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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

die eine heilsame Regeneration der verdorbenen Nation mit sich zu führen schien, kam Venedig unter die Botmäßigkeit Oesterreichs (seit dem Pariser Frieden von 1814), und – harrt nun vertrauend auf die Rückkehr seiner ehemaligen Pracht und Größe.

Da spiegelte sich der erste Schein der Morgendämmerung am Plafond meines Schlafzimmers; eiligst erhob ich mich, um die wenigen Stunden, die mir vergönnt waren, in Venedig zu verweilen, zur Betrachtung dieser Zauberstadt recht zu nützen. Dem vorgefaßten Plane gemäß begab ich mich, wie wohl die meisten Fremden, zunächst nach dem Markusthurme. Um 1250 vollendet, erhebt sich derselbe schlank und frei aus dem Boden heraus, 335 Fuß hoch. Ein bequemer Gang ohne Stufen führt hinauf bis auf die Gallerie.

Welches Panorama bestürmt hier den trunkenen Blick! Da liegt zu meinen Füßen die triangelförmige Stadt, wie ein Floß anzuschauen, auf dem ein kleines Paris steht. 15,000 Häuser, Hunderte von Thürmen und Minarets, 41 freie Plätze. Dazwischen blinken die Kanäle mit 450 edlen Brücken übersäet. Sechs Häfen mit Tausenden von Schiffen, Schanzen und Batterien, mehr als hundert kleinere und größere Inseln, herrlich bebaut mit Ortschaften und himmlischen Gärten, zeigen sich der Stadt zunächst in den Lagunen verstreut, zumal gegen Süden. Oftwärts unterscheidet man deutlich die Küste des adriatischen Meeres, im Westen das lachende Grün der Ebene von Padua, nördlich, hinter einer weiten Landschaft, erglänzt mit beschneiten Gipfeln die Kette der Alpen. Wendet man von der wundervollen Fernsicht das Auge auf die nächsten Gegenstände, so ist es die uralte Markuskirche mit ihren fünf weißblinkenden orientalischen Kuppeln, welche die Blicke fesselt, neben ihr der riesige Dogenpalast mit den beiden prächtigen Prokuratien, die zusammen den Markusplatz einfassen, endlich das auf demselben sich bewegende ameisenartige Gewimmel der zwerghaft zusammengeschrumpften Menschen. An den Markusplatz rechtwicklicht stößt die Piazzetta, ein kleinerer Platz, der zwischen zwei hohen rothen Granitsäulen, die der Doge Ziani aus Griechenland hierher gebracht, und worauf sich der geflügelte Löwe von San Marco und die Statue des heiligen Theodor befinden, die Aussicht auf den Hafen eröffnet. Fast bestürzt von der Pracht dieses Anblicks stieg ich auf den Markusplatz hernieder. Neues Staunen ergriff mich hier! Es ist kein Markt, keine Straße, sondern ein Salon von 680 Fuß Länge und 550 Fuß Breite. Er ist mit großen Marmorplatten belegt und ringsum von den großartig schönsten Gebäuden und Arkaden geschmückt. Keine Stadt der Welt bietet so reichhaltige und vollkommene Muster der Architektur, wie Venedig.

Hier allein kann die Geschichte der Baukunst vom ersten Wiederaufleben derselben bis zur Epoche ihrer glänzendsten Höhe studirt werden. Freilich hat Venedig in dieser Kunst auch die größten Meister aufzuweisen. Zu einer und derselben Zeit concurrirten hier Baumeister, wie: Vignola, Sansovino, Palladio, Scamozzi und Antonio da Ponte! Während die Malerei außer dem großen Titian, Tintoretto, Paul Veronese und Giorgione wenig bedeutende Namen aufzuweisen hat und die Bildhauerkunst nur einen Canova erzeugte. – Zwei Seiten des Platzes begrenzen die alten und neuen Procuratien (Administrationsgebäude), an der dritten erhebt sich der wundervolle Dogenpalast, und an der gegenüber befindlichen offenen die Markuskirche mit ihren Portalen, Kuppeln und Thürmen, davor die drei großen Standarten, die ehemals die Fahnen der drei Königreiche Candia, Cypern und Morea trugen, jetzt mit Oesterreichs Farben bezeichnet. Ueber dem Portale der Kirche stehen jene vier korinthischen, aus Erz gegossenen, vergoldeten Rosse, welche einst durch Nero aus Griechenland nach Rom, durch Constantin nach Constantinopel, und 1204 durch den Dogen Dandalo nach Venedig gebracht wurden. Napoleon brachte sie nach Paris, von wo sie 1814 auf ihren alten Stand an der Markuskirche zurückkehrten. Die letztere selbst gehört zu dem Kostbarsten und Wunderreichsten, was die Erde bietet; selbst die Peterskirche in Rom verdunkelt sie nicht. Der Schatz der Kirche birgt nicht nur das ursprüngliche Evangelium St. Marci, vom Zahn der Zeit bis beinahe auf den letzten Buchstaben zernagt, sondern der Sage nach selbst die irdischen Ueberreste des heiligen Evangelisten, die man in den Kreuzzügen aus Alexandrien geraubt. Der im Jahr 967 begonnene Tempel selbst bietet ein seltsames Gemisch byzantinischer, gothischer und italienischer Bauart. Die Decke der Vorhalle ist ganz mit Mosaik ausgelegt. Drei bronzene Thüren mit eingelegten Arbeiten aus Silber führen in das Innere, wo der wellenförmige Fußboden von Jaspis und Porphyr Thiere, Bäume und Hieroglyphen darstellt. Ueber demselben erhebt sich ein Wald von kostbaren Säulen, deren Zahl im Ganzen auf 500 angegeben wird. Das Gewölbe, die Kuppeln, alle sind von Mosaik, die Altäre und Kapellen mit Gold, Silber und Edelsteinen überladen; nicht eine Zierrath, keine Arabeske in dem weiten Raume, die sich wiederholte. Es bringt eine feenhafte Wirkung hervor, ähnlicher einem Palaste aus „Tausend und eine Nacht“ als einem Gotteshause der Christen.

