Seite:Die Gartenlaube (1856) 131.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

die heiligen Plätze langsam und in officiell betender Haltung, die linke Hand unter dem Herzen festgedrückt und dieselbe mit der rechten bedeckend. Natürlich war’s ihm nicht um’s Beten zu thun, sondern so genau und so viel als möglich zu sehen und sich Situation und Lage jedes einzelnen Heiligthums zu merken. Dies gelang ihm auch so weit, daß er hinterher im Stande war, einen Grundriß des Haram (der eigentlichen Moschee) und die Situation der „Quelle des Propheten“, seines Rednerstuhls, seines Rawyah (Gartens), des Fensters, durch welches der Engel Gabriel hereingeflogen war, um dem Propheten himmlische Geheimnisse zu offenbaren, der „weinenden Säule“, der „Reue-Säule“, der „Flüchtlings-Säule“ und der „Säule Ayesha’s“ (Muhamed’s Frau) zu zeichnen.

Dem Allerheiligsten selbst, d. h. dem Sarge des Propheten, darf niemals Jemand nahe treten. Burton konnte also auch blos dessen Ansehen von Außen schildern. Dieses Allerheiligste liegt innerhalb des Gartens, belegt mit blumigen Tapeten, gedeckt mit grünen Ziegeln, bemalt mit seltsamen Arabesken und des Nachts erleuchtet mit Kandelabern von geschnittenem Glas, dem Werke eines londoner Glasschneiders. Am Tage sah das Ganze ärmlich und schmutzig aus, nur bei künstlicher Beleuchtung machte es den Eindruck einer wunderlichen, reichen Theaterdekoration.

Die Hujrah, Ayesha’s Zimmer und der Raum, in welchem der Prophet starb, bilden ein großes, unregelmäßiges Viereck im südöstlichen Winkel des Gebäudes, von allen Seiten durch eine breite Passage von der Moschee selbst geschieden. Innerhalb dieses Vierecks ist das Mausoleum von einem doppelten Eisengitter, mit einem ganz schwarz gefärbten Wege dazwischen, eingeschlossen. Innerhalb des innern Gitters hängt der Vorhang, der die Gräber Muhamed’s und der beiden ersten Khalifen, Abubekir und Omar, den Blicken Sterblicher verbirgt. Ein viertes leeres Grab ist für „Isa bin Maryam,“ d. h. den Sohn Maria’s, der hier nach Vollendung seiner zweiten Mission auf Erden seine letzte Ruhestätte finden soll. Das Grabmal Muhamed’s ist am Vorhange durch einen Stern und Rosenkranz von Perlen bezeichnet, „aus Diamanten geflochten,“ wie die Gläubigen sagen. Der Stern in der Mitte ist der „Juwel unter den Juwelen des Paradieses“. Nach Burton sieht er ganz so aus wie der Stöpsel zu einer gewöhnlichen Wasserflasche von Glas.

Von dem Grabe und dem Sarge des Propheten giebt es viele Lesearten. Der Sarg besteht aus einem schwarzen Marmorblock, den man sehen kann, wenn der Wind den Vorhang hebt; nach Andern liegt er tief in der Erde in einem Sarge von Ebenholz mit Silber beschlagen. Noch Andere ließen ihn mit sammt einem eisernen Sarge direkt in den Himmel fahren. Die Sache ist, daß Niemand etwas davon weiß. So oft der Vorhang erneuert werden muß, nimmt man die Nacht dazu und Gläubigste der Gläubigen, welche um keinen Preis der Welt ihre Augen dahin richten würden.

Das geistliche Haupt des Islam ließ während Burton’s Anwesenheit in Medina einen der fünf Thürme der Muhamed-Moschee ausbessern; doch ging die Arbeit sehr langsam vorwärts, da die nöthigen Gelder von Konstantinopel sehr oft ausblieben. Es hieß, der Bau werde während des Krieges wohl ganz unterbleiben.

Ein mit den heiligen Plätzen in Verbindung stehendes Institut enthält alle Arten von heiligen Beamten, deren Jeder so viel als möglich von den Pilgern zu schlucken versucht. Außer diesen „Agha’s“ belagern eine Masse Bettler beiderlei Geschlechts, lahme, blinde, mit Lumpen und Geschwüren und Schmutz bedeckte Gläubige die Zugänge, so daß Burton mehr als doppelt so viel brauchte, als er erwartet, um sich überall durchzukaufen.

Die Stadt des Propheten, Medinet-el-Rabi bei den Arabern, wofür wir Medina sagen, liegt auf einem großen Plateau Mittel- Arabiens in einer zwölf englische Meilen ringsum heiligen Gegend. Innerhalb derselben ist Alles geheiligt und keine „Immoralität“ erlaubt. Dieses heilige Land enthält noch eine Menge andere Heiligthümer, Moscheen, Quellen, aus denen der Prophet trank, Gärten, in welchen er wandelte, das Grab seines Onkels Hamzah in der Stadt Jebal Ohod, wo auch Aaron begraben liegt, und die Seelen der Gläubigen in geistiger Unterhaltung beisammen sitzen, 100,000 Heilige mit Gesichtern wie Vollmond bei el Bakia, die Auferstehung Muhamed’s erwartend, um sich ihm gleich zur Verfügung zu stellen. —— Alle diese Plätze besuchte Burton, stets mit dem rechten Fuße zuerst eintretend und fast immer in Bewegung mit der Hand aus der Tasche, um die Heiligen, welche auch Fleisch und Bein hatten, mit irdischen Gütern kleinen Gepräges zu erfreuen.

