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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

für’s ganze Jahr bezahlt. Er ward in „Anundal“ gebunden, in die Weichen geschlagen und mit dem Kittie gequetscht. – Suburoya, ein Ryot, war noch mit funfzehn Rupien rückständig. Auch er behauptete, er habe schon die Landtaxe für’s ganze Jahr, 240 Rupien (160 Thaler) bezahlt. In Anundal gespannt, in die Weichen gekniffen und mit einer Peitsche blutig geschlagen. – Nauguer Chaluvon, wegen Weigerung, unrechtmäßig geforderte zehn Anna’s (1 Sgr. 3 Pf.) zu zahlen, ward in die Sonne gelegt, mit dem Kopfe zwischen die Füße gebunden und einem Steine auf dem Rücken, Anwendung des Kittie an beiden Händen. – Thumbie Mudely, ein Junge von achtzehn Jahren, Sohn einer Wittwe, wegen rückständiger 15 Rupien mit dem Kittie gequetscht und zwölf Mal gepeitscht. – Parasuma Gramy, drei Tage in Anundal, 45 Tage in einem Kerker. – Caulathie Mudely, obgleich er seine eigene Landtaxe richtig bezahlt, ward dennoch von den Peons torturirt, bis er die Taxe eines zahlungsunfähigen Nachbars vorgeschossen. – In einem Dorfe wurden mehrere Landbesitzer mit Stricken zusammengeschnürt und mit Steinen beladen, weil sie sich weigerten, Land an Engländer zu verkaufen. – Einmal wurden sämmtliche Eigenthümer eines Dorfes drei Monate lang in Anundal gespannt, weil sie in Folge der Mißernte Erlaß der Steuer beanspruchten. Dabei wurden auch deren Weiber und Töchter mit dem Kittie an den Brüsten gemißhandelt.“

Genug aus dem amtlichen Berichte. Es waren Beamte der ostindischen Compagnie. Diese ist nicht England, tröstet sich der Gläubige. Die Sache ist, daß die indische Obrigkeit sich fortwährend aus den Söhnen der feinsten Aristokratie rekrutirt, die hernach sich nicht selten in’s Parlament einkaufen, unter die Klügsten der constitutionellen Freiheit, daß diese Herren von der Tortur wußten, daß man in Englands regierenden Kreisen längst davon wußte, daß man die Tortur billigte, wie sie noch von der Times entschuldigt und beschönigt ward, als dieser Bericht schon erschienen war, weil „das Geld doch jedenfalls von den Indiern aufgebracht werden müßte und sie nicht so feines Gefühl hätten als wir civilisirten Europäer,“ daß Unterhaus, Palmerston, Ministerium die Interpellationen wegen dieser Tortur, deren Gräuel also schon über Länder und Meere bis hierher gedrungen war, von der sie also sehr wohl wußten, hinweg zu läugnen, hinweg zu spotten suchten, daß also diese kannibalische Barbarei im Dienste der reichen Sclaven des Geldes von dem höhern, officiellen, noch jetzt regierenden und gegen Rußlands Barbarei Krieg führenden England – ich sage es noch einmal – gebilligt ward.

