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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Soltau an seiner Seite vor den Schranken der Justiz erscheine, die den Verbrechern das Urtheil spricht. Wollen Sie noch, mein Herr, daß ich schweige?“

Der Banquier erblaßte; aber er war stark genug, seine Fassung zu bewahren. Rasch trat er mit dem Advokaten hinter den Pfeiler, dann sagte er mit vor innerer Aufregung halb erstickter Stimme:

„Herr Advokat, ich werde Sie hören; aber jedes Ihrer Worte, das meine Frau beleidigt, haben Sie zu vertreten.“

„Dazu bin ich erbötig!“ rief Eberhardi. „Also hören Sie mich an: Sie haben mich in dem Verdachte, Ihnen gestern Abend einen nachgemachten, falschen Ring überreicht zu haben? Nun gut, so muß ich Ihnen sagen, wie ich in den Besitz dieses Ringes gekommen bin. Vor ungefähr acht Tagen, Abends gegen sieben Uhr, führte mich ein Geschäft in ein Haus der Polstraße, das von Leuten bewohnt wird, über deren Erwerb selbst unsere Polizei nicht im Klaren ist. Ein Advokat darf sich nicht scheuen, auch mit solchen Leuten in Berührung zu kommen.“

„Fassen Sie sich kurz, mein Herr!“,

„Als ich nach beendetem Geschäfte aus der Thür dieses Hauses treten will, kommt athemlos eine Frau an und fragt mich: mein Herr, trägt dieses Haus die Nummer 50? Ich bejahete es. Sie dankte, und betrat die dunkele Hausflur. Gleich darauf höre ich einen leichten Schrei – ich eile zurück, und finde die Frau halb ohnmächtig neben der Treppe; sie hatte sich ohne Zweifel heftig an das Geländer gestoßen, das sie in der Finsterniß nicht sehen konnte. Fast weinend bat sie mich, ich möchte sie die steilen Treppen zum dritten Stocke hinanführen, da sie voraussetze, daß ich in dem Hause bekannt sei. Mitleidig ergriff ich die Hand der bescheiden gekleideten Frau, und zog sie die steile, finstere Treppe hinan. Im ersten Stocke kommt ein Mädchen mit Licht – die Neugierde, welche die kleine, zarte Hand erregt, trieb mich an, meinem Schützlinge in das Gesicht zu sehen – die schwarze Kaputze bedeckte einen wahren Engelskopf. Erröthend wandte sie sich ab, dankte für den geleisteten Dienst, entzog ihre Hand der meinigen, und bat das Mädchen, es möge ihr gegen einen guten Lohn voranleuchten. Beide verschwanden auf der Treppe zum zweiten Stocke. Gleich darauf hörte ich sie die dritte Treppe ersteigen. Das schöne Gesicht hatte auf mich einen um so größern Eindruck ausgeübt, da mir schien, als ob mir die Züge desselben bekannt wären. Offenbar gehörte die Frau einem Kreise an, der den Bewohnern dieses Hauses fern lag. Ich beschloß, ihre Rückkehr zu erwarten, und stieg die Treppe hinab. Nach einer Viertelstunde höre ich Schritte, und meine Schöne kommt die Treppe herab. Ein Mann im Schlafrocke bleibt auf der Mitte der Treppe stehen, um ihr zu leuchten. Von meinem Verstecke aus konnte ich deutlich sein Gesicht beobachten, das sich in dem Lichtkreise der Kerze befand. „Gute Nacht!“ rief sie noch einmal zurück. „Gute Nacht, meine theure Henriette!“ antwortete die Baßstimme des Mannes, der nun mit dem Lichte verschwand. Henriette wollte auf die Straße treten – eine wahre Sündfluth strömte vom Himmel herab. Seufzend blieb sie auf der Schwelle stehen. Ich bot ihr zum zweiten Male meine Dienste an. „Rufen Sie mir jenen Fiaker herbei, der vorüberfährt!“ bat sie mit einer himmlischen Stimme. Nach einer Minute hielt der Fiaker vor dem Hause. Die junge Frau befahl dem Kutscher, sie an die Ecke der W.straße zu fahren. Bereitwillig öffnete ich den Wagenschlag, ergriff ihre Hand und half ihr einsteigen. Sie war so eifrig bemüht, ihr Gesicht vor dem Scheine der Straßenlaterne zu verbergen, daß sie mir hastig ihre Hand entzog, die Kaputze niederriß, leichtfüßig in den Wagen sprang, und die Thür hinter sich zuschlug. Der Fiaker rasselte davon. Ich blieb zwar zurück, hatte aber nicht nur ihr Gesicht noch einmal deutlich gesehen, sondern hielt auch einen Ring in meiner Hand, der sich von ihrem Finger gestreift hatte. Am folgenden Tage hielt ich Nachfrage in dem Hause – man wollte weder von einem Manne im Schlafrocke, noch von einer jungen Frau etwas wissen. Ich mußte also den Ring behalten, dessen Werth ein Juwelier auf tausend Mark schätzte. Gestern Abend erkannte ich in Madame Soltau die Besitzerin des werthvollen Ringes – sie weigerte sich, ihn anzunehmen, und ich bot ihn ihrem Gatten an. Da erschien ein anderer Ballgast, um mich zu beleidigen. Man nannte ihn auf dem Balle den Kapitain Belling; ich aber erkannte in ihm den Mann im Schlafrocke. Das Criminalgericht wird auf die mir zugefügte Beleidigung Antwort geben. Und Sie, Herr Soltau, müssen am Besten wissen, ob Ihre Frau falsche Steine im Ringe trägt.“

