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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

ist. Mit der Lichtung unserer Wälder, mit der Kultur unserer Felder verloren Luchs, Wolf und Bär ihre Schlupfwinkel und ihre Beutethiere, nur die kleineren Räuber: Marder und Wiesel, Fischotter und Dachs, Fuchs und Wildkatze lassen sich nicht aus ihren Verstecken verjagen, so sehr ihnen auch bis heute noch nachgestellt wird, denn ihre Existenz ist nicht an große Thiere gebunden, die der Mensch verdrängt oder unter seine besondere Obhut genommen, sie begnügen sich mit kleinem Wild, an dem kein Mangel ist.

Unser brauner Bär hatte bereits in der Diluvialepoche seinen Vertreter, dem jedoch der riesige Höhlenbär keinen freien Spielraum ließ. Der Höhlenbär war ein in ganz Deutschland sehr gemeines Raubthier, von der Größe und Stärke unserer stattlichsten Eisbären, aber noch gefräßiger, besonders begierig nach nahrhaften Knochen und was zunächst drum und dran hing. Seine Gebeine finden sich fast in allen unsern Knochenhöhlen, hier und da auch im offenen Diluvialboden, von den jüngsten Individuen an, deren Zähne noch in den Alveolen stecken, durch alle Alter bis zu den ältesten, welche ihre Zähnekronen bis auf den Alveolarrand abgenutzt haben. Ja man findet mit diesen Resten noch die angenagten Knochen, die dem Höhlenbär zur Nahrung dienten. Stark genug war er, um den Kampf mit jedem Landbewohner aufzunehmen, wir wissen aber nicht, ob er das Mammut und Rhinoceros wirklich aus Beutelust und im Vollgefühl seiner Kraft angriff.

Bevor die Bären überhaupt auf der Erdoberfläche erschienen, in der mittlern Tertiärepoche vertrat ihre Stelle und die der Hunde wieder ein Prototypus, wie wir solche schon unter den Hufthieren kennen lernten, nämlich wahre Bärenhunde, Raubthiere von der Größe der Bären, von deren plumpem und kräftigen Bau, ebenfalls Sohlengänger, aber mit entschiedenem Hundegebiß, d. h. mit sehr entwickeltem Fleischzahn, der bei den Bären als Omnivoren völlig verkümmert ist, und mit großen ächten Mahlzähnen. Letztere sind größer als bei den Hunden, auch ihrer drei statt zwei, und daraus schließen wir mit der größten Sicherheit, daß die urweltlichen Bärenhunde ein sanfteres, minder raubgieriges Naturell hatten als unsere wilden Hunde (Wolf, Schakal, Fuchs). Deutschland nährte indeß nicht viele Bärenhunde, ihr eigentliches Vaterland war Frankreich, von wo aus sie vielleicht nur Streifzüge in das mittlere und südliche Deutschland unternahmen. Ihre Ueberreste wurden bei Mainz und Ulm entdeckt.

Aus der Marderfamilie haben wir jetzt Marder, Wiesel, Fischotter und Dachs, alle lebten in Deutschland schon zur Diluvialzeit, in Gestalt und Bildungsverhältnissen, wie es scheint, gar nicht von den heutigen unterschieden. Zu ihnen gesellte sich aber damals noch ein Bewohner des europäischen Nordens, nämlich der Vielfraß. In verschiedenen Höhlen Deutschlands sind die Schädel und Gebeine dieses Höhlenvielfraßes gefunden worden und ihre Vergleichung mit der lebenden Art weist nur sehr geringfügige osteologische Differenzen nach, so daß wir der vorweltlichen ganz dieselbe Lebensweise, Naturell und äußere Erscheinung zuschreiben müssen. In ihm und dem Höhlenbären haben wir also im diluvialen Deutschland just dieselbe Vertretung der heutigen nordischen Raubthierfauna, wie wir sie bei den Pflanzenfressern beobachteten. Die Erscheinung ist keine isolirte, und berechtigt natürlich zu ganz demselben Schluß auf das vormalige Klima als die damaligen Repräsentanten der heutigen Tropen. Alle Welt meint, weil einst Mammute, Nashörner und Hyänen in Deutschland lebten, müsse zu selbiger Zeit auch ein mildes, tropisches Klima in unserem Vaterlande geherrscht haben. Aber die gleichzeitigen Bisamstiere, Rennthiere, Eisbären und Vielfraße verlangten ja zu ihrer Existenz ein kaltes eisiges Klima. Wie hoch wird nun das Quecksilber an der Reaumur’schen Skala gestanden haben können, auf + 20° oder – 10°? Wir meinen dagegen, daß uns die diluvialen Säugethiere Europa’s gar keinen sicheren Schluß auf das damalige Klima gestatten, sie waren specifisch andere Säugethiere als die heutigen Tropen- und Polarbewohner, können also auch sehr wohl unter andern Klimaten gelebt haben wie noch heute z. B. der hohe Norden und der warme Süden seine ganz eigenthümlichen Hirscharten hat. Und sollen wir dieser gemeinschaftlichen Heimath des Polar- und Tropenbewohners ein beiden gleich erträgliches Klima bereiten, so könnte das füglich doch kein anderes als das gemäßigte sein, und dieses herrschte, unsern tiefer eingehenden Untersuchungen zufolge, wirklich bereits während der Diluvialepoche in Deutschland.