Nun und was folgt daraus? Wenigstens dies, daß man sich erst England genauer ansehen und speciell das Ende des Krieges abwarten sollte, ehe man an dieses officielle England glaubt, und zwar mit der absurden Illusion obendrein, daß Deutschland vielleicht unter der Hand etwas Freiheit, etwas Civilisation aus Englands Ueberschusse mit abkriegen könnte. Ueberhaupt werfe man mit einem Male die gemüthlichen Illusionen von einem Kampfe, von diesem Kampfe „zu Gunsten der Türkei, für die Civilisation gegen Barbarei und Rußland“ zum Schädel hinaus, daß sie Hals und Beine bei dieser Exmission brechen und nicht etwa wieder in das Gehirn hineinkriechen. Sie kämpfen um ganz unbestimmte Punkte, Napoleon mehr für seinen als des Sultans Thron, England lange gar nicht oder nur zu seinem eigenen Nachtheile, und auch jetzt noch nicht für ein bestimmtes, klar erkanntes Interesse. Es muß mit den Franzosen mitlaufen und wenigstens deren Siege verdunkeln. Und wenn die Franzosen einen Sieg erfechten, kommt die Times jedesmal den folgenden Morgen: „Jetzt verlangen wir mehr! Nichts da von vier Punkten, zehn Punkte verlangen wir nun!“ Im Allgemeinen merken es aber alle kriegführenden Parteien nachgerade, daß nicht der Sieger gewinnt und der Geschlagene nicht verliert, sondern daß sie sich Alle ruiniren, wobei Rußland nur den Vortheil hat, daß es als vorzugsweise Ackerbau treibendes, in Rohprodukten überproducirendes, barbarisches und nicht durch Luxus verwöhntes Land durchaus mehr Ruin vertragen und aushalten kann als das industrielle England und das in Luxus-, Schönheit- und Kunstindustrie ausgezeichnete Frankreich. Bisher hat nur ein Volk dabei gewonnen, das deutsche, sein Gewinn wird in dem Grade steigen, als es den Glauben an das jetzige, officielle, regierende England verlieren wird, – an die in Geheimniß gehüllte Diplomatie überhaupt, die so oft mit wenigen Federstrichen vernichtete, was mit dem theuersten Menschenblute und dem Ruin ganzer Völker errungen worden war.




Blätter und Blüthen.

Aus dem Juragebirge geht uns folgender Bericht zu. Eine Heuerin, im September d. J. mit Mähen beschäftigt, hatte ihren Säugling wohl und fest auf die landesübliche Art in ein Wickelzeug verpackt, mit auf die Matte genommen, und denselben, um ungehinderter arbeiten zu können, im Grase niedergelegt. Ihre Arbeit entfernte sie ein Wenig von dem Platze, wo das Kind schlummernd lag, da vernimmt sie plötzlich ein Rauschen in der Luft, hört ein paar gewaltige Flügelschläge und sieht einen Steinadler pfeilgeschwind sich mit ihrem Knäbchen fast senkrecht emporheben.

Sie fällt nicht besinnungslos zu Boden, sie versteinert nicht beim jähen namenlosen Schrecken, – sie will dem Räuber ihres süßen Kindes auf dem nächsten Wege nacheilen, sie stößt gellende Schreie der Verzweiflung aus, aber sie kann dem Adler, dem König der Lüfte, der jetzt hoch in der Luft das Kind in seinen Krallen tragend kreist, um sich dann auf seinem, auf einer mittlern Staffel des Felsengebirges befindlichen Horst niederzulassen, nicht folgen, und sieht nur noch, wie das Thier in immer nähern Kreisen das Nest überschwebt, aus dem das Gekreisch seiner hungrigen Brut ihr zu Ohren schrillt.

Der Raub ist aber auch von einigen Hirten, die auf einer obern Staffel Ziegen weideten, bemerkt worden, indem sie durch den Jammerschrei des Weibes aufmerksam wurden. Die Hirten, unter ihnen der siebzehnjährige Johann Imthal, schreien nicht, denn sie wissen wohl, daß sie den Adler erschrecken könnten, und daß dieser dann seine Beute aus der schwindelnden Höhe fallen lassen würde, aber sie harrten in Ruhe und Besonnenheit des entscheidenden Augenblicks, wo der Raubvogel in seinem Horste angekommen war, und jetzt, wo sie das Kind vor dem tödtlichen Sturze gesichert sahen, erhoben sie von zwei Seiten her ein so furchterregendes Geschrei, daß der Dieb schneller noch vom Horste abstob als er ihn eben in Besitz genommen hatte. In unglaublicher Zuversicht und Kühnheit klomm jetzt Johann mit Hülfe der Steigeisen und seines Schaftes an der fast senkrechten Wand empor. Sein Fuß prüfte dabei jeden verdächtigen Stein, vorsichtig ermaß er jeden Schritt, – denn er schonte seines Lebens zur Rettung eines zweiten. Die Anfälle des Adlers achtete er nicht, da das Geschrei der Hirten und deren Steinwürfe den Erfolg derselben vereitelten, und seine Aufmerksamkeit ungetheilt dem gefährlichen Pfade widmend, stand er endlich glücklich an der seltsamen Wiege, in die der Adler das Kind gebettet.

