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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

schon Englands Flotte in Bewegung setzte; weniger stürmisch, aber doch nachdrücklicher verfuhr damals die Wissenschaft: sie suchte sich andere Quellen des Schwefels zu eröffnen, und sie fand sie bald in den reichen Schwefelkieslagern Irlands, Englands und des Continentes. Die Folge war eine Concurrenz, die auch nach Ausgleichung jener Zwistigkeiten dauernd den Preis des sicilianischen Schwefels erniedrigte.

Weiter finden wir Tonnen mit Chilisalpeter, jenes schon so geschätzten Düngemittels, dessen Einfuhr von Jahr zu Jahr in größerem Maßstabe stattfindet. Dieser Chilisalpeter ist ein unreines salpetersaures Natron, welches sich in dem peruanischen Distrikte Atacama ausgewittert an der Bodenoberfläche findet und dort weite Landstriche überdeckt. Endlich sehen wir noch einen Haufen Kalksteine, Brennmaterial verschiedener Art, und erwähnen schließlich noch des fließenden Wassers, dessen Vertheilung durch Röhrenleitung nach allen Räumen der Fabrik geschieht, und der atmosphärischen Luft, die bekanntlich überall gratis zu haben ist, als Rohstoffe, denn beide sind nothwendige Dinge als Vermittler, wie als wirkliche Theilnehmer chemischer Verbindungen. Fragen wir nun nach den Fabrikaten des Etablissements, so nennt man uns als hauptsächlichstes die Schwefelsäure, die Salzsäure, die Salpetersäure oder das Scheidewasser, die Soda, das Glaubersalz und den Chlorkalk. Wie mannigfaltig müssen die Processe sein, welche aus so einfachen Dingen so Verschiedenartiges erzeugen, und wie glänzend hat des Menschen Geist durch genaue Beobachtung der Naturgesetze hier seine Aufgabe gelöst!

Wir wenden nun unsere Schritte zu den der Schwefelsäurefabrikation gewidmeten Räumlichkeiten, und finden hier zunächst einen zur Verbrennung des Schwefels dienenden Ofen, dessen Doppelgehäuse nicht allein zur Regulirung der Hitze, sondern auch zur Speisung der in der Nähe befindlichen Bleikammern mit atmosphärischer Luft dient. Der Schwefel nimmt beim Verbrennen zwei Atome Sauerstoff auf und bildet damit schwefelige Säure, jene bekannten weißen Dämpfe, die wir beim Abbrennen eines Schwefelhölzchens beobachten, und deren stechender Geruch eben so bekannt als den Athmungswerkzeugen lästig ist. Diese Dämpfe der schwefeligen Säure treten nun durch ein Rohr in die Bleikammern, große Gefäße aus Walzblei, oft geräumig genug, um ein mäßiges zweistöckiges Haus in eins derselben setzen zu können, von denen gewöhnlich vier bis fünf hinter- oder nebeneinander angebracht sind; hier begegnen dieselben Salpetersäuredämpfen, die durch die Hitze der Schwefelverbrennungsofens aus salpetersaurem Natron mittelst Zerlegung durch Schwefelsäure ausgeschieden werden; sie begegnen Wasserdampf, welcher aus einem Dampfkessel hierher geleitet wird, und endlich der durch den Mantel des Schwefelofens eingetretenen atmosphärischen Luft. Auf dem Wege nun, den die Dämpfe gemeinschaftlich zu machen haben, und der durch gezwungenes Auf- und Absteigen möglichst verlängert wird, mischen sich dieselben, und die schwefelige Säure wird zu Schwefelsäure (auf einen Centner Schwefel drei Centner Sauerstoff), indem sie den Dämpfen der Salpetersäure (aus zwei Atomen Stickstoff und fünf Atomen Sauerstoff bestehend) den ihr noch fehlenden Sauerstoff entzieht und dieselbe zu Stickoxydgas reducirt; das Letztere hingegen sucht diesen Verlust wenigstens theilweise wieder zu ersetzen durch Aufnahme von Sauerstoff aus der vorhandenen atmosphärischen Luft, aber nur um denselben sofort an neue Portionen schwefeliger Säure abzugeben und diese wiederum in Schwefelsäure zu verwandeln; und so wiederholt sich dieses Spiel, bis die letzten Antheile schwefeliger Säurezu Schwefelsäure geworden sind.

