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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

schon leichter werden. Sie können denken, daß der gebildete Musiker, der das von Jugend auf gelernt und geübt hat, eine große Fertigkeit im Erkennen derselben, daß er sich eine große Hörkunst erworben haben muß.

Daraus wird Ihnen die tiefe und weite Kluft im Urtheil und Genuß, welche bisher zwischen Kennern und Laien in der Musik bestand, erklärlich sein. Viele musikalische Gedanken also, immer nur erst in der Einstimmigkeit betrachtet, sind, wenn gleich künstlicher konstruirt und mit verstecktern Aehnlichkeiten ausgestattet, dem Kenner doch eben so faßbar und deutlich, wie die einfachste und populärste Melodie dem Laien nur immer sein kann.

Aber freilich ist diese unleugbare Wahrheit auch leider zugleich ein Zufluchtsort, in welchem sich der Irrthum, das Ungeschick des Komponisten mit jeder, auch der unfaßlichstett Musik, zurückziehen kann.

Von dort aus wird dann wohl dem armen Publikum zugerufen: „Du verstehtst mich nicht, aber Deine Nachkommen werden mich schon zu schätzen wissen, und Dich ob Deiner Schwäche verachten und auslachen!“ Und freilich finden dann solche Irrthümler immer eine Anzahl besonderer Kennerseinwoller, die nicht allein das musikalische Gras der Gegenwart, sondern auch das der Zukunft wachsen hören und die jenem beistimmend ausrufen: „Ja, wir begreifen ihn, und wir – anerkennen ihn!“

Aber, liebe Leser der Gartenlaube, Ihr, hoffe ich, sollt Euch in der Folge dadurch nicht mehr irre führen und verblüffen lassen, denn so dehnbar die Dinge dieser Welt, also auch die Kunstbildungsgesetze sein mögen und in der That sind, daß es Schranken für dieselben giebt, weil die menschlichen Sinne ihre Schranken haben, und daß, wenn diese Schranken überschritten werden, es mit dem so gerühmten Fortschritt nichts mehr ist, will ich in Bezug auf musikalische Gedanken noch durch ein Beispiel erläutern.

Wenn Goethe schreibt:

„Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.

so kann man den Ausdruck dieses Gedankens einen populären nennen, denn er ist jedem nur halbweg gebildeten Menschen durchaus klar und verständlich.

Einer Gelehrtenmelodie schon näher kommt folgende Strophe von Klopstock:

„Zwo tisiphonische Töchter hat der Eroberungskrieg, er
Nennt sie: Nimm, behalt! Versklavung! die jüngere. Oft deckt
Dieser Günstling des Vaters die Bande durch lilienweiße
Blumen, von Schlangenschaum getränkt.“

Die Konstruktion ist gesuchter, künstlicher, und es kommen Ausdrücke darin vor, zu deren Verständniß schon besondere Kenntnisse gehören.

Immerhin geht dieser Gedanke nicht über die Fassungskraft des Menschen hinaus, und ist deshalb nicht als überhaupt unzulässig zu bezeichnen. Was sagen Sie aber zu folgenden Zeilen:

„Da ist wie auch o Wetter bringen gelten
Und schnell das Schloss es regnet abseits Welten!“

Darf irgend ein vernünftiger Mensch sagen: in diesen Worten liegt ein Gedanke von solcher Tiefe, wie ihn die jetzige Generation noch nicht, erst eine in der Zukunft kommende verstehen und sich an ihm erfreuen wird?

In der Musik tauchen aber in der That jetzt zuweilen musikalische Gedanken auf, die nicht viel verständlicher sind, als der letzte Wortgedanke, und deren Unsinn von den Laien bisher nicht klar eingesehen werden konnte. Jetzt werden Sie schon begreifen, daß solche Tongedanken keiner Zukunft sinnig vorkommen können, weil sie absolut unsinnig sind.

Sie fragen vielleicht, wie es möglich sei, daß Erfahrungen, welche jeder gebildete Mensch macht, gerade von den Künstlern übersehen werden sollten, die doch das hellste Einsehen in das Wesen, die Gesetze, Wirkungszwecke und möglichen Grenzen der Kunst haben müssen, da sie sich mehr als alle anderen Menschen damit beschäftigen?