Aus dem Hundegeschlechte treffen wir bei uns neben Mammut und Höhlenbär schon den Wolf, Fuchs und Haushund, letzteren freilich nicht als Wächter des Hauses, als treuen, ergebenen Diener und aufrichtigen Freund des Menschen, denn weder Häuser noch Menschen existirten in jener Zeit; wahrscheinlich lebte er nach Art des schlauen, verschmitzten Reinecke, doch nicht in Erdlöchern, sondern auf freiem Felde; an Hasen und Hühnern zum Jagen, an Ratten und Mäusen war ja kein Mangel. Reinecke’s schlaues Wesen datirt schon aus einer frühern Epoche, der tertiären, wo er mit stärkeren Pfoten und dickeren Zähnen begabt war und wohl kaum nöthig hatte, die Ränke, die ihn heute beschäftigen, auszusinnen. Der diluviale Isegrimm besaß – sein Zahn- und Skeletbau spricht dafür – jedenfalls größern Muth und Kraft als sein lungernder Nachkömmling, den nur die Noth zum Angriff des überlegenen Feindes treibt.

Die größten und gefährlichsten Raubthiere, Löwe, Tiger, Panther, Hyänen sind aus Deutschland und aus Europa verbannt. Bevor aber der Mensch den Erdboden beherrschte, bewegten auch sie sich freier, übten ihre Mordlust und sättigten ihre Gier an den zahlreichen und großen Pflanzenfressern selbst in dem friedlichen Deutschland. Die Hyänen bewohnen gegenwärtig Afrika und zwar die größere gefleckte das Kap, die kleinere gestreifte die nordöstlichen Länder. Sie sind weder Hunde, noch Katzen, sondern in Naturell und Gestalt wahre Zerrbilder derselben, die Katzen imponiren durch ihre schöne Gestalt und ihren entschiedenen Charakter, die Hunde durch ihr sanfteres Wesen, ihre großen geistigen Anlagen, ihre Treue, die Hyänen sind widerwärtig und häßlich, weil sie neben ihrer Gefräßigkeit und Feigheit keinen edlen Charakterzug aufzuweisen haben, und ihrer Gestalt das harmonische Ebenmaß der Hunde und Katzen fehlt. Diese Bestien waren einst in Deutschland gemein, gemeiner als alle andern Raubthiere. Die Höhlenhyäne der Diluvialzeit ist zwar etwas robuster gebaut, als die am Kap lebende, aber ihr Naturell war gewiß dasselbe. Es gab kleine Pflanzenfresser in genügender Menge, die sie ohne Gefahr für ihre eigene Existenz angreifen konnte, vielleicht überließen ihr auch Meister Petz und der bluldürstige Tiger den Abfall ihrer Beute. Den bengalischen Tiger übertrifft an Größe, Kraft, Blutgier und Mordlust kein Raubthier der heutigen Schöpfung, und mit eben diesen Auszeichnungen beherrschte er einst Deutschland. Man pflegt den diluvialen Tiger gewöhnlich Höhlenlöwe (Felis spelaea) zu nennen, aber sein Knochenbau, und weiter kennen wir ja von ihm nichts, gleicht in allen Einzelnheiten dem lebenden Tiger und nicht dem Löwen. Wäre auch er so häufig gewesen, wie die gefräßige Hyäne, der Wolf und Höhlenbär, so hätten sie den Pflanzenfressern gewiß das Garaus gemacht. Aber der Natur liegt die Existenz eines jeden ihrer Geschöpfe in gleichem Grade am Herzen, darum setzte sie der Vermehrung des Tigers in der Diluvialzeit ziemlich enge Grenzen. Wir finden dessen Gebeine nur sehr vereinzelt neben denen der eben genannten Raubthiere. Ebenso spärlich kommen die Ueberreste seiner Zeitgenossen von Luchs- und Leopardengröße vor, von denen noch nicht einmal ermittelt werden konnte, ob sie von einem ächten Luchs und Leoparden oder von andern gleich großen Katzenarten abstammen. Voraus ging diesen Arten eine tigergroße Katze in der mitteltertiären Epoche, die sich durch viel dickere, stärkere Zähne von dem heutigen Tiger unterschied, wahrscheinlich also weniger blutgierig und mordlustig und jedenfalls gefräßiger war. Sie lebte gemeinschaftlich mit Arten von der Größe des Jaguars und Panthers. Die Ueberreste, welche das mainzer Becken lieferte, sind leider so sehr fragmentarisch, daß die nähere Verwandtschaft[WS 1] dieser Arten darnach nicht festgestellt werden kann. Eine vierte Art der Tertiärepoche endlich steht ganz isolirt da. Sie hatte Panthergröße und ganz ungeheuer große, scharf messerförmige Eckzähne, eine fürchterliche Waffe, wie solche kein anderes vorweltliches und lebendes Raubthier aufzuweisen hat.

Unter den übrigen Säugethieren des vorweltlichen Deutschland treffen wir minder auffallende Gestalten als die erwähnten. Den vierzehn lebenden Fledermausarten haben wir nur sehr spärliche Ueberreste aus tertiären und diluvialen Gebilden entgegenzustellen, die eben nur die Existenz dieser Familie bei uns darthun, über die Organisation selbst aber noch keinen befriedigenden Aufschluß gaben. Ganz dasselbe gilt von dem Maulwurf, der Spitzmaus und dem Igel, welche früher, wie noch gegenwärtig die Familie der insektenfressenden Raubthiere repräsentiren. Von der jetzt in Deutschland überreich vertretenen Gruppe der Nagethiere lebten während der Diluvialepoche schon Eichhörnchen, Murmelthiere (nunmehr

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Verwandschaft
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_665.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2023)