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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

unheimliche Dämmerung, durch welche die dahin ziehenden Eisblöcke und zersplitterten Gletscher wie Gespenster vorüber schleichen.

Das matte Grau der schnee- und regenbelasteten Wolken verhüllt die Sonne Tage lang, daß nur ein kaltes, ernstes Dämmerlicht sich über das empörte Meer ergießt, auf dessen dunkeln Wogen Eisberge auf- und abschwanken, indem an ihrem glatten Fuß eine wilde Brandung rauscht. Dazwischen schwimmen unabsehbar Eisfelder, deren meilenlange Schollen sich unbeholfen vorwärts bewegen, bis sie gegen einander stoßen und unter furchtbarem Krachen bersten. Hochauf schäumt das Meer und schnellt ein mächtiges Schollenstück empor, das mit dröhnendem Schlag auf die siegreiche Scholle niederstürzt, welche, von der Last getroffen, rauschend untertaucht und zertrümmert in weiter Strecke erst wieder erscheint. Nachdem die großen Schollen nach und nach zerbrochen und zerstückelt sind, aber immer noch Eismassen bilden, welche durch einen herzhaften Stoß ein Schiff zerquetschen können , folgen sie als Treibeis der Meeresströmung nach den Meeren Afrika’s und Amerika’s. Das Polarmeer selbst ist den Sommer über mit Treibeis bedeckt, zwischen dessen Schollen sich breitere Straßen offenen Wassers hinzuziehen pflegen, denen der kühne Polarsegler als den einzig gangbaren Fahrstraßen folgt und dabei immer Gefahr läuft, im Sturm oder in finsterer Nacht in das Treibeis zu gerathen, welches seine Schiffsplanken abstößt oder auch von ihnen eingeschlossen zu werden, da es nicht selten plötzlich wieder zu einem stehenden Eisfelde gefriert.

Die Schrecken der Polarfahrer sind indeß weniger die treibenden Eisschollen, als vielmehr die schwimmenden Eisberge, welche das Meer oft so weit bedecken, als das Auge reicht, und welche entweder ganze Gletscher oder Trümmer derselben sind. In jenen Gegenden fällt den größten Theil des Jahres hindurch nur Schnee, der sich daher zu ungeheuren Massen aufthürmt und durch seine Schwere zu glasartiger Festigkeit zusammenpresst, und in körniges Eis umbildet. Kommen nun im Sommer kalte Regengüsse, Schlossen und Hagel, so zehren die Regen an den Eismassen, durchfurchen deren Hänge im Herabfließen, bis die kleinen plätschernden Regen- und Thaubächlein urplötzlich gefrieren und in langen blinkenden Eiszacken, schwebenden Wasserfällen oder wie silberne Tropfsteingebilde von phantastischer Gestalt an den Eisbergen herabhängen. Hier bilden sie einen Säulengang, dort eine Höhle mit seltsamen Reliefbildern, und an andern Stellen schweben sie wie zerrissene Guirlanden herab. Jahrhunderte hindurch häufen sich diese Eis- und Schneemassen auf, mit denen Schichten gefrornen Regenwassers und ungeschmolzenen Hagels wechseln. Je höher aber der Schneeberg sich aufthürmt, um so gewaltiger drückt seine Wucht auf die untern Schneelagen, die dadurch zu festen Eismassen gepreßt werden. Denn die Gletscher bestehen nicht aus gefrornem Wasser, sondern aus gepreßten und von durchsickernden Regen oder Nebeln angefeuchteten Schneefeldern.

Aus diesem Grunde kann man es sich erklären, daß zahlreiche Eisberge aus dem Innern der Inseln des Südpolarmeeres aufragen, aus denen nur an den wenigen Stellen der schwarze Felsen wild und unheimlich an’s Tageslicht hervortritt, wo die Felswand so schroff aufsteigt, daß keine Schneeflocke an ihnen haften kann. Die Schneestürme treiben die ungeheuren Schneemassen des Polarwinters bald an dieser, bald an jener Felsenklippe auf, so daß die Oberfläche der Eis- und Felseninseln großer Veränderung unterworfen ist; am meisten ist dies jedoch an den Steilküsten der Fall. Denn hier bilden sich kolossale Schneehänge, ungeheure Schneeschirme und weit auf das Meereis hinausragende Schneezungen, die sehr bald in Gletscher übergehen, da das Meereis im Sommer nicht in allen Buchten aufgeht. Daher sind die Küsten meistens theils mit Eisbergen umsäumt, die oft seltsame Gestalten angenommen haben, da Stürme hier und da überhängende Eisstücken abrissen, Regenwasser tiefe Schluchten aushöhlten und die Erschütterung der Luft beim Krachen des Meereises Risse und Spalten in die starren Eismassen brachte. Meistens haben sie die Gestalt zerklüfteter, vorgelagerter Berge, und haben von den nagenden Nebeln, die im Sommer an ihnen hängen, eine weißgraue Farbe erhalten. Am Meeresufer selbst sinken sie schnell als senkrechte Wände mehrere hundert Fuß tief unter das Wasser hinab und ruhen entweder auf dem Meeresgrunde oder lassen sich vom Wasser tragen.

