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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Bundesgenossen finden und gern, wie man mich an die Spitze des Rathes gestellt, werde ich auch an der Spitze des Heeres stehen, sobald es ausbricht.“

Dieser Entschluß kam nicht so ganz aus des Bürgermeisters Seele — aber hoffärtig und herrschsüchtig wie er war, konnte er es nicht ertragen sich einem Andern unterordnen zu müssen — und da er die Wahl eines Heerführers nicht beschränken konnte, nicht gewiß wußte, ob eine ihm unterwürfige Kreatur zu diesem wichtigen Posten berufen werden würde, sondern ihm vielleicht ein gefährlicher Nebenbuhler erwüchse, so stellte er sich, wie nur das Wort „Krieg“ ausgesprochen ward, als kühnen Feldherrn dar, und indem er der Erste war, der nach dem Schwerte griff, hoffte er auch, der Kommandostab werde ihm nicht entgehen.

Nach allen Seiten sendete man Boten und Botschaft. Lübeck hatte zuerst den Krieg beschlossen und mit ihm rüstete sich Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswalde, Anklam, Stettin und Kolberg. Die Könige von Schweden und Norwegen, Graf Heinrich von Holstein und Herzog Heinrich von Mecklenburg traten dem Bündniß bei. Dazu bewilligten die preußischen Städte einen Pfundzoll und der Krieg ward gegen Waldemar erklärt. Bald war eine ansehnliche Streitmacht beisammen — das Heer der verbündeten Fürsten befehligte der Graf von Holstein, das der Hansa, der Bürgermeister Johann Wittenborg.

Dies Alles war wohl angeregt worden durch den einen Tag von Wisby, aber Wochen und Monate vergingen, eh’ diese Bündnisse geschlossen wurden und diese Beschlüsse zur Ausführung kamen.

Diese Zwischenzeit benutzte Bertram mehr und mehr, in den Bürgermeister zu dringen, daß er ihm die Tochter verlobe, ja daß er auch die Hochzeit beschleunige, damit sie als seine Gattin einen sichern Schutz in seinem Hause finde, indeß der Vater in den Krieg ziehe. Denn Bertram zu feig, um sich an irgend einer Unternehmung zu betheiligen, bei der Gefahr war, rüstete wohl seine Schiffe aus und entbot alle seine Leute den Zug wider die Dänen mitzumachen — aber er wußte es als nothwendig darzustellen, daß er daheim in Lübeck bliebe, indeß das Amt des Bürgermeisters zu verwalten und über die Stadt zu wachen. Ja, er besaß Gewandtheit genug, es seinen Mitbürgern als ein Opfer darzustellen, wenn er in ihren Mauern bliebe und auf die Lorbeeren des Krieges verzichte. Der Bürgermeister gab seinen Bitten nur zu leicht Gehör, er theilte seine Wünsche — bei Katharinen ließ er keine Vorstellung unversucht, doch vermochte er nicht gegen die einzige Tochter tyrannisch zu verfahren und ihren Thränen zu widerstehen Er versicherte ihr, daß er nur dann ruhig in den Krieg ziehen und dem möglichen Tod in’s Auge sehen könnte, wenn er sie als Bertram’s Gattin wisse — und während sie stark gewesen gegen zornige Drohungen, wußte sie oft nicht, wie sie das väterliche Flehen zurückweisen sollte, den einzigen und letzten Wunsch, den er Angesichts eines Abschiedes, vielleicht für ewig als denjenigen ausstellte, der ihm Alles leicht machen würde: Leben wie Sterben. Nur jetzt flehte sie, Angesichts dieser trüben Zeit solle er sie mit dem Hochzeitfeste verschonen, ein Frevel sei es ihr am deutschen Namen und an deutscher Ehre, jetzt an Persönliches zu denken und gar ein fröhlich Fest zu feiern — und daß Bertram dies nur wollen könne, erniedrige ihn immer mehr in ihren Augen! Solch' ein Grund drang bei dem stolzen Bürgermeister durch: die Tochter sollte nicht seinen Patriotismus beschämen.

„Aber wenn ich bleibe, wirst Du sein Weib!“ sprach er, — und nahm ihr Weinen für Zustimmung. Nur die Bedingung erfüllte er: daß Bertram versprechen mußte, sich indeß ihr nicht zu nähern, da es für eine ehrbare Jungfrau sich nicht geziemen wolle, daß in der Abwesenheit ihres Vaters ein Mann das Haus betrete.

Mit ihrer alten Wirthschafterin Elsa wollte sie indeß ganz zurückgezogen wie eine Gefangene leben. Und um des guten Rufes seiner Braut willen, da er auf die äußere Sitte vor der Welt das Meiste hielt, willigte Bertram auch in diese harte Bedingung. Lag doch seine Wohnung gegenüber und konnte er von seinem Fenster aus die Hausthür des Bürgermeisters hüten und sorgfältig controliren, wer dadurch aus- und einging. Aber freilich bis zu der hinteren Gartenmauer reichte weder sein Blick noch sein Argwohn. Er ahnte nicht, daß am Abend, bevor die Mannschaft der Flotte sich einschiffte und diese die Anker lichtete sein Comptoirist Wieringer über diese Gartenmauer kletterte und die stolzeste keuscheste Jungfrau Lübecks, die mit edlem Zürnen der leisesten Berührung von Bertram’s Hand sich entzog, dort den armen Jüngling erwartete und zärtlich in seine Arme sank.

