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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Dieser Calabreser wird wohl auch eine Reliquie für mich werden!“

Der freundliche und redselige Kapitain, der unsern fragenden Blick bemerkte, glaubte sich zu verpflichten, wenn er uns Aufklärung gab.

„Der Hut,“ sagte er, „den ich von meinem alten Freunde fordere, ist ein Hut, den der große Napoleon getragen hat. In der Eigenschaft als kaiserlicher Hutmacher war es ihm möglich, ein Dutzend zu sammeln, und nun will er auch nicht einen davon abtreten.“

Bei dem Worte Hutmacher sah mich Anatol an. Wir mußten unsere Bemerkungen unterdrücken, da Papa Henri antwortete:

„Kapitain, Sie übertreiben die Zahl meiner Hüte und vermindern den historischen Werth meiner Sammlung. Ich besitze nur acht Hüte Sr. Majestät, und diese hat nicht etwa der Zufall vereinigt; sie sind von ihm zu verschiedenen Epochen getragen. In meinem Hause bewahre ich sie auf mit allen Zubehörungen, und wer sie in ihrer chronologischen Ordnung betrachtet, hat das ganze Leben des großen Napoleon vor Augen.“

„Wahrlich,“ rief Anatol, „das ist interessant!“

„Jeder Freund des großen Kaisers sollte diese Sammlung sehen,“ fügte der Kapitain hinzu „Papa Henri wird es gewiß nicht verweigern – –“

„O durchaus nicht!“ rief der alte Hutmacher. „Ich halte es vielmehr für Pflicht, diesen erhebenden Anblick dem ganzen Volke zu gewähren, damit es sich, bei der jetzigen Erschlaffung, durch die lebhafte Erinnerung an die Heldenzeit und die Tage des Ruhms ermanne!“

Anatol, ein enragirter Bonapartist, stimmte begeistert bei, und sprach den Wunsch aus, die unschätzbaren Reliquien zu sehen.

„Begleiten Sie mich,“ sagte freundlich Papa Henri, „und Ihr Wunsch ist erfüllt.“

„Wo wohnen Sie, mein Herr?“

„In Saint Malo, das wir diesen Abend erreichen. Seit einem Jahre habe ich den freundlichen Ort zu meinem Wohnsitze erwählt, um von den politischen Dingen in Paris weder etwas zu hören noch zu sehen. Diesen Sommer noch werde ich Abbildungen von meinen Kabinetsstücken erscheinen lassen.“

„Ich bin Maler, mein Herr,“ sagte Anatol; „kann ich Ihnen bei diesem nationalen Werke nützlich sein – –“

„Danke, danke! Für dieses Unternehmen ist bereits ein Künstler gewonnen. Mein Nachbar und Freund, der würdige Abbé Loustalot, erwartet den Besuch seines Neffen, der einer der besten Zeichner von Paris ist. Da Sie Maler sind, kennen Sie ihn vielleicht.“

„Meinen Sie Anatol St.?“ fragte ich.

„Denselben. Er hat sich für nächste Woche dem Onkel angekündigt. Sie begreifen wohl,“ sagte der alte Hutmacher stolz, „daß man ein solches Werk nur einem Künstler anvertrauen kann.“

Ich konnte mich nicht enthalten auszurufen: „Mein Herr, Anatol St., den Sie erwarten, sitzt Ihnen gegenüber!“

„Wie?“

„Ihnen zu dienen,“ antwortete der Maler, sich verneigend.

Ich habe meine Reise um einige Tage früher angetreten, da ich dem guten Onkel, der mich wie seinen eigenen Sohn liebt, eine Ueberraschung bereiten will. Wie geht es ihm? Als sein Nachbar müssen Sie es wissen.“

