Seite:Die Gartenlaube (1856) 134.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ist es her, seit ich unsere schöne Seine nicht mehr sah, zehn Jahre, seit mir die gute Schwester den letzten Wein von unserem eigenen Rebhügel kredenzte und auf eine glückliche Wiederkehr als Colonel mit mir anstieß. Und eben so lange ist es her, als wir damals aus dem Hafen von Toulon ausfuhren, um nach Algerien, unserm neuen Bestimmungsort uns zu begeben.

Ich sehe diesen Morgen noch so vor mir, als wenn derselbe erst gestern gewesen! Wie glänzten die weißen Mauern des Arsenals von Toulon in dem hellen Scheine der aufgehenden Sonne, und der Pulverdampf aus den Geschützen, mit denen unsere Fregatte, die seitdem auch schon den Untergang in den Wellen gefunden hat, ihren Abschiedsgruß donnerte, kräuselte sich in so leichten, bläulich weißen Ringeln über die klare Meeresfläche hin, wie der geübteste Raucher im besten Kaffeehause von Algier solche nicht regelmäßiger aus seinem Tschibuke zu blasen versteht. Und wie nun die Geschütze donnerten, und die mächtigen Schaufelräder sich zu drehen anfingen, und der Küstenlootse auf dem Radkasten seine Befehle zum Wenden des Schiffes durch sein Sprachrohr brüllte, da riefen wir, die wir in einer Gruppe auf dem Verdeck standen, aus lauter Brust unser „vive la France, vive la patrie,“ und unser Louis B. fing mit seinem Basse an zu singen:

Par la voix du canon d´alarme
La France appelle ses enfants,
C’est ma mère etc. etc.

und jubelnd brüllten wir, so gut es gehen wollte, mit, und suchten die Trauer des Abschiedes vom Vaterlande unter Lachen und Singen zu verbergen. Unserer eilf Kameraden waren wir, damals lauter junge, kräftige Brigadiers und Sergeantmajors, die wir uns hatten freiwillig zu den Zuaven und Chasseurs d’Afrique versetzen lassen, weil es uns langweilte, stets auf den Kasernenhöfen von Frankreich Parademärsche zu üben, und für Louis Philipp, dem Könige der Banquiers, Patrouillen zu machen. Von allen diesen eilf guten Kameraden, die wir damals so frisch und munter den Hafen von Toulon verließen, und sämmtlich den festen Wunsch hegten, nur mit den Obersten-Epaulettes wieder dahin zurückzukommen, sind, so viel ich weiß, nur noch drei am Leben. Einer ertrank beim Baden in der Seybouse, unweit Constantine, ein anderer starb an der Cholera, sechs aber fielen unter den Waffen für den Ruhm und die Ehre der französischen Armee, wie es unsere verfluchte Pflicht auch ist. Drei davon sind hier in der Krim schon darauf gegangen, wobei ich besonders den Louis B. tief bedauere, der als Capitain der Zuaven bei Inkerman zusammen gehauen ward, zwei wurden uns bei den Kämpfen in Algerien getödtet, und erinnere ich mich noch, welche Rachbegierde uns Alle erfüllte, als wir den von den Hajuten schmählichst verstümmelten Körper des armen J., der wenige Tage vorher Sous-Lieutenant geworden war, entdeckten. Bei den Beinen hatten ihn diese braunen Schufte an einen Orangebaum aufgehängt, ihm den Unterleib aufgeschnitten, die Augen ausgestochen und die Finger als Cigarren in den Mund gesteckt, so daß der Arme gewiß furchtbare Todesqualen hatte ausstehen müssen. Nun wir rächten ihn denn auch gehörig und von den Hajuten, die in den nächsten Tagen uns Chasseurs d’Afrique in die Hände fielen, erhielt sicherlich keiner Pardon, sondern wir hauten das Gezücht zusammen, als wenn es Ratten wären. Und jetzt gar der lustige George G., der stets behauptet hatte, er würde noch einmal als Marschall von Frankreich sterben, mußte in diesem verwünschten Juni-Aufstand 1848 in Paris, wohin ihn der General Cavaignac mitgenommen hatte, auf so elende Weise von so einem kleinen Pariser Gassenjungen getödtet werden. Wer weiß, ob der Bursche, der damals meinen Freund erschoß, sich jetzt nicht unter diesen Zuaven befindet, die so eben vor meiner Zeltthür herumlungern und sich trotz Regen und Wind die Zeit, bis die Reihe zum Brotfassen an sie kommt, nach gewohnter Weise mit den lärmendsten Spielen vertreiben. Jetzt würde vielleicht derselbe Bursche, der damals einen der bravsten Officiere, die das französische Portepée trugen, so ruhig niederschoß, als sei derselbe eben nur ein Sperling, sich keinen Augenblick bedenken, mitten in den dicksten Haufen der Russen hineinzuspringen und sein Leben tausendmal zu wagen, blos um etwa einen verwundeten Offizier, der ihn sonst weiter gar nicht sonderlich kümmert, zu retten. Es ist ein eigenes Volk diese pariser Straßenjungen, muthig wie die Löwen und stets guter Laune, aus denen man ganz vortreffliche Soldaten machen kann, wenn man es versteht sie unter recht scharfer Zucht zu halten und ihren Ehrgeiz zu erwecken. Die Zuaven nehmen dieselben gern, und mein guter Alphons hatte gewiß stets mehrere Dutzende von diesen pariser Taugenichtsen, die er aber recht scharf zu halten wußte, in seiner Kompagnie. Wir bei den Chasseurs d’Afrique haben im Allgemeinen mit Recht ein großes Vorurtheil gegen sie, und nehmen dieselben nur höchst ungern auf. Die Kerle sind so windbeutelig und flatterhaft, und achten nicht genug auf ihre Pferde, um gute Kavalleristen zu sein. Und gar nun wenn Mädels in der Nähe sind, oder es Gelegenheit giebt, tüchtig Wein zu trinken oder irgendwie einen Unfug anzustiften, da könnte man bei Jedem dieser Pariser nur einen eigenen Brigadier hinstellen, der aufpaßte, daß er sein Pferd gut wartete.