Das unbeholfene, durch die Unruhe der jungen Vögel geängstigte Knäbchen schrie kläglich seinem Retter entgegen. Dieser säumte deshalb nicht, der Brut seines Räubers die Hälse umzudrehen und sie der Tiefe zuzuschleudern. Kaum aber hatte der Verwegene dies gethan, als auch der Adler weder des Schreiens noch der Würfe der Ziegenhirten mehr achtete. Wüthend stürzte er sich auf den Mörder, und fast wäre es ihm im jachen Anfluge gelungen, ihn durch einen seiner gewaltigen Flügelschläge den erwürgten Jungen nachzusenden. Dadurch gemahnt an die Schwierigkeiten seiner Lage, übersah Johann erst die Gefahr derselben im vollen Umfange. Im Aufsteigen des Rückweges[WS 1] nicht gedenkend, leuchtete ihm nun im Niederschauen die Unmöglichkeit ein, sich sammt dem Kinde von dieser Höhe durchzulassen, und da die Wand der dritten Staffel weit überhing, so gab es noch weniger einen Ausweg nach oben. So mußte er denn sich und das kaum errettete Kind zugleich für verloren erachten, denn wie er auch sann, wohin er auch ausschaute, in keiner Weise wollte es ihm gelingen, ein Auskunftsmittel zu entdecken. Obschon sich der Hülflose in mißlicherer Lage nie befunden, so gab er sich doch der Verzweiflung nicht hin. Einen Augenblick kam ihm der Gedanke durch ein gewagtes Absteigen ohne die Bürde des Kindes sich selber mindestens zu erretten, aber er verwarf den ansteigenden Gedanken mit edler Entrüstung. Der vertrauensvoll auf ihn gerichtete Blick der beraubten Mutter, die bis zum Fuße der Wand ihm nachgeklettert, von da aus jede seiner Bewegungen verfolgte, rührte ihn tief, und obwohl er kaum zweifeln konnte, daß diese Felsenplatte sein Golgatha und des Adlers Horst sein Grab sein werde, so wollte er dennoch der nicht sein, welcher der armen Mutter ihre letzte Hoffnung raube; – wie zur sichern Verheißung hielt er deshalb das schreiende Kind weit über den Rand hinaus der Mutter entgegen.

Johann’s regungsloses Verhalten in dieser gewagten und unbeschützten Stellung blieb vom kreisenden Adler weder unbemerkt noch unbenutzt. Der Geißhirten Warnung erscholl zwar noch zeitig genug, zur Rettung des Säuglings, kaum aber, daß Johann denselben in den Horst gelegt, so schleuderte des Adlers Stoß ihn selbst mit solcher Heftigkeit zu Boden, daß er über des Felsens Kante halben Leibes hinaushing.

Ein Klagelaut unaussprechlichen Jammers erklang aus der Tiefe – er entquoll der Brust der verzweiflungsvollen Mutter des nun für immer verlorenen Kindes. Wo aber kaum ein Wunder noch retten konnte, da erhielt den Jüngling der Feind selbst am Leben. Ein Flügelschlag des blind wüthenden Thieres schnellte ihn wieder vom Rande des Abgrundes zurück und so gewaltsam, daß er über das Nest hinflog und hinter diesem niederfiel.

Der Steinadler stürzt sich nämlich niemals senkrecht auf seine Beute, sondern er schießt in schräger Richtung dem Ziele zu; deshalb war der überhangende Fels kein Hinderniß für ihn, auf Johann fortwährende Angriffe aus der Höhe herab zu machen; nun aber hatte Johann zu seiner Vertheidigung Nichts als seinen Schaft, von diesem konnte er jedoch des Raumes Enge wegen wenig oder keinen Gebrauch machen, und er gerieth

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Knökweges
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_641.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2023)