Seite:Die Gartenlaube (1856) 095.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

gerösteten Kaninchen bestand, Theil, und da ich glücklicher Weise eine Flasche catalanischen Brandy mit mir führte, machten wir es uns ganz schmackhaft. Ich hatte auch Taback bei mir, aus dem wir Cigarren fertigten, mein Wirth hatte jedoch noch mehr Genuß an dem Kauen des „Cocu“, und er trug stets ein mit trockenen Blättern der Cocupflanze gefülltes Chinchillenfell mit sich.

Am frühen Morgen machten wir uns zu Fuß auf den Weg. Unsere Pferde blieben angebunden bei der Hütte. Der Indianer nahm einen seiner Hunde mit sich, der treu und zuverlässig war.

Wir schritten über die Ebene und kamen in ein Bergdefilé, das aufwärts führte, und wobei wir fortwährend über Felsblöcke und Geröll stiegen. Zu Zeiten war der Weg äußerst schlüpfrig und sogar gefährlich, wo der gefrorene, mehrere Zoll hohe Schnee ihn verdeckte. Unser Ziel bildete ein höher gelegenes Plateau. wo wir, wie mein Führer sagte, Vicuña’s finden würden.

Als wir zwischen den Felsen kletterten, gewahrte ich über uns bewegliche Gegenstände und erblickt, als ich schärfer hinsah, mehrere Thiere von starkem Bau und rothbrauner Farbe. Ich hielt sie zuerst für Rothwild, erkannte jedoch sogleich meinen Irrthum. Sie waren ihm nur ähnlich, aber ungleich elastischer und sprangen wie Gemsen von Fels zu Fels.

„Das sind wohl Vicuña’s?“ sagte ich.

„Nein,“ erwiederte mein Gefährte, „nur Guanaco’s.“

Ich hätte gern auf sie angelegt.

„Verspart es Euch lieber,“ sagte indessen mein Führer. „Der Schuß schreckt sonst die Vicuña’s, wenn sie in der Ebene sind, die ganz nahe ist. Ich kenne die Guanaco’s und ihre Schlupfwinkel – das Defilé hier dicht bei – und wir können die auf dem Rückwege suchen.“

Ich versagte mir also den Schuß, obwohl es mir sauer genug wurde, denn die Thiere liefen so dicht an uns vorbei, daß ich sie bequem erreichen konnte. Mein Gefährte dachte natürlich an das werthvollere Vließ der Vicuña’s.

„Hier müssen wir sie finden,“ sagte er, „das ist ihr Aesungsplatz.“

Schöne Thiere und ein edles Wild sind die Guanaco’s, so edel wie Rothwild. Von den Vicuña’s unterscheiden sie sich wesentlich. Sie äsen nur in kleinen Rudeln, von sechs bis zwölf Stück, während man die Vicuña’s in vierfacher Anzahl beisammen findet. Die Guanaco’s hausen ferner in den Felsen und springen von Klippe zu Klippe, weit über die Abgründe. Auf der Grasebne laufen sie dagegen nur schlecht, weil das Leben auf dem Gestein ihre Hufe in besonderer Weise zusammenschrumpfen läßt. Die Vicuña’s ziehen dagegen den sanften Rasen der Tafelebene vor, über welche sie mit der Gelenkigkeit des Rothwildes dahinfliehen. Beide gehören zu derselben Art Vierfüßler, aber ihr Wesen hat sich durch ihre Aesungsart verschieden gestaltet.

Als wir den Rand der Ebene erreicht hatten, nach der wir strebten, sahen wir unsere Erwartung erfüllt. Nicht weit davon äste ein Rudel, das einen herrlichen Anblick darbot. Die Thiere sahen stattlich und graziös aus. Dem ungeübten Auge konnten sie ganz als Rothwild erscheinen, denn außer der Antelope gleicht ihm kein Thier so, als das Vicuña, und zwar weit mehr, als es dem Lama, Alpaka und Guanaco gleicht. Seine Glieder sind indessen schlanker und beweglicher und seine Farbe ist lichter, und wenn man sich an seinen Anblick gewöhnt hat, kann man das Orangeroth seines seidenen Felles auf einen Blick in weiter Ferne unterscheiden. Mein Gefährte sagte sogleich, daß es ein Rudel Vicuña’s sei. Es bestand aus 20 Stück, die auf der Grasebene ästen. Eins stand besonders, mit hocherhobenem Halse, als wolle es für die Uebrigen wachen. Das war in der That auch seine Pflicht, denn es war das Leitthier, der Patriarch, Mann und Vater des Rudels. Alle Uebrigen waren seine Jungen, wie mir mein Führer versicherte.

Das Vicuña lebt in Vielweiberei, kämpft mit verzweifelter Kühnheit für seinen Harem und wacht über ihn, während er äst oder schläft, vertheidigt ihn gegen Feinde und deckt, wenn es nöthig, den Rückzug mit dem eigenen Leibe.

