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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

im Freien ärger zugesetzt. Helfen die auch nicht, geht man zu lustigen Burlesken und Processionen über, in denen ein ungeheuerer Papierdrache, von fürchterlicher Musik umtobt, die Hauptrolle spielen muß. Manchmal bleibt der Director des Regens auch jetzt noch taub und hält die Wolken des Himmels verschlossen, wie ein Geizhals seinen Geldkasten, und dann geht man vom Beten zum Fluchen über, womit man ihn in Stücke zerreißt und mit Füßen tritt. Unter Kia, fünftem Kaiser der jetzigen Mantschu-Dynastie, ward der Regengott wegen anhaltender Trockenheit durch kaiserliches Edict über die Grenze hinaus in die Provinz Torgot ausgewiesen und transportirt. Den Hofleuten ging das so nahe, daß sie sich dem Kaiser zu Füßen warfen und um Begnadigung des nationalen Regen-Ministers baten. Der Kaiser ließ sich erweichen, sandte Couriere hinter den Leuten her, die den Regendrachen fort transportirten und ließ ihn zurückrufen. – Glauben die Chinesen an die Wirksamkeit dieser abgeschmackten Ceremonien? Durchaus nicht; Jeder lacht darüber, macht aber mit, da es unterhaltend ist und seit Jahrtausenden so Sitte war.“

Bestehen deshalb auch nicht bei uns fortwährend ziemlich eben so absurde Ceremonien und Moden? Man sehe sich nur ordentlich um und denke, statt als Gewohnheitsthier sich treiben und drehen zu lassen.

Die Chinesen sind große Künstler in allerlei Schein und Humbug. Ein Zug der Verstellung und äußerlicher Formalität geht durch alle ihre Sitten, Gebräuche und Gesellschaftsformeln. Als Beispiel führen wir nur einen außerordentlich gastfreundlichen Mann an: „Während unserer nördlichen Mission waren wir Zeuge einer ächt chinesischen Scene. Es war einer unserer Festtage, die Feier einer Bekehrung zum Christenthume in der Privatkapelle eines schon Bekehrten, in welcher sich alle gewonnenen Christen der Nachbarschaft zu versammeln pflegten. Nach Beendigung des Gottesdienstes stellte sich der Hausherr mitten in die Kapelle und rief mit herzlichem Eifer: „Laßt mir Keinen fort. Ich lade Euch alle ein, heute bei mir Reis zu essen!“ Und nun lief er von Einem zum Andern und bat flehentlich, man möchte bleiben; aber Jeder hatte diesen oder jeden Grund, warum es ihm unmöglich sei, von der Gastfreundschaft Gebrauch zu machen. Der höfliche Hausherr schien ganz unglücklich. Endlich erspähte er einen seiner Vetter, der eben davon ging.

„Was, Vetter, auch Du willst fort? Unmöglich! Du mußt heute zu diesem Festtage mein Gast sein!“

„Unmöglich,“ sagt der Vetter, „ich habe nothwendig zu thun.“

„Zu thun, heute zum Feiertage? Du mußt durchaus bleiben! Ich lasse Dich nicht fort.“

So ergreift er den Vetter und transportirt den sich Wehrenden mit wahrer Gewalt in’s Haus. Aber der Vetter siegt endlich insofern, als der Hausherr seine gastfreundliche Forderung auf ein Glas Wein beschränkt, welches nicht viel Zeit koste.

„Gut,“ sagt der Vetter, „ein Glas Wein können wir schon mit einander trinken. Das ist bald gemacht.“

So gingen Beide in’s Haus. Der Wirth rief, ohne Jemanden besonders anzureden. „Etwas Wein heiß gemacht und zwei gekochte Eier!“

Inzwischen steckten Beide ihre Pfeifen an und plauderten. Sie rauchten aus, stopften, zündeten an und rauchten wieder aus, aber der heiße Wein und die gekochten Eier kamen nicht. Endlich fragte der Vetter, ob es noch lange dauere, ehe der Wein fertig würde.

„Wein?“ schreit der Hausherr, „Wein? Haben wir in unserm Hause einen Tropfen Wein? Trink ich jemals Wein? Weißt Du nicht längst, daß ich keinen Wein vertragen kann?“

„In diesem Falle hätte ich ja längst gehen können,“ erwiederte der Vetter. „Warum nöthigst Du mich denn so fürchterlich, zu einem Glase Wein zu bleiben?“

Hier erhob sich der Herr des Hauses rothschwellend vor Zorn und schrie: „Was? Ich bin so höflich, Dich zum Wein einzuladen, und Du verstehst nicht einmal so viel Lebensart, ihn abzulehnen? Wo hast Du Deine Bildung gelernt? Wahrscheinlich unter den Mongolen!“ Der Vetter stammelte einige Entschuldigungen, stopfte seine Pfeife wieder und ging verlegen davon. Wir waren Zeuge dieser ganzen Scene gewesen und lachten nun. Der Hausherr aber blieb empört über seinen ungebildeten Vetter und fragte uns, ob wir je einen so rohen, unwissenden, ungeschliffenen, abgeschmackten Menschen gesehen, als diesen Vetter, und kam immer wieder auf das große Princip aller Höflichkeit zurück: Güte mit Güte zu belohnen und stets abzulehnen, was uns ein Anderer anbietet. „Was sollte denn sonst aus uns werden?“