Die Zahl der Künstler, welche gegen die unwandelbaren Gesetze der Tonkunst verstoßen, ist verhältnismäßig zu allen Zeiten gering gewesen. Die vorzugsweise Beschäftigung mit der Kunst schützt aber nicht alle vor Fehlern. Die Uebung stärkt die Kräfte, das Bewußtsein dieser Kräfte führt zuweilen auf Ueberschätzung derselben, und dann sind Ueberschreitungen in’s Ungeheuerliche und Maßlose nichts Unerhörtes. Ein Hauptverführungsmittel liegt auch vorzüglich in der langen und wiederholten Beschäftigung mit einem Kunstwerke. Eine Sinfonie z. B. verlangt gar viele Wiederholungen verschiedener Prozeduren vom ersten rohen Gedanken an bis zur letzten Note der Ausführung. Was ist natürlicher, als daß dem Schöpfer derselben alle Gedanken bis in die kleinsten Theile hinein bekannt und geläufig werden. Für ihn ist nichts darin zu künstlich, zu verwickelt konstruirt, nichts nur im Geringsten dunkel und unverständlich. Aber daß er glaubt, es müsse Anderen eben so verständlich wie ihm werden, darin liegt sein Irrthum.

Noch eine Art von Komponisten bringt dunkele und unverständliche Dinge zu Tage aus Ungeschick. Man möchte gern bedeutende und bewundernswürdige Dinge schaffen, hat aber die strenge Schule nicht durchgemacht, welche erst befähigt, eine gefaßte Idee deutlich, anmuthig, jedermann faßlich und wohlgefällig aus sich herauszugestalten und zum Ausdruck bringen zu können.

Die Bemerkungen in diesem Briefe bezogen sich nur auf den Leib, auf den technischen Organismus der Melodie und der musikalischen Gedanken. Und in derselben Weise muß ich noch in manchem folgenden Briefe von andern musikalischen Dingen reden. Dann aber werden Sie auch gehörig vorbereitet und befähigt sein, das Nöthige über den geistigen Inhalt, die Seele der Musik, zu verstehen und aus den ächten Tonwerken heraushören und nachfühlen zu können.




Reise über die Landenge von Panama

mit Eisenbahn.[1]

Vor einigen Jahren (1849) tauchte in Berlin das Projekt eines Eisenbahnbaues über die Landenge von Panama auf. Einzelne Volks-Expeditionen sollten sich der Reihe nach querüber ansiedeln, den Boden urbar machen, sich so Lebensunterhalt verschaffen und dann die Eisenbahn bauen. Viele werden sich nun wundern, daß diese Eisenbahn längst gebaut ist und Nationen aller Art von und nach Californien u. s. w., von und nach dem stillen und atlantischen Oceane täglich massenweise hin- und wieder dampfen. Wir in der alten Welt wissen kaum, wie sie fertig geworden, und ahnen noch gar nicht, was für ein neues, frisches und musculöses Leben sich auf der andern Halbkugel entwickelt.

Wir selbst staunten, als wir einen Brief von einem deutschen Civilisations-Pionier der Antipoden-Halbkugel erhielten und lasen, datirt: „Aspinwall, den 19. März 1855.“ Da er uns mit der neuen Weltstraße zwischen den beiden Haupt-Oceanen ziemlich drastisch bekannt macht, theilen wir den Brief in seinem wesentlichen Inhalte mit.

„Nach einer angenehmen Reise von dreizehn Tagen im Dampfschiffe California von San Franzisko liefen wir Anfangs März in die große Bucht ein, welche nach der Stadt Panama führt. Der tägliche Anblick der erhabenen stillen Meeresscheibe, war in den letzten Tagen ziemlich langweilig geworden, so daß wir unsere Augen herzlich an den Inseln weideten, zwischen denen wir hindurchfuhren, so einförmig sie auch sind. Steile Hügel und Berge, bedeckt mit karger, bräunlicher Vegetation, unten eingefaßt von schlanken Cacaonuß-Palmen, die unmittelbar vom Wasserrande emporschießen. Gleich nach der Einfahrt zur Panama-Bucht erhebt sich


  1. Panama, bisher Provinz Neu-Granada’s, hat sich „in Folge der neuen Eisenbahn“ als selbstständige Republik constituirt und Justo Otrosemena zu ihrem provisorischen Präsidenten erwählt. Die provisorische National-Versammlung, unter Präsidentschaft Francisco Fabrega’s, ist damit beschäftigt, die Republik zu organisiren. Unter diesen Verhältnissen gewinnt das welthistorische Faktum der Panama-Eisenbahn ein besonderes Interesse.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_650.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2023)