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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Der Gouverneur, Herzog von Leogane, hielt daselbst eine große Revüe. Marc, in seiner Livree an eine Thürpfoste des Hotels gelehnt, sah dem Defiliren zu. Als nun der Herzog von Leogane an der Spitze seines Regiments an dem Hause vorüber kam, glaubte er in der gestickten Livree eine ausländische Uniform zu sehen, und grüßte mit seinem Degen meinen Diener auf das Zuvorkommendste. Alle Offiziere ahmten ihm nach und salutirten, die Truppen schulterten, nach dem armen Marc Richtung nehmend, der die unverhofften, ungewohnten Ehrenbezeugungen mit dem Gesichte eines Erztölpels empfing. Dieses Ereigniß hatte nichts desto weniger seinen Nutzen. Man hält uns für wichtige Personen, Freunde des Herzogs, und flüstert sich zu, daß es nicht gerathen sei, uns in üble Laune zu versetzen.

Die Festlichkeiten werden sechs Tage dauern. Während dieser Zeit empfängt der Kaiser nicht, was mir leider das Vergnügen verzögert, demselben vorgestellt zu werden. Ein ander Mal werde ich Ihnen davon berichten, und wie ich mit dem Herzog von Leogane zusammentraf, sowie, in welchem Grade ich das Glück habe, mit dem Kommandanten des Platzes, Sr. Excellenz dem Baron von Michel, Großoffizier des St. Faustin-Ordens etc. etc. befreundet zu sein.




Blätter und Blüthen.

Der Amazonenstaat auf der Insel Java. Unter den holländischen Besitzungen jenseits Europa’s giebt es einen merkwürdigen kleinen Staat, der mit seiner Constitution und den originellen Gebräuchen seiner Bewohner an eine der ergötzlichsten Stellen in Ariosto’s „rasenden Roland“ erinnert, und die fünfhundert Träume amerikanischer Emancipations-Damen übertrifft. Auf der Insel Java, zwischen den Städten Batavia und Gamarang, versteckt sich ein ganzes Königreich, genannt Bantan. Obgleich unter der Oberherrlichkeit Hollands, bildet das Ländchen doch einen besondern Staat mit unabhängigem Staatsoberhaupte. Das Land, politisch ohne Bedeutung, ist doch glücklich und reich, und ward seit undenklichen Zeiten stets blos von Weibern regiert und vertheidigt. Der König ist zwar ein Mann, alle übrige Regierung aber schönes, schwaches Geschlecht. Der Fürst ist durchaus abhängig von seinem weiblichen Staatsrathe, gebildet von drei Frauen, der obersten Behörde des Landes. Alle Staatsstellen, alle Hofstellen, alle Militairstellen, alles Militair – ohne Ausnahme aus Eva’s Geschlecht. Die Mannsen treiben Ackerbau, Handel und Gewerbe. Die Leibgarde des Fürsten besteht aus der weiblichen Elite des Landes, den Schönsten der Schönsten. Diese Amazonen reiten nicht damenartig, sondern wie ächte Ritter, größtentheils wohl besser, da bei uns viele Ritter in sich selbst zwar oft Esel, sonst aber keine Pferde besitzen. An ihren kleinen Schuhhacken haben sie statt der Sporen kleine Stahlspitzen. Ihre Kleidung ist oft sehr spärlich, sehr malerisch und sehr antik: eine kurze rothe Tunica, welche oben Schulter, Busen und linken Arm, unten die Füße von den Knieen an unbedeckt läßt. Um den linken Arm sind die Zügel des Pferdes geschlungen. Das Haar wird an allen Seiten in die Höhe gebunden und von einer breiten Binde, mit einem goldenen Schmuck über der Stirn, umschlossen. Ihre Hauptwaffe, eine kurze, spitzige Lanze, schwingen sie sehr graziös und geschickt. Sonst früher mit Pfeil und Bogen bewaffnet, tragen sie jetzt eine kleine Muskete an der Stelle des ehemaligen Köchers. Mit den Musketen wissen sie auch sehr geschickt umzugehen: im vollen Galopp schießen und treffen sie blos mit einer Hand. Dieser seltsamen Soldateska entspricht die übrige Regierung von Bantan. Der Thron ist erblich für die männlichen Erstgebornen. Sobald so ein Erstgeborner den Thron besteigt wird er mit einer Reihe Mädchen unter sechzehn Jahren umgeben, damit er die ihm Schönste sich zur Gemahlin wähle. (Viel vernünftiger als bei uns, wo kein Herz, sondern nur Diplomatie wählt und die Gattin dictirt und octroyirt). Stellt sich nach dreijähriger Ehe kein junger Thronerbe ein, kann der Fürst eine andere Gattin wählen, jedoch ohne die erste von ihrem eigenen Range als „Sultanin“ zu verstoßen. Sollte der Fürst oder Sultan trotz dieser Fürsorge ohne Thronfolger sterben, versammeln sich hundert junge, auserwählte Amazonen, um einen Thronerben unter ihren eigenen Sprößlingen auszuerkiesen. Der frauengewählte Sultan wird dann proclamirt und Alles ist wieder in Ordnung. Die Hauptstadt dieses kleinen Frauenstaates liegt in einem der malerischsten Theile der Insel auf einer fruchtbaren, baumbeschatteten Ebene. In der Mitte derselben erheben sich zwei gut verwahrte Festungen; die Diamantenburg, wie eine derselben heißt, schließt den Palast des Sultans ein, ein großes, geräumiges, massives Bauwerk, wohl geeignet, eine Belagerung auszuhalten. Die regierenden Damen sind sanft und höflich in ihrem Benehmen, und Fremde, die ihre Aufwartung machen, werden mit großer Zuvorkommenheit aufgenommen. Das glückliche Bantan-Land erinnert an glückliche, brave Frauen, von denen die Welt auch nicht spricht. In der Politik kommt das Land gar nicht vor. Man sagt, es sei politisch ohne Bedeutung. Ich dächte nicht. Wenn es unter dem Scepter der Schönheit so reich und glücklich ist, wie es der Engländer Elton schildert, wäre es ja die Lösung eines großen Problems, der Sieg einer neuen Regierungsform. Wer, wie es jetzt Vielen geht, weder zur Monarchie, noch zur Demokratie, noch zum Constitutionalismus, noch zur Oligarchie, Plutokratie, Republicokratie noch zu einer andern Kratie Vertrauen hat, der könnte sich ja vielleieht noch mit der Hoffnung trösten, daß von Bantan die Pantofflokratie die Welt befreien und erlösen werde. Mit letzterer hat man bis jetzt blos im stillen Familienkreise glückliche Versuche gemacht, es käme bei diesem Mangel an Männern nun nur auf einen großen, staatlichen an.


