Seite:Die Gartenlaube (1855) 577.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„I, gnädige Frau,“ erwiederte die Köchin lachend, „wozu hat mir denn der Himmel derbe Knochen und gesunde Kräfte gegeben? Ich werde mich doch wohl nicht vor einem solchen Franzosen fürchten sollen? – Ach, wäre ich nur ein Mann!“

„Ein braves Mädchen,“ sagte Jahn und blickte mit dem Ausdruck der Bewunderung auf die hohe, kräftige Gestalt, die in trotziger Haltung dastand, und des Blutes nicht achtete, das durch die Binde um ihren Arm zu sickern begann.

„Du solltest bei uns eintreten, Lore,“ sagte Friesen neckend, „wenn Du so große Lust hast, Dich mit den Franzosen zu messen!“

Das Mädchen schien von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt zu werden, warf einen forschenden Blick auf Friesen und auf Jahn, und verließ dann rasch das Zimmer.

Am nächsten Morgen bat Eleonore Prohaska, denn das war der Name der Köchin, die Frau von A. so dringend um ihre augenblickliche Entlassung aus dem Dienst, daß Frau von A. nicht zu wiederstehen vermochte, und ihr den Abschied zusagte, sobald sie eine Stellvertreterin geschafft haben würde; diese aber war für den ziemlich vortheilhaften Dienst noch an demselben Tage gefunden.




Mit dunkel glühendem Gesicht, mit strahlenden Augen, trat einige Tage später der junge A. mit allen Zeichen einer großen Aufregung in das Zimmer seiner Mutter. Ganz gegen seine Gewohnheit legte er seine Schulsachen nicht an ihre gehörige Stelle, sondern schleuderte sie nachlässig in eine Ecke, stürmte auf die Mutter zu, ergriff heftig ihre Hand und sagte, indem er sie mit funkelnden Blicken ansah:

„Denke Dir, Mutter, die Lore ist freiwilliger Jäger geworden!“

„Was? – Woher weißt Du denn das?“ fragte die Mutter verwundert.

„Weil ich sie selbst gesehen und gesprochen habe,“ erwiederte der Jüngling. „Höre nur! Ich ging eben über den Schloßplatz, da begegnete mir ein Lützow’scher Jäger, der mir dadurch auffiel, daß er eine schwarze Binde über der Stirn hatte. Ich sah ihn neugierig an, da erkannte ich zu meinem größten Staunen unsere Lore. Sie hatte mich nicht bemerkt, denn als ich ganz verwundert ausrief: I, Lore, was ist denn das?“ da erschrak sie heftig. Anfangs wollte sie den Kopf abwenden und so thun, als kennte sie mich nicht, aber gleich darauf besann sie sich anders, ergriff meine Hand und sagte halblaut, indem sie scheue Blicke auf die Vorübergehenden warf: „„Lieber junger Herr, verrathen Sie mich nicht, denn bis jetzt weiß Niemand, daß ich ein Mädchen bin. – Ja, sehen Sie, als neulich Abend Herr Friesen zu mir sagte, ich sollte bei den Lützowern eintreten, da konnte ich der Versuchung nicht wiederstehen. Ich nahm, wie Sie wissen, bei Ihrer Frau Mutter den Abschied, verschaffte mir Mannskleider, meldete mich bei dem Vater Jahn, und wurde von ihm für seine eigene Compagnie angenommen. So bin ich also jetzt freiwilliger Jäger, und ich denke, die Lore Prohaska wird der Compagnie, in der sie dient, keine Schande machen und den Franzmännern zeigen, daß auch die deutschen Mädchen ein Herz im Busen haben. Sehen Sie, wenn Sie nun verrathen wollten, daß ich ein Mädchen bin, und ich müßte die Uniform wieder ablegen, dann machten Sie mich sehr unglücklich!““

„Ich versprach ihr natürlich, gegen Jedermann zu schweigen, nur gegen Dich nicht, und fragte sie dann, weshalb sie denn die Binde über der Stirn trüge. „„Ich bekam vorgestern Abend im Bierhause Händel mit einem andern Jäger und,“ sagte sie lachend, „„wir griffen zu den Hirschfängern, und hieben uns ein Bischen herum. Dabei bekam ich einen kleinen Ritz auf der Stirn, den ich mit einem Streiche über meines Gegners Arm bezahlte, dann versöhnten wir uns unter den Lobsprüchen der Kameraden, und noch bevor wir an den Feind kommen, sind wir Beide ganz hergestellt.““ Dann schüttelte sie mir die Hand und eilte fort.“

„Je nun,“ sagte die Frau von A., „mich wundert das eigentlich von der Lore nicht so sehr, auch ist sie derb und kräftig genug, um die Muskete zu tragen.“

„Aber sie ist doch immer nur ein Mädchen,“ entgegnete der junge A. „Und wenn sie mit zu Felde ziehen kann, dann kann ich, ein Mann, es doch gewiß noch viel eher. Du wirst es mir also jetzt auch erlauben, Soldat zu werden, nicht wahr, meine gute Mutter? Ich müßte mich ja sonst vor der Lore schämen, daß sie mehr Muth hätte, als ich, und das darfst Du doch nicht zugeben!“