Doch wohin komme ich denn diesmal mit meiner Schreiberei! Da will ich Euch etwas von unserm Leben in der Krim erzählen und gerathe auf Erinnerungen, wie ich zum letzten Mal vor zehn Jahren von dem schönen Frankreich Abschied nahm und nun gar auf diese Pariser Gamains und ob man aus denselben gute Chasseurs d’Afrique heranzubilden vermöge, was Euch doch am Ende verzweifelt wenig interessiren kann. Aber auf was verfällt ein Mensch nicht, wenn er mit gequetschtem Fuß, so daß er nur mühsam am Stocke herumgehen, oder sich nicht in den Sattel schwingen kann, allein in einer elenden Baracke sitzt, während alle Kameraden im Dienst fort sind. Es ist mir wahrlich vor ein paar Tagen verflucht schlecht gegangen und ich bin jetzt doch endlich unserm Doktor in die Hände gefallen, der meinen linken Fuß umpflastert hat, als wäre derselbe ein Wickelkind irgend einer ehrsamen Bürgersfrau in Tours, die ihren Gatten nach einem Dutzend von Jahren mit dem ersten zarten Sprößling ihrer ehelichen Liebe beglückte. Und wahrlich, sündhafte Quantitäten von Cognac, denn anderer Spiritus war nicht zu haben, sind dazu verwandt worden, meinen Fuß täglich einigemal damit einzureiben. Mein alter Pierre, der diesen Liebesdienst der Einreibung mir erweisen mußte, brummte nicht wenig in seinen schon grauen Bart und meinte ein und das andere Mal, es sei eine Schande, daß man solch’ edle Flüssigkeit wie dieser echte Cognac (er war auch verdammt theuer und in Bordeaux kostet die Flasche nicht ein Viertheil so viel wie hier in Kamiesch) dazu verwende, um ein Bein von außen einzureiben, statt von innen heraus den Magen damit zu erwärmen. Hätte der dicke Dr. H. mit seiner goldenen Brille auf der Nase nicht so verdammt scharf dabei aufgepaßt, ich glaube wirklich, mein alter Grognard wäre der Versuchung nicht widerstanden, ein geschicktes Taschenspieler-Meisterstück zu versuchen, die Flaschen zu verwechseln und mir die gequetschte Stelle anstatt mit Cognac, mit Wasser aus der Tschernaja einzureiben. Nun wer weiß ob das Mittel nicht eben so gut genützt hätte? Doch mag dies nun der Cognac, den ich auch übrigens von innen tüchtig gebrauchte, oder irgend etwas anderes gethan haben, mein Fuß ist glücklicher Weise wieder ziemlich gesund, und morgen oder doch wenigstens übermorgen hoffe ich mich in den Sattel meines Ibrahim, der unterdeß auch schon ganz ungeduldig geworden ist, schwingen zu können, um meinen Dienst bei den äußersten Vorposten, wo augenblicklich meine Schwadron liegt, wieder anzutreten. Da wird es denn hoffentlich auch nicht an Abwechslung fehlen, und wir werden uns so recht nach Herzenslust mit diesen Russen herumhauen können.

Um Euch aber zu erzählen, wie ich denn zu meinem arg gequetschten Fuß kam, so geschah die ganze Sache eigentlich nur aus Uebermuth. Es waren nämlich einige Eskadrons englischer Husaren aus Ostindien zu uns gekommen, tüchtige Kerle, die mir weit besser gefielen, wie dies sonst mit der übrigen englischen Kavallerie, mit der wir hier zusammengetroffen sind, der Fall war. Man sah es den Leuten an, daß sie ein langjähriges Kriegsleben in Ostindien durchgemacht hatten, und dabei ganz andere Feldsoldaten geworden waren wie diese vornehmen englischen Gardekavalleristen, so prächtig dieselben sonst auch aussehen mögen und so muthig sie sich bei Balaklava im vorigen Herbst geschlagen haben, was man ihnen nicht abstreiten kann, obgleich es mich eigentlich ärgert, daß ich ihnen solch Lob nachrühmen muß. Denn die Offiziere sind sonst verzweifelt hölzerne und hochmüthige Herren, die sich viel auf ihre vornehmen Namen und vollen Geldbeutel einzubilden scheinen, und zu denen wir Offiziere der Chasseurs d’Afrique daher nicht sonderlich paßten, wenn wir auch äußerlich ganz

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_134.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)