Dies erinnert an die gütigen, kleinstädtischen Verwandten in Europa, welche vor einem herannahenden Vetter oder einer hochgeschätzten Muhme den Kaffee, bei dem sie gerade sitzen, verstecken und dann ausrufen: „Aber liebes, liebes Tantchen oder Mühmchen oder Vetterchen, warum sind Sie nicht eene eenzigte Minute früher gekommen? Nu is der Kaffee gerade alle bis uf’s letzte Schälchen.“

Huc lag eine Zeit lang sehr krank in Kum-kiang-hien, Provinz Hupé, doch erholte er sich endlich, worauf man ihn höflich einlud, den Sarg in Augenschein zu nehmen, den man inzwischen für ihn hatte machen lassen. Dies ist ein ächtes, reelles chinesisches Kompliment. Särge sind durch alle Städte China’s ein üblicher Handels- und Luxusartikel, womit sich Freunde und Verwandte beschenken. Wohlhabende Leute kaufen sich immer so bald als möglich selbst einen Sarg nach ihrem Geschmacke aus den großen Vorräthen in Läden. Zärtliche Kinder und Nachkommen beschenken ihre alten Aeltern und Onkels mit kostbaren, geschmackvoll decorirten Särgen. Sobald Jemand bettlägerig wird, ist es die erste Pflicht der geliebten Angehörigen, den Sarg neben sein Bett zu stellen und ihn zu fragen, oh ihm die mögliche neue Wohnung auch gefalle. Auf dem Lande, wo keine Särge in Läden vorräthig sind, schickt man in jedem ernstlichen Krankheitsfalle sofort zum Tischler, welcher an dem Kranken Maß nimmt, und einige Zoll „zum Strecken“ zugiebt. In Gegenwart des Kranken wird dann mit den Preis gehandelt, worauf der Tischler hinausgeht vor’s Fenster und den Kranken mit der Musik des Sägens und Hobelns an dem entstehenden Sarge unterhält. Alles das geschieht ganz geschäftsmäßig ohne Aufregung von Seiten des Todescandidaten oder der Angehörigen.

Einmal begegnete Huc einer Prozession von Männern, Weibern und Kindern, die ihn auf die süßeste Weise aus ihren schiefen, geschlitzten Augen anlächelten, als sie mit einem Sarge und einem hagern, stier auf den Sarg blickenden Kranken bei ihm vorbeizogen. Der ihn begleitende junge Christ erklärte ihm die Scene: Ein Kranker aus der Ferne, der zu Hause sterben will. Ein großes Stück weiße Leinewand im Sarge sollte die Hinterbliebenen in Trauer kleiden (die Chinesen trauern weiß). Diese Eile und Zuvorkommenheit in Krankheitsfällen für die Funktionen des Begrabens und Trauerns gilt allgemein als Zeichen der Liebe und Zärtlichkeit für Kranke, welches letzterem sehr angenehm ist. Der Kranke würde über Rücksichtslosigkeit und Kälte klagen, wollte man ihm den Sarg bis nach dem Tode vorenthalten oder sich damit entschuldigen, daß man auf seine Genesung hoffe.

Unter den chinesischen Familienbildern, die uns Huc oft sehr anschaulich malt, kommen nicht selten Scenen herzlicher, derber Prügelsuppe vor. Einmal sah er Mann und Frau im activsten Handgemenge. Als sie sich gehörig zerbläut hatten, wetteiferten Beide in Zerschmetterung aller irgend zerbrechlichen Hausgeräthe, von Tellern, Schüsseln, Stühlen, Betten, Pfannen, Tiegeln u. s. w. Eine suchte die andere Hälfte zu übertreffen. Der Mann, um sich in dieser Concurrenz nicht besiegen zu lassen, holte endlich eine Holzaxt, um damit einen großen kupfernen Kessel zu zertrümmern. Als Beide erschöpft aufhörten, frug ihn ein Nachbar, warum er nicht lieber die Frau todtgeschlagen? Der Mann antwortete ganz geschäftsmäßig, er sei alt, deshalb werde es ihm zu viel Geld gekostet haben, sich eine andere Frau zu kaufen. Die Wiederherstellung der zerbrochenen Sachen koste jedenfalls weniger. Man sieht, daß sonach ein bischen christliche Duldsamkeit den Herren Chinesen nichts schaden kann.




Blätter und Blüthen.

Die Biene. Ihre Sprache und Staatsverfassung. „Wenn ich, – sagt de Favière in seiner interessanten Schrift über „Bienen und Bienenzucht“ – von einer Sprache der Bienen spreche, so will ich damit diesem Ausdruck den Sinn beilegen, den wir demselben beilegen, wenn von dem Menschengeschlechte die Rede ist. Die Bienen haben zwar ein eben so unfehlbares als schnelles Mittel, sich die für sie interessanten Ereignisse mitzutheilen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 629. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_629.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)