„Nun Señor,“ sagte der Jäger, indem er das Rudel überblickte, „wenn ich den da (auf den Leiter deutend) schießen könnte, wäre mir um den Rest nicht bange, dann wollte ich sie Alle kriegen.“

„Wie so?“ fragte ich. „O, ich wollte wohl. Ich möchte nur erst wissen –“

„Sie ziehen nach dem Felsen zu, laßt uns dahin gehen, Kamerad!“

Vorsichtig stahlen wir uns um die Spitze des Berges, bis die Felsen zwischen uns und dem Wilde lagen. Dann faßten wir dort Posto, indem wir uns hinter einem Felsblock verbargen, der ganz dazu gemacht war, und vorsichtig durch die Spalten lugten. Die Vicuña’s kame langsam auf uns zu und waren beinahe schon in Schußweite. Ich hatte eine Büchsflinte, deren Läufe ich mit starker Ladung versehen hatte, mein Gefährte eine lange spanische Rifle.

Wispernd ertheilte er mir seine Instruktionen. Ich sollte erst nach ihm feuern, beide wollten wir aber auf das Leitthier zielen. Da er hierauf bestand, versprach ich zu folgen.

Das Rudel kam näher und näher, der Leiter voran, mit langem weißen Seidenhaar vor der Brust und seine Augen auf uns richtend. Ich beobachtete das Leuchten seiner Augäpfel und den Ausdruck von Stolz, der ihn erfüllte, wenn er sich zuweilen nach seinem Gefolge umsah.

„Ich hoffe, er hat Würmer,“ murmelte mein Genosse, „denn dann kommt er nach dem Felsen hier, sich zu scheuern.“

Dies war auch offenbar seine Absicht, denn er streckte seinen Hals vor und kam bis auf ein paar Schritte auf uns zu. Da machte er plötzlich Halt. Der Wind war für uns, sonst wäre er längst davon getrabt. Aber er faßte Verdacht, stand still, zog den Kopf in die Höhe, stampfte den Boden mit dem Fuß und stieß einen sonderbaren Schrei aus, der dem Pfeifen des Rothwildes glich. Das Echo dieses Schreies war der Donner aus meines Gefährten Rifle, und gleich darauf sah ich das Vicuña in die Höhe springen und todt zu Boden stürzen.

Jetzt glaubte ich, würden die Andern eilig davon fliehen und wollte rasch unter sie feuern, so lange ich sie noch erreichen konnte. Mein Gefährte hielt mich indessen zurück.

„Halt!“ – wisperte er – „Ihr werdet gleich einen bessern Stand haben. Seht da – jetzt, wenn’s Euch beliebt, Señor!“

Zu meiner Ueberraschung kam das Rudel, statt zu fliehen, auf den Ort zugetrabt, wo ihr Leiter lag, lief um ihn herum, stand dann wieder vor seinem Kadaver still und stieß klägliche Schreie aus.

Es war ein rührender Anblick, aber die Mordlust ist in dem Jäger immer noch größer, als das Mitleid. In einem Augenblicke hatte ich beide Läufe abgeschossen und ihren tödtlichen Inhalt entsandt. In der That tödtlich, denn als der Pulverrauch sich zertheilte, sahen wir die Hälfte des Rudels ruhig am Boden liegen oder krampfhaft zucken. Die Uebrigen blieben wie vorher stehen. Noch ein Schuß aus der Rifle, und ein Thier stürzte, noch eine Ladung meines Flintenlaufes und eine ganze Anzahl folgte, und so fuhren wir fort, Kugeln und Schrot zu entsenden, bis das ganze Rudel verendet am Boden lag.

Unser Werk war gethan, ein großes Tagewerk für meinen Gefährten, der aus dem Ertrag dieser Jagd gegen hundert Dollars lösen konnte. Dies war, versicherte er mir, ein besonderer Treffer. Oft konnte er auch Tage und Wochen lang umherirren, ohne ein Vicuña oder Guanaco zu finden, und zwei Mal war es ihm vor diesem gelungen, sich einem Rudel Vicuña’s, in der Haut eines Guanaco’s versteckt, zu nahen, und den größten Theil des Rudels zu erlegen, ehe es sich zur Flucht wandte.

Wir mußten jetzt an die Rückkehr denken, um die Pferde zu holen und das Wild heimzuführen, da dies mehrere Reisen erforderte. Um die Wölfe und Condors davon fern zu halten, wandte mein Gefährte ein sehr einfaches Mittel an, dessen sich die Prairie- Trapper im Norden allgemein bedienen. Sie nehmen ein paar Blasen aus den Vicuña’s, blasen sie auf, binden sie an ein paar Stäbe und pflanzen diese über den Kadavern auf, so daß sie sich im Winde hin und her bewegen können. So schlau der Andeswolf ist, so läßt er sich doch hierdurch täuschen, und wagt sich so wenig wie der Condor heran.

Es war beinahe Nacht, als wir mit der letzten Ladung die Hütte des Indianers erreichten. Wir waren Beide hungrig und müde, aber ein frisches Vicuña-Cotelettes, ein paar Gläser Catalaner Wein und eine Cigarette ließen uns die überstandene Mühe bald vergessen. Mein Wirth war natürlich mit seinem Tagewerk außerordentlich zufrieden, und versprach mir für den nächsten Morgen eine Guanaco-Jagd.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_095.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)