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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Gegner, denn er besitzt die mächtige Waffe des Reichthums. Soll ich mich für überwunden erklären, indem ich ihm einfach, die Papiere übersende? Dagegen sträubt sich mein Stolz! Das Geschick des Obersten lag völlig in meiner Hand, es hing von der letzten Bewegung derselben ab, und er wäre ein Bettler gewesen. Bleibt mir denn Nichts, Nichts, um einen letzten Streich zu führen? O, daß dieser Ehrenschein verschwunden ist, er würde jetzt zu einer furchtbaren Waffe in meiner Hand werden.“

Zitternd vor Aufregung sank die bleiche Frau in den Sopha; sie zog ein kleines Medaillon aus dem Busen hervor, in dessen Goldrahmen sich das Portrait eines jungen Mannes zeigte. Mit leuchtenden Blicken betrachtete sie die Züge, als ob sie neue Nahrung für ihren Haß daraus schöpfen, als ob sie ihre Erfindungsgabe dadurch schärfen wollte. Da ließen sich Schritte in dem Vorzimmer vernehmen. Die Freifrau verbarg rasch und zitternd das Medaillon. Ignaz trat ein; er trug ein zusammengelegtes vergilbtes Papier in der Hand.

„Was bringst Du, mein Sohn?“ fragte sie in scheinbarer Ruhe.

„Dieses Papier fand ich in dem Vorzimmer, Mutter. Haben Sie es verloren?“

„Gieb!“ sagte hastig die Mutter.

Ignaz überreichte ihr das Papier, das in den Brüchen bereits durchlöchert war; sie entfaltete es und las.

„Was ist das?“ rief sie in höchster Ueberraschung, nachdem sie die ersten Zeilen gelesen hatte.

Der junge Mann sah seine Mutter an; ihre Züge veränderten sich sichtlich. Die Augen der bleichen Frau vergrößerten sich und die feinen schmalen Lippen zuckten wie im Krampfe, während die magern, mit Ringen geschmückten Finger heftig zitierten. Sie hatte geendet.

„Wo fandest Du das Papier?“ fragte sie.

„In Ihrem Vorzimmerr, Mutter.“

„Wann?“

„Jetzt, Ich habe mir nicht so viel Zeit genommen, es anzusehen.“

„Dann hat er es verloren, und kein Anderer!“ rief die Freifrau, die noch einmal zu lesen begann. „O, das ist ein unschätzbarer Fund,“ fügte sie hinzu, indem sie das Papier mit leuchtenden Augen betrachtete; „er kann zu Entdeckungen führen, die für mich unbezahlbar sind. Aber wir müssen Vorsicht anwenden, denn wir haben es mit einem schlauen Gegner zu thun. Wohlan, mein Herr, jetzt gebe ich die Hoffnung nicht auf, der Kampf mag von Neuem, aber heftiger als zuvor beginnen.“

„Mutter,“ fragte verwundert der junge Mann, „von wem sprechen Sie?“

„Von wem ich spreche, mein Sohn? Von meinem, von Deinem Feinde, von dem Baron von Nienstedt.“

„Ich werde ihn heute noch zum Duelle fordern, er soll seine Insolenz büßen.“

Die Freifrau blieb stehen und sah ihren Sohn an; sie schien zu überlegen.

„Nein,“ sagte sie nach einer kurzen Pause, „das Duell wird nicht stattfinden. Ignaz, ich verbiete Dir, Dich mit dem Baron zu schlagen. Ich weiß, Du bist ein geschickter Fechter und ein geübter Schütze, Du wirst als Sieger aus dem Kampfe zurückkehren; aber was haben wir damit gewonnen? Der Baron allein hat eine Strafe erhalten, und der Oberst, dessen Schwachheit uns die größte Beleidigung zufügt, geht frei aus. Dieses Papier setzt mich in den Stand, eine empfindlichere Rache zu üben, eine Rache, die alle unsere Feinde zugleich trifft, selbst die kokette Henriette nicht ausgenommen. Vertraue mir, mein Sohn, Deine Angelegenheit ist ja auch die meinige. Du hast dem Baron eine nähere Erklärung zugesagt?“

„Zu heute.“

„Gut; setze Dich und schreibe, was ich Dir diktiren werde.“

Zitternd vor Aufregung drängte sie den jungen Mann zu dem Schreibtische. Mit einem krampfhaften Beben legte sie ihren Arm um seinen Nacken, sah ihn mit einem unbeschreiblichen Blicke voll Schmerz und Bitterkeit an, und flüsterte:

„Auch Du mußt darunter leiden, mein Sohn; aber fasse Dich, unsere Rache wird eine vollständige sein. Frage mich nicht, ich kann Dir jetzt keine Aufklärung geben, ich muß den Schleier noch einige Zeit über der Vergangenheit ruhen lassen – die Zeit ist nicht fern, wo Du mich begreifen wirst. Folge mir blindlings und schreibe!“