Medina ist eine hübsch gebaute Stadt mit etwa 16,000 Einwohnern. Die Dächer sind flach, größtentheils zweistöckig, die bessern in Gärten gelegen, von Springbrunnen und Dattelbäumen umgeben. Die Datteln von Medina gelten als die besten in der ganzen Welt. Das Interessanteste ist das seltsame Gemisch der Bevölkerung. Sie besteht aus zurückgebliebenen Pilgern aller muhamedanischen Racen, vom negerartigen Schwarz bis zu dem edeln, feinen, blassen Gesicht des „Dolche blickenden“ ächten Sarazenen. Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nichts in die Scheuren und Allah und sein Prophet ernähren sie doch. Sie bezahlen keine Steuern und thun nichts, als die frommen Fremden führen, bewirthen und ausbetteln. Einige handeln mit Datteln, Tabak, getrockneten Früchten, die ihnen von den Bäumen in würziger Süßigkeit zufallen. Von Datteln unterscheidet man im Handel und in der Art der Verpackung über sechzig Arten. Die besten, über zwei Zoll lang, werden in Zinnbüchsen bis in die fernsten Theile der muhamedanischen Welt als Geschenke an besonders Gläubige gesandt, die Datteln aus „Fatima’s Garten“ an den Sultan und die Häupter des Islam verschenkt. Datteln sind die Kartoffeln der ganzen Gegend, auch Apotheke. Man ißt sich in Datteln krank und kurirt sich mit Medicin, die aus Datteln bereitet wird. Aechte Homöopathen. Außerdem ißt man viel — zerlassene Butter, worin gebratenes Fleisch schwimmt. Sie haben’s wirklich so weit gebracht wie jener Schäferjunge, der gefragt, was er thun würde, wenn er König wäre, antwortete: „Ich tränke die braune Butter aus Bierkrügen.“

Mr. Burton hörte die Aeltesten des Islam zuweilen über den Krieg disputiren. Auf ihren Knieen kauernd und aus langen Pfeifen bedächtig zierliche Wolken blasend, vereinigten sie ihre Nachrichten und Meinungen dahin: „Der Czaar hat um Frieden gebeten und Tribut und Treue geboten. Aber der Sultan hat ausgerufen: „Nein, bei Allah! El Islam! Erst muß der Czaar zum Glauben des Propheten schwören! Dann wird er das Schicksal der Moskowiter bestimmen und hernach die Ungläubigen von Feringistan (d. h. des übrigen Europa) zur Fahne des Propheten schwören lassen.“ —-

Die weibliche Bevölkerung Medina’s beschäftigt sich mit Zanken und Putzen. Sie zanken ihre schwarzen Dienstboten aus, deren jede 80 bis 150 Thaler Lohn bekommt, und gehen in einem weißen, weiten Hemde mit langen Aermeln und sehr engen, anschließenden Tarwals (Beinkleidern) freier umher, als sonst in der Türkei. Außerdem färben sie die Sohlen ihrer nackten Füße und innern Handflächen sehr sorgfältig schwarz.

Das malerische Leben und Treiben der Stadt mit ankommenden und abgehenden Pilgrims-Caravanen ist äußerst interessant. Mit besonderer Aufregung wurde während Burton’s Anwesenheit die jährlich einmal von Damaskus ankommende Karavane erwartet, weil diese einen neuen Vorhang für das Grab des Propheten mitbrachte. Sie blieb über die Zeit aus, so daß man schon fürchtete, Wüstenräuber könnten sie ausgeplündert und ermordet und selbst den heiligen Vorhang nicht geschont haben. Sie war aber einmal über Nacht sicher angekommen. Und der glänzende, heiße Morgen strahlte auf eine ganze, über Nacht wie aus der Erde gezauberte neue Welt. Eine große Stadt von Zelten war zwischen den Häusern emporgewachsen, bunte, kostbare Zelte, wie Paläste mit Harem, Ställen und Küchen, mit goldenen Zinnen und kostbaren Shawlgehängen, mit Pavillons, mit Schlaf- und Besuchszimmern; weiße, graue, grüne Zelte als Privatwohnungen oder als Buden, aus denen Tabak-, Frucht- und Spezereihändler schrieen; dazwischen hervorragend große, weiße, syrische Dromedare mit braunen Beduinen an deren Höckern klebend, Arnauten, Türken und „Feuer blickende“ kurdische Reiter in malerischen Farben glänzend, persische Pilgrime in Ohnmacht fallend, umherwandelnde Scherbetverkäufer, fromme Haji’s, einander „rämpelnd,“ so daß bald hier, bald da Einer unter Kameelfüße oder über die Seile der Zelte purzelte, Kanonendonner von der Citadelle, Lustschützen, die ihre kleinen Gewehre zum Vergnügen in die Luft knallten, lautes Gekreisch von Weibern und Mädchen in deren dichtverschlossenen Sänften, aus denen sie doch ganz frei herauskollerten, wenn die Träger über Stricke und Pfähle der Zelte fielen; eine kühn daherreitende Gruppe arabischer Shaykhs, den Arzah oder Kriegstanz aufführend, schießend

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_131.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)