Wo nun solche Gletscher, die 100–1200 Fuß hoch zu sein pflegen, entweder bedeutend überhängen oder mit ihrem Fuße theilweise auf dem Meereise ruhen, kommen häufig Gletscherstürze vor, denn entweder verliert der Gletscher das Uebergewicht, wenn er lange genug Feuchtigkeit aus den Nebeln gesogen hat, oder die steigenden Meereswellen rütteln und schütteln Tag und Nacht so an dem Eisberg, daß er sich unter furchtbarem Krachen ganz oder theilweise losreißt, und in das Meer hinabschießt, so daß die Wellen thurmhoch empor schlagen. Taumelnd schwimmt er weiter, stößt an einen benachbarten Gletscher mit solcher Macht, daß auch dieser zersplittert und in die Tiefe stürzt, oder er begegnet einem andern schwimmenden Eisberge, und dann fahren beide Gletscher gegen einander, daß die Splitter oft 1000 Fuß weit fliegen.

Wenn die Gletscher des südlichen Eismeeres im Allgemeinen alle Eigenschaften der Gebirgs- und Nordpolargletscher theilen, so ist ihnen doch die wall- und bankartige Gletscherbildung eigenthümlich. Selbst in gemäßigten Breiten begegnet der Schiffer oft schwimmenden Eisstücken von tafelförmiger Oberfläche, welche ein geschichtetes Aussehen haben, 120–180 Fuß hoch sind und nicht selten den Umfang von einer Viertelstunde erreichen. Gewöhnlich sind sie sehr morsch und rings um sie schwimmen losgebrochene Eisstücken. Sie stammen von jenem berühmten Eiswall (Eisbank), welcher die kühnen Südpolarfahrer stets zur Umkehr zwang, und der im Winter bei wechselnder Temperatur von meilenlangen Spalten zerrissen wird, so daß im Frühjahr jene losgesprengten Massen vom Meere fortgeführt werden. Er liegt auf der Ostseite des vermutheten Südpolarlandes, und zieht sich als schroffe 150 bis 200 Fuß hohe Wand nach Osten hinaus, umgeben von schwimmenden Eisstücken. Tage lang segelten die muthigen Polfahrer den Eiswall entlang, konnten aber dessen Ende nicht erreichen.

Oede und leblos sind die ungeheuren Räume des Südpolarmeers, welches so von mikroskopischen Algen (Diatomeen) angefüllt ist, daß es ihnen seine braune Farbe verdankt: um so ungehemmter und großartiger wirken hier die physikalischen Naturgewalten, indem Eis und Fels einen endlosen Vernichtungskampf führen. Der Naturforscher findet daher in diesen öden Gegenden manchen Aufschluß über die Geschichte der Erde selbst, die hier in Gletschern, Steinblöcken, Meerschlamm, Steinkohlenlagern, Lava und Bimssteinen aufgeschrieben ist. Werfen wir daher auch einen Blick in diese bunte Chronik der Erde!

Nur an wenigen Inseln konnte man wegen des Treibeises und der Gletscherklippen landen, doch weiß man von Neu-Südshetland, daß es große Steinkohlenlager enthält. Welche Umwandlungen sind hier also vorgegangen, daß ewiges Eis auf jenen Inseln lastet, auf denen vor undenklichen Zeiten ein tropischer Urwald wucherte, dessen Palmen ihre Laubkronen in sanftem Windzuge wiegten, neben denen riesige Farrn und baumhohe Bärlappe ihren gereiften Schaft mit den weitreichenden Zweigen und den fein gefiederten Blättern rauschen ließen! Müssen wir uns nicht Zeiten vorstellen, in denen es auf der ganzen Erde nur ein feuchtwarmes Tropenklima gab, wo Schneeflocken unbekannte Dinge waren, und tropische Gewitterstürme da tobten, wo jetzt von den kühlen Sommerlüften Gletscher krachen und Schneefelder kaum zu thauen anfangen? Die Vulkane, deren man mehrere hat Flammen ausstoßen sehen, so wie die zahlreichen vulkanischen Gesteine, welche an allen kahlen Stellen sichtbar werden, bezeugen die ungeheuren Revolutionen, die vor Zeiten in diesen verlassenen Wildnissen getobt, Inseln versenkt und emporgehoben, Berge zertrümmert und lange Höhenketten aufgethürmt haben. Obschon kein Menschenauge jene Vulkane länger als im Vorüberfahren beobachtet hat, so darf man doch vermuthen, daß die großen Veränderungen, welche die wenigen Südpolarfahrer fanden, den Vulkanen zuzuschreiben sind. Denn wenn diese Vulkane anfangen zu toben, die Felsen bis in ihre Wurzeln erbeben machen und schütteln, dann bersten die Gletscher, fahren in Trümmern auseinander, weite Schnee- und Firnfelder werden von der Hitze der Lava in reißende Wasserströme verwandelt. Wieder eisbedeckte Buchten kochen und dampfen von tausend heißen Wassern, die von den Bergen in rauchenden Wasserfällen niederstürzen. Dann wiederholen sich jene schauerlich großartigen Scenen, wie sie Island öfter sah, wenn Feuer mit Eis, heiße Lava mit Schnee und brennende Lavaströme in rother Glut zischend in’s Meer hinabsteigen.

Wie die Gletscher der Alpen tragen auch die der Südpolarinseln Steinblöcke, Geröll und Schutt hinab in’s Meer, sobald die Lage der Gletscher der Art ist, daß die losgebrochenen Steinblöcke der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_138.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)