Der Sohn ergriff die Feder, und die Mutter dictirte:

„Herr Baron! Ernste Rücksichten veranlassen mich, eine Sache zu ignoriren, die mir eigentlich stets hätte fremd bleiben sollen. Es ist mir lieb, daß der Plan meiner Mutter auf die bekannte Weise vereitelt wurde, denn wenn ich mich fügte, so geschah es aus kindlichem Gehorsam, mein Herz gab mir keine Veranlassung dazu. Da Sie ein Mann von Ehre sind, überlasse ich Ihrem eigenen Gefühle die Schritte, die zu unternehmen erforderlich, um die Kränkung einer Dame wieder gut zu machen. Dies ist der Wille meiner Mutter, und ich füge mich ihm als gehorsamer Sohn.“

Trotz aller Protestationen des jungen Mannes ward der Brief versiegelt und abgeschickt. Als Antwort darauf erhielt die Freifrau eine einfache Entschuldigung Ludwigs und die Anzeige des Obersten, daß seine Tochter Henriette mit dem Baron Ludwig von Nienstedt verlobt sei.

„Mutter, darin liegt eine neue Beleidigung!“ sagte Ignaz, nachdem er die Zeilen gelesen.

„Sie entgeht mir nicht,“ antwortete bitter lächelnd die Freifrau. „Mögen sie Beleidigung auf Beleidigung häufen – der Tag der Abrechnung bleibt nicht aus. So habe ich es gewollt; man soll an meine Niederlage glauben, damit ich einst desto furchtbarer mich erheben kann, Gieb Befehl, daß man packe, diese Nacht reisen wir ab.“

Um Mitternacht verließen die Erichsheim’s das Bad. Zwei Tage später reiste der Oberst mit seiner Tochter ab. Tags darauf folgten Ludwig und Heiligenstein, sie begaben sich nach dem kleinen Gute des Letztern, das eine Stunde von Nienstedt entfernt lag. Die Frau des Polizeicommissars hatte den Auftrag erhalten, ihr ganzes Haus zum Empfange der jungen Gatten für das nächste Jahr vorzubereiten.


VII.

Der Herbst und der Winter waren verflossen. Ludwig wohnte mit seiner jungen Gattin auf Nienstedt, und Alles schien sich zu vereinigen, um sein Glück zu einem vollständigen und dauernden zu machen. Henriette liebte ihn mit der innigsten Zärtlichkeit, und der greise Oberst, der frei aufathmete, nachdem er das lästige Joch der Erichsheim’s abgeschüttelt, lebte wieder auf bei dem Glücke seines Kindes, Aber die Erinnerung an seine älteste Tochter trübte den Sonnenschein, der den Winter seines Lebens mit einem milden Lichte übergoß, und sein Schmerz über das unglückliche Loos derselben war um so größer, da es nicht in seiner Macht stand, der armen Gattin eines leichtsinnigen und gemüthlosen Mannes hülfreich die Hand zu bieten. Durch den Bruch mit der Freifrau waren alle Beziehungen zu der Familie der Erichsheim’s aufgehoben, und die Nachrichten, die man zufällig erhielt, brachten wenig Beruhigung.

Heiligenstein war im vollen Sinne des Wortes ein Hausfreund auf Nienstedt, man zog den erfahrenen Mann bei jeder Gelegenheit zu Rathe und Nichts ward ohne seine Beistimmung unternommen. Ludwig verwandte einen Theil seines großen Vermögens dazu, seinem väterlichen Gute den alten Glanz wieder zu verleihen, und als der Frühling erschien, entfaltete sich in allen Theilen der weiten Besitzung ein reges Leben. Der benachbarte Adel näherte sich den jungen Leuten, und Ludwig ward nicht nur als der reiche Baron geachtet, man schätzte ihn auch seines vortrefflichen Charakters wegen, und wünschte dem alten Obersten Glück zu einem solchen Schwiegersohne.

Die Reise in das Bad ward durch einen neuen Glücksumstand verhindert. Henriette schenkte ihrem Gatten einen Sohn, Heiligenstein hob ihn aus der Taufe, und der Täufling empfing den Namen seines Pathen, Friedrich. Die zärtliche Liebe der beiden Gatten, die sich mit jedem Tage der Ehe zu vergrößern schien, erregte die allgemeine Bewunderung, und wenn auch einige eifersüchtige und neidische Frauen hier und da boshafte Bemerkungen darüber machten, so wagte es doch Niemand, dem jungen Baron die Vergangenheit zum Vorwurfe zu machen, Ludwig und Henriette hatten sich einer aufrichtigen Liebe und Achtung zu erfreuen, vielleicht deshalb, weil es keinen erhabenern Anblick giebt, als glückliche Menschen. Beide lebten sich selbst und ihrer Familie, ohne sich gerade von der Welt zurückzuziehen. Ludwig empfing von Zeit zu Zeit eine große Gesellschaft in seiner prachtvollen Wohnung, denn gab er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_046.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)