Der alte Dogenpalast, ein maurisch-gothisches Riesengebäude, zur Zeit der Republik Residenz des Staatsoberhauptes, Rathskammer und Staatsgefängniß, enthält jetzt fast nur Kunstmuseen und Bibliotheken, deren Schätze ich ungenossen vorübergehen lassen mußte. Eine sogenannte Riesentreppe im Innern führt an dem höllischen Löwenrachen vorüber, in welchen man nur einen Zettel zu stecken brauchte, um den darauf Bezeichneten dem sichern Verderben preiszugeben. Aus dem ersten Stockwerke des Gebäudes führt eine bedeckte Gallerie, „die Seufzerbrücke,“ über einen Kanal in die gegenüberliegenden Staatsgefängnisse, die berüchtigten „Bleidächer (piombi)“, deren Scheidewände jetzt gestürzt sind, und die unterirdischen feuchtmoderigen Kerker (pozzi, Cisternen), die nunmehr mit Schutt ausgefüllt sind. Aehnlich dem Kaiser von China, dessen Thron unmittelbar auf den strengsten Staatsgefängnissen stehen soll, befanden sich die tyrannischen Machthaber Venedigs hier in nächster Nähe der bedauernswerthesten Opfer ihrer Justiz.

Von der Pracht und den Schrecken dieser merkwürdigen Orte tief ergriffen, zog ich mich in eines der Kaffeehäuser am Markusplatze zurück, um, bevor ich eine Rundreise zu Wasser um die Stadt unternahm, an einer Semada mich zu erquicken, einem mandelmilchähnlichen Getränk aus gestoßenem Melonensaamen und Wasser mit Zucker.

Ich ergößte mich an dem lärmenden Gewirre aller Stände und Nationen, die hier im Herzen der Lagunenstadt zusammentreffen. Verkäufer riefen ihre Waaren aus. Ein fliegender Buchhändler bot mir eine nova bellissima Canzonetta an – es war der Text einer Rossinischen Arie. Auf mein Bemerken, daß ich die Weise dazu nicht kenne, erbot er sich, mir dieselbe so lange vorzusingen, bis ich sie behalten. Ein italienischer Zug, dem man häufig begegnet. Schöne Damen in reizender Tracht promenirten und sprachen unverholenes Verlangen in ihren Blicken aus. Ihr schönen Kinder des Südens verblühet ungenossen! Die Pflicht treibt mich vorwärts und ruft mir zu, wie Mephisto Fausten am Hochgericht: „Vorbei, vorbei!“

An der Piazzetta , wo die Hauptstation der Gondoliere ist, war ein Fahrzeug bald gemiethet; ich warf mich hinein und fuhr, mit meinem Führer, rechts ab den Hafen entlang in den Kanal Grande, den Corso Venedigs, eine prachtvolle Wasserstraße, welche die Stadt in Form eines S durchzieht, sie in zwei Hälften theilend. Die prächtigsten Paläste der alten Nobili imponiren uns hier zu beiden Seiten, und die Geschichte der alten Stadt redet mit steinernen Zungen zur Gegenwart. Leider daß viele der hohen Häuser verödet sind, die Fenster mit Bretern vernagelt, oder mit den Lumpen der Armuth verhängt.

Inmitten der Stadt ist der Kanal Grande von der berühmten Rialtobrücke überdämmt. Ein wahrhaft kühnes Bauwerk! Ein einziger Bogen von 70 Fuß Spannung und nur 30 Fuß Höhe trägt die 148 Fuß lange und 43 Fuß breite Brücke, zu welcher 50 Stufen hinaufführen. Fünf Baumeister, darunter Palladio, bewarben sich um die Ehre, sie erbauen zu dürfen. Antonio da Ponte mit seinem so einfachen als kühnen Plane trug den Sieg davon. – Niemand hat Venedig recht gesehen, der es nicht zu Wasser nach allen Richtungen durchschiffte. Mit jeder Wendung der Gondel entdecken wir neue Reize, entfaltet sich ein neues Blatt der Geschichte. Der Canalazzo oder Kanal Grande interessirte mich so sehr, daß ich wieder zurückfuhr, ihn nochmals zu durchlaufen. So kehrte ich wieder zur Piazzetta, meinem Ausgangspunkte. Den Wasserweg nach Osten verfolgend, staunte ich das bunte Leben der Riva degli Schaivoni (Kai der Leibeigenen) an, über den mehrere Brücken nach einem, von Napoleon angelegten, öffentlichen Garten führen, dem einzigen Punkte, wo der Veneter sich in der freien Natur unter Bäumen ergehen konnte – wenn er es nicht vielmehr vorzöge, jedes freie Stündchen auf dem Markusplatze zu verbummeln. Weiterhin befindet sich das große Arsenal vor dem die beiden berühmten Löwen aus dem Hafen Athens stehen. Das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_082.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)