Jeder Andere würde dem Advokaten mit derselben Aufmerksamkeit zugehört haben, wie unser Banquier: aber des Gatten Henriette’s mußte sich ein hohes Erstaunen bemächtigen. Jetzt zeigte sich Soltau’s Charakter: die Erzählung versetzte ihn mehr in Erstaunen, als daß sie ihn niedergeschlagen machte. Hier galt es zu unterscheiden und zu richten, und zwar über eine angebetete Frau. Aber er war immer noch mehr Liebhaber als Ehemann, und in dem Chaos von Gedanken, das seinen Kopf durchtobte, hörte er deutlich eine Stimme, die ihm zurief: sie kann nicht lügen, und warum auch sollte sie dich hintergehen?

„Mein Herr,“ sagte er nach einer Pause, „ich habe bereits Gelegenheit gehabt, die echten Diamanten meiner Frau von den unechten jener Person zu unterscheiden, der Sie den Dienst geleistet haben. Sie irren sich, denn als ich den von Ihnen empfangenen Ring zeigte, brachte mir meine Gattin den ihrigen. Einen schlagernden Beweis kann es nicht geben. Ihre Angelegenheit mit dem Kapitain Belling kümmert mich nicht; wollen Sie aber durchaus einen Criminalproceß einleiten, so werde ich mit beiden Ringen vor den Schranken erscheinen, und es wird nicht schwer sein, den Fälscher zu ermitteln. Für Ihre Mittheilungen danke ich Ihnen nicht, denn sie sind eben so falsch wie Ihre Diamanten. Denken Sie an Ihren Bruder, der heute noch bereuet, mich in meiner Gattin beleidigt zu haben!“

Er wandte dem Advokaten verachtend den Rücken und verließ die Börse. Nun suchte er den Juwelier auf, der in einer der angrenzenden Straßen wohnte. Er traf den Mann in seinem Laden. Ohne Umschweife fragte er nach dem Besteller des Ringes. Der Juwelier sah ihn verwundert an.

„Herr Soltau selbst hat mir Auftrag zu der Arbeit gegeben,“ war die Antwort.

„Ich selbst? Seit einem Jahre habe ich Ihren Laden nicht betreten. Wir sahen uns das letzte Mal, als ich den echten Ring bei Ihnen bestellte.“

„Ganz recht, Herr Soltau; den zweiten Ring haben Sie brieflich bei mir bestellt.“

„Ich bitte, zeigen Sie mir den Brief.“

Der Juwelier holte ihn aus seinem Schreibpulte hervor. Mit Erstaunen sah der Banquier, daß seine Handschrift täuschend nachgeahmt war. Hätte er nicht genau gewußt, daß er die Bestellung nicht gemacht, er würde die Schriftzüge für seine eigenen gehalten haben. Selbst die Unterschrift war wie von seiner eigenen Hand.

„Sie sehen,“ sagte der Juwelier, „daß ich in Ihrem Auftrage die Arbeit geliefert habe. Es war mir nicht nur Ihre Handschrift bekannt, sondern auch die Bezugnahme auf die Zeichnung, die Sie mir vor zehn Monaten selbst eingehändigt, mußte mich in dem Glauben bestärken, daß Sie der Auftraggeber seien. Der Schreiber des Briefs spricht von einem Scherze und fordert den Ring so rasch als möglich – einen so theuern Scherz kann sich nur ein reicher Mann erlauben, denn die imitirten Diamanten stehen ziemlich hoch im Preise.“

„Wer brachte den Brief?“

„Ein junger Mann, den ich für Ihren Commis hielt. Derselbe Bote holte den Ring ab, und bezahlte zweihundertfunfzig Mark. Hat man Ihnen vielleicht den Ring mit den echten Steinen betrügerisch vertauscht?“

An einen solchen Betrug konnte Soltau nicht glauben, wohl aber an einen andern.

„Nein,“ antwortete er zerstreut, „das ist es nicht; aber der Scherz ist doch ein wenig kühn. Lassen Sie mir den Brief – ich werde den Schreiber warnen, daß er seine Kunst nicht zum zweiten Male versucht. Noch Eins: würden Sie den Boten wieder erkennen, wenn Sie ihn sehen?“

„Ich glaube, Herr Soltau!“

„Sprechen Sie nicht über die Sache, ich werde sie vorläufig als Scherz nehmen.“

Der Juwelier versprach es.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_224.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)