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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Wo ist Netti,“ fragte er leise.

„Fräulein Netti ist zu Bett gegangen, weil Sie gesagt haben, daß Sie um Mitternacht erst zurückkehren würden.“

„So dachte ich; unsere Berathung ist früher beendet.“

Herr Czabo trat in das Schreibstübchen neben der Apotheke, und erkundigte sich, wie er stets pflegte, nach dem, was in seiner Abwesenheit an Medicamenten geholt war.

„Ist sonst Nichts vorgefallen?“

„Was meinen Sie, Herr Czabo?“ fragte Niklas.

„Nun, wir haben Einquartierung – es wäre doch möglich, daß – –“

„Daß der Korporal, der mir ein flotter Bursche zu sein scheint, sein Gartenhaus verlassen hätte?“ fuhr Niklas fort, um das Gespräch auf den Punkt zu bringen, wohin er es haben wollte.

Der Commandant sah seinen langen Gehülfen mit großen Augen an.

„Der Soldat kann die Gartenthür nicht erbrechen – ich trage den Schlüssel bei mir. Hat er an die Thür geklopft?“

Niklas grinste, als ob er nicht mit der Sprache heraus wollte.

„Nun?“ fragte ungeduldig der Apotheker. „Hat er an die Thür geklopft?“

„Nein, an die Thür nicht, aber an das Fenster, das sich nicht weit von dieser Thür befindet.“

„An das Küchenfenster?“

Der lange Mensch nickte mit dem Kopfe.

Herr Czabo griff wie krampfhaft nach dem Degen an seiner Seite.

„Niklas,“ sagte er leise, „ich muß wissen, was in meinem Hause vorgeht, zumal jetzt, wo die ganze Stadt ihr Augenmerk auf mich gerichtet hat. Du begreifst, daß meine Ehre – –“

„So dachte auch ich, Herr Czabo, und deshalb legte ich mich auf die Lauer, als ich das Klopfen erst an der Thür und dann am Fenster hörte. Ich schwieg, weil ich in der Nacht keine Aufsehen erregen wollte.“

Herr Czabo schloß leise die Glasthür der Schreibstube, dann fragte er leise:

„Was hast Du gehört und gesehen?“

„Gesehen habe ich Nichts, aber gehört desto mehr.“

„Erzähle, meine Ehre erfordert, daß ich Alles weiß.“

„Ja, Ihre Ehre erfordert es, und darum will ich sprechen!“ sagte Niklas, der sich entrüstet stellte. „Einige Minuten nach dem Klopfen schlich ich also an die Küche. Es war dunkel, und die Kathi, die sich wahrscheinlich sicher vor mir glaubte, hatte die Thür ihrer Kammer offen gelassen. Sie lag im Fenster, der Korporal stand draußen. Der Kerl muß eine gute Nase haben, denn er hatte richtig das Kammerfenster ausgewittert.“

„Aber Kathi, Kathi?“

„Nun, Kathi hatte das Fenster geöffnet, und unterhielt sich sehr vertraulich mit dem hübschen Korporal.“

„Der Mensch muß morgen früh aus dem Hause!“ murmelte der Commandant. „Ich bringe ihn in das goldne Roß, das im entgegengesetzten Stadtviertel liegt, und wenn ich täglich einen Gulden bezahlen soll. So etwas darf ich in meinem Hause nicht dulden. Was hörtest Du?“

„Der Korporal klagte über Hunger.“

„Element!“

„Kathi bedauerte ihn, und sprach von Ihrem Geize.“

„Niklas, das ist nicht möglich! Entweder hast Du falsch gehört oder – –“

„Nein, Herr Czabo, ich habe ganz recht gehört!“ versicherte der Gehülfe, als er sah, daß das Gesicht seines Herrn bald bleich, bald roth ward. „Und ich habe mich, wie Sie, über diese Niederträchtigkeit geärgert. O, Sie kennen die Soldaten nicht – mit den Köchinnen sind sie geschwind auf vertrautem Fuße. Unser Korporal mochte wohl merken, daß die Köchin ihm nichts abschlagen konnte, er sprach von Durst, und daß seine Kameraden in dem Wirthshause säßen. – Werden Sie nicht gehen? fragte Kathi. Ich habe kein Geld! – Das ist ja eine ganze Börse! rief der Korporal. – Gehen Sie in das Wirthshaus, und trinken sie auf meine Gesundheit. – Das soll geschehen! – Nun hörte ich etwas, wie einen Kuß – dann ward das Fenster geschlossen. Ich schlich in meine Apotheke zurück. Die Geschichte ist vor kaum einer Viertelstunde passirt.“

Herr Czabo hatte die Arme verschränkt, und starrte einige Augenblicke düster vor sich hin. Dann sah er Niklas an, der einige Recepte bei Seite legte.