Aus Briefen einer barmherzigen Schwester in Sebastopol. In der Nacht vom Montag auf Dienstag wurden unsere Truppen beordert, neue Trancheen zu graben und Batterien aufzuwerfen, unter starker Bedeckung. Wir waren die ganze Nacht über bereit, doch die Nacht ging glücklich vorüber und der ganze Dienstag war still und ruhig. Abends wartete man wieder. Alles wird vorbereitet; Matratzen werden in mehreren Reihen auf den Boden gelegt; kleine Tische mit Papier, Tinte, Federn und Lichtern hingestellt. Auf einem Tisch legt man Haufen von Chapie, Compressen, Binden, kurze Stearinlichter, Arzneien. In einer Ecke steht ein großer Samowar (Theemaschine), der den Tag und die ganze Nacht kochen soll; daneben zwei Tischchen mit kleinen Theekesseln und Schalen. Auf der andern Seite ein Tisch mit Branntwein, Wein, saurer Limonade, Trink- und Weingläsern.

Zwischen 9 und 10 Uhr zuckt es wie ein Blitz an den Fenstern vorüber und es kracht plötzlich, daß die Fensterscheiben erzittern. Nach und nach und immer schneller und häufiger; man kann die einzelnen Schüsse nicht mehr unterscheiden. Alles dröhnt, die fünfte und sechste Bastion sind im Feuer. Die feindlichen Bomben fliegen nicht bis in die Stadt. Wir sitzen und horchen, immer in demselben; es vergeht eine Stunde ungefähr. Da erscheint eine Tragbahre, die zweite, die dritte – es hat begonnen. Die Lichter werden angezündet, die Leute laufen eilig hin und her, und bald ist dieser große Saal mit Menschen angefüllt; der Fußboden ist mit Verwundeten bedeckt – überall, wo man sitzen kann, sitzen deren, die sich selbst hergeschleppt haben. Wie sie schreien! Welch ein Lärm! Eine Hölle ist’s um uns her. Man hört den Kanonendonner nicht vor diesem Jammern und Stöhnen. Dieser schreit ohne Worte; jener ruft: „Rettet mich, Brüder, rettet!“ Ein Anderer erblickt den Branntwein auf dem Tische und bittet: „Sei mir eine gute Mutter, gieb mir einen Schnaps!“ In allen Richtungen hört man Stimmen, die zu den Aerzten, welche Wunden untersuchen, schreien: „Erw. Wohlgeboren, quält mich nicht!“ Und ich selbst gehe mit großer Mühe zwischen den Reihen der Tragbahren durch und rufe: „Hierher, Leute – tragt ihn in’s Gustsczinski’sche Haus (dorthin wurden die hoffnungslos Verwundeten gebracht), – den da in die Nikolajew’sche Batterie. – Legt diesen auf das Bett hier!“

