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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

den Gebrauch Menschen verschlechtert, nämlich mit der Trommel. Wenn Jemand krank ist und Hülfe verlangt, wird zur Frau Doctorin geschickt, welche sich mit ihrer Trommel einstellt, sie dem Kranken an’s Ohr hält und nun lostrommelt und dazu Beschwörungsformeln summt, bis der böse Geist der Krankheit vertrieben und der gute der Gesundheit wieder Monarch ist im Körper. Was sie thun, wenn sich der böse Geist nicht austrommeln läßt, wird nicht gesagt. Wahrscheinlich begraben sie ihn mit sammt dem Todten. (Uebrigens ist diese Austrommelungsmethode noch lange nicht so schlimm als unsere alte Brech-, Purgir-, Blutegel-, Aderlaß- und Bullen-Praxis.)

Der buddhistische Religionskultus wird in dunkeln, dick mit Teppichen belegten, mit hölzernen Figuren, Zeichen und Götzen ausstaffirten Tempeln prakticirt. Die schweigende, schleichende Dunkelheit wirkt schauerlich durch die dämmernden Fratzen und betäubende Räucherung auf den Altären, vermischt mit Geruch von Fischen, welche die Gläubigen täglich den hungrigen Götzen (die ihre Magen in den Priestern haben) darbringen.

Das sind einige zusammengedrängte Beobachtungen, welche die Engländer während ihres Spaziergangs durch Hakodadi machten. Doch beschränkten sich nicht Alle auf die Stadt. Einige fuhren auf einem Flusse tief in’s Land hinein und stiegen in einer lachenden, kultivirten Gegend aus, mit schönen, auf beiden Seiten umblühten und lebendig umhegten Straßen, kleinen Bächen an Hecken entlang, in üppiger Vegetation nistenden Hütten und Häusern und nackten Kindern davor und schelmisch hinter Gebüsch hervorblickenden, rothwangigen Bauermädchen und freundlichen Bauern mit Strohsandalen und langen grauen Kitteln, struppigen, trotzigen, umherweidenden Pony’s und Behäbigkeit und Heiterkeit von allen Ecken und Enden. Die plumpen, rothwangigen Leute schienen den Fremden gern entgegenkommen zu wollen; aber die liebe Polizei winkte auch dieser natürlichsten Neigung zum Kosmopolitismus ein gebieterisches „Zurück“ entgegen. Indessen werden die Engländer binnen zehn Jahren bequemer und ungeschorner in Japan umherfahren, reiten, laufen, liefern und zulangen können als in dem vertragsmäßig befreundetsten Nachbarstaate und in abendländischen Staaten überhaupt, die, stolz auf ihre „Intelligenz,“ doch nicht wagen, den unschuldigsten Menschen ohne Paß und Legitimation, Sitten- und Pockenimpfungsschein für sein Geld laufen oder fahren zu lassen.




Sprache und Musik in der Natur.
Dritter Artikel.
Die Ausdrucksweise der verschiedenen Thiere. – Das Lamm und das Pferd. – Ein Katzenconcert. – Orgelspiele mit Katzen und Schweinen. – Der Hund als größtes Sprachgenie unter Thieren. – Die Dichter des Waldes. – Die Musikorgane der Vögel. – Ein Waldconcert. – Truthahn und Schwan. – Der Hahn und sein Harem. – Raben, Saatkrähen und Papageien.

Die Art und Weise, wie sich lebendige Wesen unter dem Himmel, in der Luft, auf und unter der Erde äußern, ihre Freuden und Schmerzen laut werden lassen, Andern mittheilen oder um ihrer selbst willen ausschreien, bildet eine so vielstufige Tonleiter, die wie die geträumte Jacob’s wirklich bis in den Himmel reicht. Die Phantasie mag selbst Engel darauf auf- und niedersteigen lassen. „Die jungen Löwen brüllen nach ihrer Beute und suchen ihr Fleisch von Gott. Und er vernimmt ihre Stimme und stillt deren Hunger.“ Freilich so energisch wissen nur wenige Thiere ihre Petitionen dem Himmel vorzutragen, wie der Löwe. Bekanntlich weiß er sich auch selbst Fleisch zu verschaffen, wenn der Himmel es ihm nicht zuschickt. Das Gebrüll ist fürchterlich, hat aber nur einen sehr einfachen Sinn. Ueberhaupt kann man den Mammalien oder Säugethieren nur selten eigentliche articulirte Töne, vocalisirte Sprache abhorchen; wenigstens haben sie fast stets nur verdorbene und verquetschte Vocale, wie die Engländer. In Ton und Mannigfaltigkeit des Ausdrucks den Insekten und Reptilien weit überlegen, halten die Säugethiere doch mit dem wortkargsten Vogel keinen Vergleich aus. Die Vierfüßler schreien in der Regel nur aus Schmerz und Hunger. Kaninchen, Hasen und dergleichen Geschöpfe aus der Familie „Lampe“ kreischen nur auf, wenn man sie bei den Ohren nimmt oder der Hund ihnen Zahnschmerzen verursacht, und in höchster Gefahr hat selbst der niedrige, gemeine Maulwurf ein feiges Grunzen. Der brasilianische Maulwurf quiekt je vier Mal rasch hinter einander durch die Nase, was Leute, die mit diesen unterirdischen Flötentönen nicht vertraut sind, sehr in Verlegenheit setzt. Nur der schlaue Indianer erkennt genau die Stelle, von wo die unterirdischen Töne kommen und fängt sich deshalb sicher seinen „Tucutuco.“ Aber von diesen schwachen, unbestimmten Pressungen kleiner Lungen, von dem ungeschlachteten Grunzen des Schweines bis zu dem lustübermüthigen Bellen des Hundes oder dem herzrührenden Klageton des Kameels, welch’ eine Stufenleiter von Tönen blos zwischen zwei Sprossen der Hauptleiter! Die Schweine- und ähnliche niedrige Thiersprache hat keine Consonanten, wie jeder blos elementare Ton ebenfalls blos auf die Vocale deutet. Consonanten sind in der Thier- wie Menschensprache Noten höherer Entwickelung und individueller Stimmungen.