Der Wasserdampf spielt nun hierbei eine doppelte Rolle: einerseits ist seine bloße Gegenwart zur Vermittelung der Aufnahme des Sauerstoffs durch das Stickoxydgas nothwendig, andererseits verdichtet er sich mit den fertigen Schwefelsäuredämpfen zu wässeriger Schwefelsäure, die nun an dem Boden der Bleikammern zusammenfließt und von dort abgelassen werden kann. Diese wässerige Schwefelsäure ist aber weit entfernt die für technische Zwecke erforderliche Stärke zu besitzen, sie ist im Gegentheil mit einer großen Menge überflüssigen Wassers verdünnt, und muß von demselben noch befreit werden. Zu diesem Zwecke kommt die Säure nun zunächst in die Bleipfannen. Wir sehen in unserer Fabrik deren drei, und zwar etagenförmig auf eisernen Platten ruhend, unter denen die Feuerluft hinstreicht. Während der Siedepunkt des Wassers bekanntlich bei 100° C. liegt, wo nun auch die Verdampfung desselben beginnt, ist der Siedepunkt der Verdampfungspunkt der Schwefelsäure erst bei 326° C. erreicht. Man treibt daher die Verdampfung des Wassers in den Bleipfannen bis zu dem Punkte, wo die mit der fortschreitenden Concentration der Flüssigkeit sich steigernde Hitze einen Grad erreicht, bei welchem neben dem Wasser sich auch Schwefelsäure verflüchtigen würde, und wo außerdem die Bleipfannen durch die stärkere Säure angefressen werden würden. Durch eine sinnreiche Hebervorrichtung gelangt nun die Flüssigkeit in eine Destillirblase von Platin, wo sie sich durch ferneres Erhitzen bis aus 326° C. in saures Wasser, welches durch das Helmrohr abdestillirt und wieder in die Bleipfannen zurückgebracht wird, und in Schwefelsäurehydrat oder englische Schwefelsäure scheidet, welche Letztere in der Blase verbleibt und von dort durch abermalige Hebervorrichtung, die zugleich durch Abkühlung der heißen Säure dient, in große Glasballons gebracht wird und nun als fertiges Produkt in den Handel kommt.

Wie schon erwähnt, sind diese Destillirblasen von Platin, da Glas ein zu zerbrechliches Material ist, und kein anderes Metall, das noch teurere Gold ausgenommen, der starken Säure widerstehen würde. Man fertigt dieselben fast ausschließlich in Paris von 5 bis 20 Centner Inhalt; die Fugen werden mit Gold gelötet und der Preis eines solchen Apparates beträgt allein schon 10–15,000 Thaler!

Diese Schwefelsäure, nunmehr auf ein Atom reiner Säure genau ein Atom Wasser enthaltend, ohne welches die Säure gasförmig und daher nicht zu handhaben sein würde, ist eins der wichtigsten chemischen Produkte, ohne dessen Vorhandensein der ganze heutige Stand unserer Industrie unmöglich wäre. Sie ist das Mittel zur billigen Darstellung der Soda geworden, ohne welche wir wiederum weder so billige Seife, noch so schönes und billiges Glas haben würden; die Färberei und Kattundruckerei wären ohne Schwefelsäure um die Hälfte ihrer Farben ärmer; die Darstellung des Scheidewassers, der Salzsäure und des Bleichkalkes wäre wesentlich erschwert, und statt Stearinkerzen brennten wir nach wie vor rußende Talglichter. Darum ist aber auch der Verbrauch an Schwefelsäure ein ungeheurer, und eine einzige Fabrik zu St. Rollox bei Glasgow erzeugt allein jährlich 160,000 Centner Säure in 20 Bleikammern, von dessen jede, bei 70 Fuß Länge, 38,000 Kubikfuß hält!

Wir setzen nun unsere Wanderung fort und finden in einem benachbarten Gebäude verschiedene Flammenöfen, welche zur Darstellung des Glaubersalzes aus dem Kochsalze dienen.

Ein solcher Ofen theilt sich hinter der Feuerbrücke in zwei getrennte, mit Bleiplatten ausgefütterte Räume; in dem hinteren weniger heißen Theile geschieht die Zersetzung, welche aber erst in dem vorderen, dem Feuer mehr ausgesetzten Raume durch völliges Schmelzen der Salzmasse beendigt wird. Die Beschickung besteht in vier bis acht Centnern Kochsalz oder zerstoßenes Steinsalz, auf welche vermittelst eines besonders construirten Trichters die zur Zersetzung nöthige Quantität Schwefelsäure aufgegossen wird, wozu man der Ersparniß halber Schwefelsäure, wie sie aus den Bleikammern kommt, verwendet, da eine größere Concentration

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_679.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)