Nun bringt man auch Offiziere. Das Operationszimmer ist ganz angefüllt mit Verwundeten; doch an Operationen ist jetzt nicht zu denken. Da bringt man einen Offizier, – sein Gesicht ist ganz mit Blut überströmt, – ich wasche es ihm, – unterdessen holt er, mühsam aus seinem Portemonnaie ein Trinkgeld heraus für die Soldaten, die ihn getragen haben. Ich knie auf den Fußboden, um dem Doctor zu leuchten; der Verwundete ist von einer Kugel in die Brust getroffen; um zu sehen, ob er nicht durch und durch geschossen, lege ich ihm die Hand unter den Rücken und untersuche die Wunde. – Du kannst Dir denken, wie er in seinem Blute schwimmt. Doch genug! Du würdest schaudern, wenn ich Dir alle Qualen und Leiden, die ich in jener Nacht nur gesehen – beschreiben wollte. Endlich dämmert es, das Geschützfeuer hört auf. – Wir haben einen kleinen Garten, denke, auch da lagen Verwundete. Ich nahm Branntwein mit und lief dahin – unter dem herrlichsten Sonnenaufgang über der Bucht – bei dem Gezwitscher der Vögel – im Schatten weißblühender Akazien – fand ich da ungefähr dreißig sehr schwer Verwundete, die meisten beinahe schon sterbend. Welch’ ein Gegensatz zu diesem Frühlingsmorgen. Ich bat zwei Einwohner von Sebastopol, welche die ganze Nacht über sehr eifrig geholfen hatten beim Tragen der Verwundeten, auch diese gleich in’s Hospital zu tragen. Gottlob, das Tragen hat ein Ende. Die Aerzte, welche um Tagesanbruch nach Hause gegangen waren, um auszuruhen, kamen wieder; diejenigen, welche geblieben waren, gehen fort.

Um sieben Uhr beginnen die Operationen auf’s Neue. Obgleich es nicht mein Dienstag war, entschloß ich mich auch da zu bleiben. Bis zwei Uhr dauern die Operationen. Zwischen fünf und sechs Uhr kommt Pirogoff wieder, und das Operiren dauert bis acht Uhr; doch war es dann vorbei, und um neun Uhr ging ich nach Hause. Die Kanonade dauerte aber immer fort und wurde gegen Morgen stärker; ich stand daher um sechs Uhr auf und meldete mich um sieben zum Dienst. Alles war in Ordnung – in dieser Nacht kaum hundert Verwundete. Freilich hatten wir drei Stunden lang Amputationen; doch mit dem Verbande war um ein Uhr Alles vorüber. Man brachte mir Dein Päckchen, ich machte es auf und fing sogleich an, aus Deiner Leinewand Compressen zu reißen. Man bringt mir mein Mittagsessen. Alles ist still. Heute giebt’s einen ruhigen Tag. Die Thüre geht auf und eine Tragbahre nach der andern erscheint. Was heißt, das? Wo, wie? Wann bist Du verwundet? – Noch seit jener Nacht haben wir da gelegen, – jetzt erst war Waffenstillstand. Denke Dir das Fürchterliche! Beinahe zwei Mal 24 Stunden hatten sie da gelegen; einige mitleidige Franzosen hatten ihnen Brot und Wasser gegeben. Wir wuschen gleich ihre Wunden, verbanden sie, gaben ihnen zu essen und zu trinken; natürlich waren sie Alle an den Füßen verwundet, einige nur leicht; – doch gab es wieder zwölf Operationen, und da Niemand diesen Zwischenfall erwartete, waren Dr. Chlebnikoff und ich beinahe allein an dem Operationstische. Die Nacht ging ruhig vorbei.


„Aus der Fremde“ Nr. 5 enthält:

Aus dem Leben eines Sklavenhändlers. (Zweiter Artikel.) – Aus dem Kaukasus. (Mit Abbildungen.) – Franklin und die Reisen zur Ermittelung seines Schicksals. Nach offiziellen Quellen. (Schluß.) – Aus allen Reichen: Die schrecklichste Nacht meines Lebens.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_068.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2017)