Als wir gegen Abend St. Malo erreichten, war das Unternehmen verabredet, und Papa Henri lud uns ein, den nächsten Morgen bei ihm zu frühstücken. Auch der Kapitain erhielt eine Einladung. Unser Empfang bei dem Abbè, einem würdigen alten Manne, war der herzlichste. Schon während des Abendessens brachte er das Gespräch auf seinen Nachbar und das merkwürdige Museum desselben. Anatol erzählte nun das Zusammentreffen in der Diligence. Am nächsten Morgen elf Uhr führte uns der Abbè zu Papa Henri. Der Kapitain, in voller Uniform, hatte sich bereits eingestellt. Der kaiserliche Hutmacher bewohnte ein reizendes Haus. Er empfing uns wie alte Bekannte. Nach den ersten Begrüßungen führte er uns in einen kleinen Saal, der mit einigen werthvollen Stahlstichen, Schlachten der großen Armee darstellend, geschmückt war. In der Mitte dieses Saales erblickten wir auf einem mit grünem Tuche beschlagenen Tische acht kleine dreieckige Hüte unter Glasglocken. Alle waren mehr oder minder getragen und beschädigt. Hinter einem jeden sah man einen kleinen in grellen Farben gemalten Prospekt. Papa Henri begann ernst und würdig folgende Erklärung:

Seit dem Jahre 1793 hatte ich die Ehre, Hutmacher Sr. Majestät zu sein, die damals noch Escadron-Chef unter dem Namen Buonaparte war. Acht Tage zuvor, ehe er als Artillerie- Commandant zur Belagerung von Toulon abging, forderte er von mir einen vorschriftsmäßigen Hut. Man war damals nicht allzu streng, und ich hatte die Idee, die Hüte der republikanischen Offiziere, die zu breit waren, ein wenig zu erhöhen. Der erste Hut in dieser Form hatte den Beifall des Commandanten, er nahm ihn – auf Kredit – und eilte auf seinen Posten. Zwei Monate später kehrte mein junger Kundmann mit Ruhm und Lorbeeren bedeckt zurück, er war Brigadegeneral geworden. Sein Hut war arg zugerichtet, eine Kartätschenkugel hatte die rechte Ecke zerrissen. Ich mußte ihm einen neuen geben. Da seine Form gefallen, behielt ich den alten – hier ist er. Er steht vor einem Hintergrunde, der die Gegend von Toulon darstellt.

Die Belagerung von Toulon und bald darauf die Affaire des Vendémiaire hatten den neuen General zu großem Ansehen gebracht. Um die Republik und die republikanischen Moden war es geschehen. Das Direktorium begann die Aera seiner Thorheiten und Verschwendungen, und entsendete den General Bonaparte, um in Italien die Feinde Frankreichs zu bekämpfen. Im Interesse meines ruhmgekrönten Abkäufers wich ich von der unedeln Mode von 1793 ab. Schon bei Montenotte, Lobi und Arcole war der Hut viel besser; und als der General en Chef, der Ueberwinder Italiens, der Pacificateur Europa’s sich nach Egypten einschiffte, bedeckte sein herrliches Haupt ein wahrhaft charakteristischer Hut. Hier steht er, betrachten Sie ihn, meine Herren, und Sie werden mir beipflichten müssen. Die vordere umgeschlagene Parthie erhebt sich kühn und bedeckt völlig die Form; der hintere Theil erhebt sich noch höher. Sie sehen hier drei Viertheile des zweiten Hutes. Die Umgebung stellt einen Theil der Befestigungswerke des eroberten Mantua und die Pyramiden von Djezzar dar.

Fünf Monate später, bei der Rückkehr aus Egypten, bedurfte der Held meiner Dienste von Neuem. Um das räuberische und unwissende Direktorium zu verjagen; um eine Versammlung von Schwätzern zu verjagen, die Frankreich zu Grunde richteten, und um einen ersten Consul einzusetzen, mußte der General mit einer neuen und passenden Kopfbedeckung geschmückt werden. Man ließ mich rufen. Als ich das Maaß nahm, bemerkte ich mit Erstaunen, wie außerordentlich, wie enorm sich das Haupt meines ruhmreichen Kunden entwickelt hatte; wie die Lage der Dinge, so hatten sich seine Organe der Intelligenz vergrößert. Der Hut des ersten Consuls hatte zwei Spitzen mehr, als der des Commandanten von Toulon. Vergleichen Sie, meine Herren, hier ist der Hut des Consulats!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_115.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)