – sein Hund stand und witterte, fing auch zu knurren an, und Kuno begrüßte diese Zeichen schon mit einer wilden Freude. Das kurze Gebell, welches das Thier anschlug, stillte er durch strengen Zuruf und eilte der Thür zu, die allerdings nicht mehr vermauert, sondern mit ziemlich neuem Holz wieder eingehängt war. Doch fand er sie verschlossen; vergebens klopfte und rief er; Niemand gab ihm Antwort, kein Laut regte sich im Innern des Gehöftes; offenbar war es in diesem Augenblicke ganz verlassen.

„Sind sie gewarnt worden?“ blitzte es in Kuno’s Geiste auf, und ein Gedanke ließ ihn beben. Hätte er doch gestern statt des unfruchtbaren Ausfluges nach Sanct-Pankraz seinen Fuß lieber ohne Säumen hierher gelenkt! Wenn aber auch die neuen Bewohner der Eremitage gewarnt waren, so brauchten sie deshalb ihr Asyl nicht auf immer verlassen zu haben, sie waren dem Sturme wahrscheinlich blos ausgewichen und kehrten, wenn sie ihn vorüber glaubten, zurück. Vielleicht beobachteten sie ihn in diesem Moment aus irgend einem sicheren Versteck und hohnlachten, wie er so rathlos vor der verschlossenen Thüre stand. Er hatte aber Geduld und konnte warten. In seiner Waidtasche trug er reichlichen Mundvorrath für sich und seinen Hund. Während er noch auf diesen, der mit halbgespitzten Ohren fortgesetzt witterte, herabsah, setzte das Thier auf einmal wüthend an und ließ sich nicht mehr halten. Kuno eilte ihm nach, da es um die Mauerecke schoß und gleich darauf sich ein grimmiges Doppelgebell hören ließ – er fand seinen Hund im Kampfe mit einem andern, der stark und zottig wie ein Wolf anzusehen war. Schon riß er das Gewehr von der Schulter, um seinen Hund von den Zähnen des stärkern Gegners, der ihn in das Genick gepackt hatte, zu befreien, als ein gellender Pfiff erscholl, der fremde Hund augenblicklich losließ und vor Dießbach ein alter, hagerer Mann stand, den er auf den ersten Blick für den Schäfer Klupsch aus Sanct-Pankraz erkannte.

„Was habt Ihr hier zu suchen?“ fuhr er ihn aufgeregt an.

„Halten zu Gnaden“ – antwortete der Schäfer, vor dem ihm wohlbekannten Herrn den Hut ziehend – „ich habe einen Richtweg genommen –“

„Wißt Ihr nicht, daß ich keinen Weg hier dulde?“

„Es steht keine Tafel draußen,“ antwortete der Schäfer, ohne sich einschüchtern zu lassen.

„Ich weiß aber, was Ihr hier sucht – und Ihr sollt mir’s gleich gestehen. Ihr habt Euren gewesenen Herrn hier aufgesucht – leugnet es nicht, ich weiß, daß er hier wohnt.“

„Nun, wenn Sie es wissen, gnädiger Herr,“ erwiederte der ehrliche Schäfer, der keine Ahnung hatte, daß er nur in eine Falle gegangen war, „warum schimpfen Sie mich denn aus?“

Dießbach bedurfte Zeit, um sich von der Gewalt dieser Gewißheit, die ihm so plötzlich geworden war, nicht übermannen zu lassen: einem Andern, als dem einfachen Alten, der ihm hier gegenüber stand, wäre der Seelenkampf nicht entgangen, den er in diesem Augenblicke bestand. Der Schäfer wartete aber geduldig und beschwichtigte nur immer seinen Hund, der mit glühenden Augen den unausgefochtenen Strauß wieder anzufangen lechzte.

„Ich will nicht,“ sagte Dießbach endlich nur vor Aufregung bebender Stimme, „daß mein Haus zu einer Schmiede böser Anschläge werde – was kann Euch herführen, da Ihr mit Stargau nichts mehr zu theilen habt, wenn er Euch nicht selbst hergerufen hat, um Ränke zu spinnen zum Nachtheil Anderer, die er um das Ihrige gebracht?“

„Sie doch nicht, gnädiger Herr,“ versetzte der Schäfer.

„Mich nicht!“ antwortete Dießbach stolz. „Das versteht sich von selbst. Aber Andere. Was habt Ihr also vor mit ihm? Ich bin im Recht, darnach zu fragen.“

„Das sind Sie, gnädiger Herr,“ sagte der Schäfer, indem er sich die grauen Haare zurückkämmte. „Aber fragen Sie nur Herrn Stargau selber. Ich kann Ihnen weiter nichts sagen.“

„Wann kommt er zurück?“ fragte Kuno rasch.

„Ich weiß gar nichts, bin auch eben gekommen – und habe mich gewundert, daß Niemand zu Hause ist.“

„Nicht einmal die Alte!“ sagte Kuno. „Und das junge Mädchen auch!“

„O!“ versetzte der Schäfer treuherzig. „Der Kleinen bin ich unten begegnet, sie ging mit dem Jungen nur auf der andern Seite der Schlucht und was sie mir zurief, habe ich nicht recht verstanden: aber so viel hörte ich, daß ich bis zum Abend warten soll.“

„Ich kann diese Zusammenkünfte nicht dulden!“ sagte Dießbach. „So lange der Mann sich still und verborgen hielt, konnte man ein Auge zudrücken – nun er sich aber bemerklich macht, soll es nicht heißen, daß ich sein Hehler gewesen bin. Geht also in Gottes Namen nach Hause, Schäfer, ich werde auf ihn warten, und ihm die Wohnung aufkündigen.“

„Ach, gnädiger Herr, das werden Sie doch nicht thun!“ rief der Schäfer. „Wo soll er denn hin?“

„Das ist nicht meine Sache, ich will die Schande nicht mit ihm theilen, wenn er hier von seinen Gläubigern ergriffen wird. Ihr seid nicht zum ersten Male hier.“

„Zum ersten Male, so lange er hier ist, gnädiger Herr!“ betheuerte der Schäfer. „Er schickte mir erst gestern den Jungen, den Fritze.“

„So! und demnach kennt Ihr die Alte, wie Ihr sagt, und auch das junge Mädchen?“

„Ja, die! Die sind ja schon lange hier, ich sage nicht, daß ich noch nimmermehr hier gewesen bin, nur den Herrn Oberamtmann – Herrn Stargau, wollte ich sagen – habe ich hier noch nicht gesehen.“

„Nichts als Winkelzüge!“ entgegnete Dießbach finster. „Geht Eure Wege, rathe ich Euch, und laßt Euch nicht wieder hier betreffen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_564.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)