„Mensch, ich glaube, Du belügst mich! Du willst Kathi bei mir verleumden!“

„Ich schwöre Ihnen zu, Herr Czabo, daß der Korporal an dem Küchenfenster gewesen ist.“

„Gehe zu Bett!“

„Ja, Herr Czabo.“

„Und sagst keiner Seele, was Du gehört hast.“

„Nein, Herr Czabo!“

Der Apotheker verließ die Schreibstube. Niklas rieb sich vergnügt die Hände, löschte die Lichter aus, und ging in seine Kammer, die sich neben der Schreibstube befand.

Herr Czabo mußte an der Küchenthür vorüber, um in sein Zimmer zu gelangen. Eine wunderbare Gewalt hemmte seine Schritte, und zog seine Blicke nach dem Raume, den die schöne Kathi beherrschte. Er war nicht umsonst so früh nach Hause gekommen, die Kathi hatte ihn beim Weggehen nicht in der Uniform gesehen, sie sollte ihn jetzt in seiner Pracht und Herrlichkeit bewundern. Und während er es so gut mit der armen Magd meinte, verschenkte sie sein Geld heimlich an einen Korporal, den sie kaum kannte.

„Schade, daß sie ein so hübsches Mädchen ist!“ dachte Herr Czabo mit einer schmerzlichen Herzensbeklemmung, und dabei sah er im Geiste ihr reizendes Gesicht, ihre großen, treuherzigen Augen, ihren blühenden Mund, ihren schlanken hals, ihre schneeweiße Schulter, ihre runden Arme und ihre kleinen Füße. „Das wird eine schöne Nacht werden,“ fuhr er in seiner Meditation fort – „ich sehe voraus, daß ich kein Auge schließe! Und diese schlaflose Nacht habe ich am Ende dem elenden Niklas zu danken, der entweder aus Eifersucht gelogen, oder in der Verblendung falsch gehört oder gesehen hat. Ein Mensch, der acht Gran Brechpulver auf eine Dosis giebt, kann auch in seiner Phantasie einen Korporal an dem Küchenfenster sehen. Nein, für so schlecht halte ich die hübsche Kathi nicht. Der wackere Lajos hat mich versichert – –“

Ein Geräusch erschreckte den sinnenden Apotheker, daß er heftig zusammenfuhr. Herr Czabo zitterte, als ob er auf einer schlechten That ertappt würde.

Gleich darauf schimmerte Licht durch die angelegte Küchenthür, und man hörte, wie Kathi den großen Küchenschrank verschloß.

„Sie ist noch wach,“ dachte Herr Czabo. „Alles schläft, ich kann ungestört mit ihr sprechen, und der Sache auf den Grund kommen. Seltsam, ich zittere in meinem eigenen Hause, vor meiner eigenen Köchin!“

Der Commandant setzte seinen Federhut gerade, der ihm eine wenig in den Nacken gesunken war, zog die Schärpe zurecht und räusperte sich.

„Kathi, bist Du noch in der Küche?“ rief er, und gab seiner Stimme so viel Festigkeit, als ihm möglich war.

„Ja, Herr Czabo!“ antwortete die helle, wohlklingende Stimme der Köchin.

Der Commandant öffnete die Thür und trat auf die Schwelle.

Kathi stand in der Mitte der Küche; sie war noch völlig angekleidet und hielt in der rechten Hand die Küchenlampe. Der Schein derselben erhellte ihr reizendes Gesicht, so daß der Commandant die Thränen sehen konnte, die in ihren langen, schwarzen Wimpern perlten. Kathi sah den stattlichen Commandanten der Schutzwehr verwundert an. Bei dem Anblicke der Thränen vergaß der alte Herr die Absicht, die ihn eigentlich zu der Küche geführt.

„Du hast geweint, Mädchen,“ sagte er theilnehmend – „was ist geschehen?“

Die Köchin erschrak, und fuhr mit der kleinen Hand über die Augen.

„Es ist wohl möglich!“ antwortete sie mit einem schmerzlichen Lächeln, wobei sich die Grübchen in ihren Wangen und die Perlenzähne zwischen den Purpurlippen zeigten. „Als ich vorhin so allein in der Kammer saß, dachte ich an meinen verstorbenen Vater.“

„Allein in der Kammer?“ fragte Herr Czabo betonend. Und zu gleicher Zeit zog er leise die Thür hinter sich an.

„Ja, Herr Czabo,“ antwortete sie unbefangen, „wer sollte wohl bei mir gewesen sein?“

„Kathi, sieh mir in das Auge – bist Du wirklich allein gewesen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_688.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)