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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Das Haar
im gesunden und kranken Zustande.

Warum ist wohl an so vielen Menschen kein gutes Haar? und warum stolziren trotz Eau de Lob und Klettenwurzelöl doch noch so viele junge Platto’s und Perrücklese in der Welt umher? und gleicht, der vielen Grau- und Kahlköpfe wegen, das gefüllte Parterre eines Theaters aus der Vogelschau nicht einer Schneelandschaft im Mondenscheine? Nur deshalb, weil die Haut- und Haarpflege noch sehr in Argen liegt und die Haare bei Vielen vorzeitig altern und absterben, grauwerden und ausfallen. Darum und weil man sich um die Haarverhältnisse gar nicht kümmert, können auch die vielen Beutelschneider mit angeblich haarwuchsfördernden Mitteln und Kuren so leicht ihr Pfeifchen schneiden. Zu spät, wie bei vielen andern Leiden fühlen die Meisten gewöhnlich erst beim Dünnwerden ihrer Haare die Verpflichtung, für diesen Schmuck Sorge zu tragen. Ich sage „Schmuck,“ trotzdem daß es heutzutage beim männlichen Geschlechte bald dahin gekommen sein wird, für altmodisch zu gelten, einen Kopf voll nichtergrauter Haare zu besitzen. Wer diese Ansicht theilt, braucht vorliegenden Aufsatz nicht zu lesen, wer aber sein Haar lieb hat, der lese und folge.

Ein Haar mit seinem Säckchen,
gegen 150mal vergrößert. a) Haarschaft. b) Haarwurzel. c) Haarknopf. d) Haarbalg. e) Haarkeim. f) Hornschicht und g) Schleimschicht der Oberhaut. h) Lederhaut. i) Einmündungen von Talgdrüsen. k) Zelliger Keimstoff des Haares. l) Marksubstanz, umgeben von der Rindensubstanz, welche außen mit Oberhäutchen überkleidet ist.

Am ganzen Körper, mit Ausnahme weniger Stellen (wie der Lippen, Hohlhand, Fußsohle, der beiden vorderen Finger- und Zehenglieder) wachsen Haare aus der Haut, meistens schief hervor, nur an verschiedenen Stellen und bei verschiedenen Personen, Altern, Geschlechtern und Raçen in verschiedener Menge, Farbe, Länge und Stärke. Man findet sie entweder lang und weich wie das Kopfhaar; oder kurz, dick und starr wie die Augenwimpern, Lider-, Nasen- und Ohrenhaare; oder kurz und äußerst fein wie die fast farblosen Wollhaare an den übrigen, scheinbar unbehaarten Körperstellen. Merkwürdig ist die Bartlosigkeit oder Bartarmuth der meisten mongolischen und amerikanischen Völker; der über den ganzen Körper stark verbreitete Haarwuchs bei den maldivischen Stämmen (unter denen die Ainos, die Bewohner der Kurilen, das haarigste Volk der Erde sind); die ungemeine Krausheit der Kopfhaare bei den Negern und die ungemeine Länge dieser Haare bei den Cafusos und Papuas. Unter den kaukasischen Völkern kommt ein starker Haarwuchs besonders den Juden und Südeuropäern, ein spärlicher den Nordländern zu. Bisweilen findet eine übermäßige Haarbildung, ebenso wie Kahlheit auch als angeborner Fehler statt, der sich entweder am ganzen Körper oder nur an einzelnen Stellen zeigt. – Was die Anzahl der Haare auf einer bestimmten Fläche betrifft, so findet sich nach der Farbe derselben keine unbedeutende Verschiedenheit, denn man fand auf einer Stelle von 1/4☐″ 147 schwarze, 162 braune und 182 blonde Haare. Bei einem mittelmäßig behaarten Manne standen auf 1/4☐″ am Scheitel 293, am Kinn 39, am Vorderarme 23, am Schenkel 13 Haare. v Interessant ist die Anordnung der Haare in gebogenen Linien, welche an verschiedenen Stellen verschieden entweder nach bestimmten Punkten oder Linien zu convergiren, oder von solchen nach zwei oder mehreren Richtungen divergiren, wodurch eine Menge Figuren (Ströme, Wirbel, Kreuze) gebildet werden.

Die Haare sind solide, runde oder etwas abgeplattete, gefäß- und nervenlose, ziemlich feste Fäden aus Hornstoff (von eiweißähnlichem Stoffe gebildet) und Fett mit etwas Eisen- und Manganoxyd, welche der Fäulniß Jahrtausende widerstehen (denn die Mumienhaare sind ganz unverändert) und eine sehr große Elasticität besitzen. Wenn sie trocken und warm sind, werden sie (im todten wie im lebenden Zustande) durch Reibung elektrisch, breiten sich aus und sprühen selbst beim Menschen unter Knistern Funken. Sie sind ferner sehr hygroscopisch (wasseranziehend), bald trocken und spröde, bald feucht und weich, je nachdem sie viel oder wenig Flüssigkeit aus der Haut und der Atmosphäre aufgenommen haben. Nach der verschiedenen Menge von Feuchtigkeit, welche sie enthalten, werden sie mehr oder weniger lang, worauf sich ihre Anwendung zu Hygrometern (Feuchtigkeitsmessern) gründet. Ihre Farbe, welche vorzugsweise an das Fett des Haares gebunden zu sein scheint, geht vom Weißen durch alle Nüançen des Weißgelben, Röthlichgelben, Braungelben bis in's Rothe, Tiefbraune und Schwarze. In der Regel zeigt sich eine Uebereinstimmung zwischen der Farbe der Haare und der der Augen und dem Teint der Haut. Im höheren Alter, doch auch schon in den mittlern Lebensjahren, werden die Haare weiß und zwar in der Regel die dunklen früher als die blonden. Bei Negern sind weiße Haare viel seltener als bei Europäern, während bei den Mandanan, einem nordamerikanischen Stamme, eine große Menge Individuen von Jugend an ein silbergraues oder ganz weißes Haar besitzen. Bei den weißhaarigen, unter allen Menschenraçen vorkommenden Kakerlaken (Albinos, Dondos, Blafards, weißen Negern), welche man früher für eine besondere Menschenraçe hielt, obschon sie nur von Geburt an Kranke (an Weißsucht, Leucopathie, Albinoismus Leidende) sind, fehlt der Farbstoff nicht nur im Haar, sondern auch in der Haut und im Auge. Der letztere Umstand bewirkt, daß die Kakerlaken gewöhnlich das Tageslicht nicht ertragen und nur im Dunkeln gut sehen können.

An jedem Haare unterscheidet man zwei Theile; einen aus der Haut hervorragenden Theil, den Haarschaft, welcher allmälig in ein immer dünner werdendes Ende (die Spitze) ausläuft, bei schlichten Haaren gerade und rundlich, bei gelockten wellenförmig gebogen und etwas abgeplattet, bei krausen und wolligen Haaren spiralig gedreht und ganz platt oder leicht gerinnt ist; und einen in der Haut steckenden, runden und geraden Theil, die Haarwurzel, welche nach unten zu immer weicher wird und in eine knopfförmige ausgehöhlte Anschwellung, die Haarzwiebel, den Haarknopf, endigt. Die ganze Haarwurzel wird von einem eignen 1–3‴ langen Sacke eng umschlossen, welcher aus einer flaschenförmigen Einstülpung der Leder- und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_008.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2022)