Der Gott der Liebe schützte die Liebenden vor Argwohn und Entdeckung!

„Es ist zum letzten Male auf lange Zeit, daß ich Dich in meinen Armen halte!“ flüsterte Erich, „und doch überwiegt der Schmerz der Trennung den Gedanken, daß ich jetzt die Möglichkeit vor mir sehe, statt ein Diener eklen Krämersinnes zu sein und zu bleiben, nun für deutsche Ehre mein Leben einsetzen darf und außer oder durch den Lorbeer der Schlacht noch einen schönern Preis mir erringen kann. Vielleicht gelingt es mir eine Heldenthat zu thun, die mir ein besseres Loos erwirbt als mir bisher gefallen, und indeß der arme Comptoirist es nicht wagen konnte um Dich zu werben, darf es ein Held der Hansa! An dem Tage, da wir die Sehreckenskunde von Wisby erhielten, war das Vaterland mein erster Gedanke — mein zweiter warst Du und daß es nun Thaten geben würde, um Dich zu verdienen, zu erkämpfen! O weihe mich zu diesem Kampf!“ und er sank begeistert vor Katharina an das Knie. —

Sie knüpfte ihm eine Schärpe um, himmelblau und gold: „Ich habe Monate daran für Dich gestickt,“ sagte sie lächelnd,„ es sollte ein Wamms werden, aber nun ist die Schärpe des Kriegers daraus geworden — möge sie Dich schützen und schirmen; Dich begeistern, wie bei der Arbeit die Liebe mich begeisterte!“ Sie strich das hellgoldne Haar aus seiner Stirn und küßte diese.

Thränen der Wonne traten in seine Augen: „Nun bin ich gefeit!“ rief er triumphirend und küßte dankend die kleinen Hände, die so emsig für ihn gearbeitet.

Dann weilten sie noch lange beisammen mit süßem Kosen, und da sie scheiden mußten, trösteten sie einander Beide mit dem heiligen Trost jeder hohen Liebe: daß ein Gefühl wie das ihre von Gott in ihre Herzen gesenkt, von ihm beschützt auch endlich zu einem herrlichen Ziel geführt werden müsse, und daß jede Prüfung und Sorge und Trennung nur dazu diene, die künftige Seligkeit zu erhöhen. Sie schwor ihm beim letzten langen Kuß sein „starkes Mädchen“ zu bleiben, wie heftig die zarte Gestalt auch dabei in seinen Armen zitterte und er schwor ihr als ein würdiger Held heimzukehren — und hatte doch eine Thräne im Auge, da er gewaltsam sich von ihr losriß.

Am andern Morgen sah Katharina auch den Vater tief bewegt scheiden — und da die Flotte absegelte, die ihr die beiden theuersten Menschen entführte, stand sie auf dem höchsten Balken ihres Hauses, sandte mit einem weißen Tuch ihnen Grüße zu und heiße Gebete für ihre glückliche Fahrt und Heimkehr zum Himmel empor.

III.

Eine stille Zeit war Katharinen vergangen. Endlich hörte man in Lübeck die Siegeskunde, daß die Hansaflotte die Inseln Oeland und Gothland wieder erobert, bald die noch freudigere, daß sie auch die dänische Flotte geschlagen und der Befehlshaber derselben, der dänische Prinz Christoph, das Leben verloren und daß die Wegnahme des Fahrzeugs, von dem aus er befehligte, der Heldenthat eines Jünglings Namens Erich Wieringer zu danken sei, der zuerst und zu rechter Zeit auf das Schiff gesprungen. Wie jauchzte Katharina über diese Kunde, daß der Geliebte so schnell sein Wort gelöst! Wie dankte sie dem Himmel dafür, wie für die Erhaltung ihres Vaters und seine siegreiche Führung!

Jetzt kreuzten die Schiffe an der dänischen Küste und wollten dort ihre Truppen landen. Bald kam die Nachricht, daß auch diese Landung siegreich bewerkstelligt. Der allgemeine Jubel in Lübeck kannte keine Grenzen! Man fühlte sich doppelt stolz über diesen Sieg der deutschen Waffen, da ja der Bürgermeister von Lübeck der Befehlshaber war. Der Name Johann Wittenborg klang aus allen Zungen und die Bürgerschaft dachte bereits darüber nach, mit welchen Ehren sie ihn bei seiner Rückkehr empfangen wollte.

Da lief eines Tages die Nachricht durch die Stadt: es wären lübeckische Kriegsschiffe in Sicht mit geknickten Masten und zerrissenen Tauen — man wußte nicht was man davon denken sollte, endlich kamen sie näher und näher und da das erste landete, vernahm man die Schreckenskunde: diese Schiffe waren

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