Deshalb ist auch die englische Sprache, obgleich aus zwei sehr gebildeten Sprachen combinirt, und deshalb, an sich reich, geistig und für Ausdruck feinerer, tieferer psychologischer und individueller Stimmungen und Gefühle sehr arm, ihres Reizes und ihres Reichthums durch die Engländer beraubt worden, weil sie alle nicht unbedingt nöthigen Consonanten in der Aussprache vernachlässigt oder ganz weggeworfen, und nur die Vocale, aber auch diese verquetscht und zwischen die natürlichen sechs Vocalstufen hinein corrumpirt, übrig gelassen haben. Die Consonanten gingen ihnen verloren, weil sie den Geist dazu verloren; sie verloren den Geist dazu, weil sich die englische Kultur immer mehr zum Geldmachen, zur Eroberung und Behauptung von Reichthum und Rang gebrauchen ließ, und in der bisherigen Richtung, zumal durch den Einfluß des Goldes in Australien und Californien, alle Reste von Geist, Gemüth, Individualität und Menschenwürde verlieren muß.

Die Consonantenlosigkeit in der Sprache der Thiere, das für unsere Ohren unbestimmte Gebrüll und Geblöke unserer Hausvierfüßler schließt aber nicht bestimmten Ausdruck und Individualität aus. Das Lämmchen findet seine Mutter bald aus Tausenden blökender Schafe heraus. Welch’ einen Reichthum von Nüancen hat demnach die Natur in die einzige, nicht sehr melodische Note der Schafmutter gelegt! Das Pferd hat blos Laute für bestimmte Leidenschaften und Schmerzen. An seinem Wiehern tritt übrigens die Erziehung ganz besonders entschieden hervor. Es findet mit guter Schule und Behandlung immer mehr Modulationen und Variationen für seine kultivirten Stimmungen und Gefühle. Das wilde Pferd der Steppen und Prairien wiehert blos schrill eintönig. Wie sanft und zart wiehert das fein erzogene Roß unter den Liebkosungen seines Meisters! Die Stimme des sterbenden Kulturpferdes wird nie von Denen vergessen, die in der reißenden Fluth oder zwischen dem Gebrüll der Kanonen auf dem Schlachtfelde Zeuge seines Todes waren. Der schrille Trompetenton, mit welchem das freie Pferd in der Wuth der Leidenschaft einen Nebenbuhler und Feind angreift, klingt schreckenerregend, zumal wenn man dazu die starre Mähne und den glühenden, glotzenden Zorn seines Auges sieht.

Die Sprache und die Musik der Katzen kennt Jeder in schrecklicher Erinnerung an stille Mitternächte, als sie ihn aus dem Schlafe gesungen. Aber sie verlieren das Entsetzliche und werden oft bis zum unsterblichen Göttergelächter komisch, wenn man sie concertiren sieht. Mit welcher Gravität und Majestät sitzt der tapferste und schönste Hinz in der Mitte einer bewundernden Anzahl von Schönen! Er zieht feierlich einen tiefen Ton durch verschiedene Grade von Verstimmung hindurch und schielt dazu fürchterlich, als wollte er Knoten in die Augen knüpfen. Die um ihn sitzenden Damen setzen zu verschiedenen Zeiten ihre Alt- und Discantmißtöne ein. Eine ärgert sich über die andere, wie das Primadonnen immer thun: die Fuge der Eifersucht und Rivalität wird immer wilder, menschenrasendmachender, steinerweichender; immer weiter reißen sie die bärtigen Schnauzen auf und immer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_292.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2019)