Frau von A. suchte dem Knaben diesen Gedanken auszureden, aber er bat und schmeichelte so lange, er rühmte seine durch das Turnen gestärkte Kraft und Ausdauer so sehr, daß sie endlich nachzugeben gezwungen war, und versprach, seinen Wünschen nicht länger zu widerstreben, wenn der eben abwesende Vater seine Einwilligung geben würde. Diese erfolgte in der That nach einiger Zeit, da sich dem Rittmeister von A. eine günstige Gelegenheit bot, seinen Sohn in seiner Nähe unter eigener Aufsicht zu behalten, ohne daß derselbe dem gewöhnlichen Dienst und dessen Strapazen ausgesetzt war. Schon nach wenigen Wochen sah sich der junge A. mit der ersehnten Uniform bekleidet, und wurde als Ordonnanz in das Hauptquartier commandirt, auf dem Commandantur-Büreau desselben beschäftigt.




Die Schlacht an der Görde (in Mecklenburg) hatte sich entsponnen. Unter den gemischten Corps, über welche der Generallieutenant Graf Walmoden-Gimborn das oberste Commando führte, befand sich neben Russen, Schweden, dem mecklenburgischen Kontingente, der englisch-deutschen und russisch-deutschen Legion, auch ein Theil des Lützow’schen Freicorps, und dieses hatte einen besonders harten Stand, gegenüber den Franzosen, die ein kleines Gebüsch besetzt hielten, welches eine sanft ansteigende Anhöhe krönte, und ihnen eine sehr vortheilhafte Position bot. Die Lützow’sche Infanterie, zu der auch die Compagnie des Turnvaters Jahn gehörte, erhielt endlich den gemessenen Befehl, die Franzosen aus diesem Gehölze zu vertreiben. Mehrere zu diesem Zwecke unternommene Angriffe wurden zurückgeschlagen, da kam der an dieser Stelle commandirende Offizier zu der Ueberzeugung, es würde leichter sein, den Feind durch Tirailleure zu vertreiben, als durch einen geschlossenen Angriff, wie man bisher versuchte. Jahn rief sogleich Freiwillige aus seiner Compagnie auf, um mit denselben unter seiner eigenen Führung in das Gehölz einzudringen, und einer der Ersten, welche aus dem Gliede traten, dem Rufe des geliebten Hauptmanns zu folgen, war Lorenz Prohasky, der sich schon bei mehreren Gelegenheiten durch seinen Muth rühmlichst ausgezeichnet hatte. Die Kette der Tirailleure wurde gebildet, und drang unter fortwährendem Feuern, jedoch im Sturmschritt, gegen das Gehölz vor, aus welchem den Tapfern ein mörderischer Kugelregen entgegen gesendet wurde. Viele der Lützower fielen; Andere wurden verwundet, und einer der Ersten unter diesen war Lorenz Prohasky, der einen Schuß in den Arm bekam. Doch ohne der ziemlich bedeutenden Wunde zu achten, verband er sie flüchtig mit seinem Taschentuche, und eilte, die Kameraden einzuholen, die er eben noch zeitig genug erreichte, um in das allgemeine Hurrah einzustimmen, unter dem sie mit gefälltem Bayonnet in das Gehölz eindrangen. Nur wenige Schritte noch war Prohasky von den Büschen entfernt, da sahen die zurückgebliebenen und außer Schußweite stehenden Kameraden, wie er plötzlich in die Knie brach, dann sich mit gewaltiger Anstrengung erhob und, das Gewehr als Stütze benutzend, zurückwankte, die linke Hand gegen den Unterleib gepreßt. Nur mühsam schleppte er sich fort, und als der Offizier, welcher die Compagnie Jahn’s commandirte, dies sah, gebot er zwei Jägern, die Büchsen abzugeben, und dem Verwundeten entgegen zu eilen, um ihn zurück zu führen. Doch noch ehe sie ihn erreichten, brach er zusammen und sie waren genöthigt, ihn zu seiner Compagnie zu tragen. Hier wurde er hinter der Fronte niedergelegt, und sogleich eilte ein Chirurgus herbei, seine Wunde zu untersuchen.

„Ein Weib,“ rief er verwundert, und voll Staunen drängten sich die Zunächststehenden herbei, die Heldin zu sehen, die der ganzen Compagnie durch die unerschrockendste Todesverachtung vorgeleuchtet hatte.

„Ja, ein Mädchen,“ sagte die Verwundete mit mattem Lächeln; „nicht Lorenz Prohasky, sondern Leonore Prohaska, aber deshalb hoffentlich kein schlechterer Soldat.“

„Ach, Herr Geheimerath,“ rief sie dann plötzlich mit dem Ausdrucke der Freude einem Manne zu, der zu Pferde neben dem Kreise halten blieb, dessen Mittelpunkt Leonore Prohaska bildete und voll Teilnahme fragte, was es hier gäbe. „Sie sendet Gott, denn wenn ich noch zu retten bin, so werden Sie mich retten!“

Der Angeredete, der Generalstabsarzt der Armee, Geheimerath Dr. Kohlrausch[1], hatte kaum vernommen, daß es sich hier um einen schwer Verwundeten handle, in dem man noch dazu ein


  1. Er starb als sehr geachteter Arzt, und, irren wir nicht, als Director der Charitée, in Berlin.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_577.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)