Seite:Die Gartenlaube (1856) 298.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ihnen, selbst Maria Theresia ließ sich täglich Bericht erstatten über die neuen Kuren, welche Mesmer in einem Zeitraume von wenigen Tagen an Schwerleidenden bewirkt hatte, und wenn ihre beiden Leibärzte van Swieten und Störk in allem stürmischen Zorn sie beschworen, diesem Unwesen ein Ende zu machen, und dem „Betrüger und Charlatan“ sein ferneres Treiben und Practiciren zu untersagen, so wiegte die Kaiserin sinnend ihr Haupt, und erwiederte die Anschuldigungen der gelehrten Herren mit einem festen und entschiedenen „Nein!“

„Wollen’s abwarten,“ sagte sie, „was der Mann thut und zu Stande bringt. Seine Kurarten sind nicht gefährlich, weil er den Leuten nichts eingiebt, und mit dem Auflegen seiner Hand wird er sie nimmer vergiften können, wie es mancher Arzt schon mit einer übel gewählten Arznei gethan, mit dem Anblicken seiner Augen wird er sie nicht tödten, während es wohl schon passirt ist, daß andere Aerzte mit, Aderlässen und Blutentziehungen ihre Kranken getödtet haben. Laßt mir also den Mann in Ruhe, denn so lange er nichts Böses thut, soll er unangefochten hier in Wien bleiben und seine Kunst ausüben dürfen! Hat sich ja jetzt selber eine Probe auferlegt, die beweisen muß, ob er ein Betrüger ist oder ein Mann Gottes. Wenn er meine kleine Schutzbefohlene, das blinde Fräulein von Paradies, sehend macht, dann werde ich an ihn glauben, und ihn einen Wundermann nennen, und wehe dann Euch Allen, wenn Ihr es noch ferner wagt, ihn zu lästern. Ich werde dem Mesmer mehr glauben, als all’ Eurer Gelahrtheit, denn wer die Blinden sehend macht, ist in Wahrheit der Arzt Gottes! Seid also ruhig und wartet es ab, ob es dem Mesmer gelingt, das blinde Fräulein Therese von Paradies wieder sehend zu machen.“

Das also war es, worauf jetzt alle Welt gespannt war, das war es, was alle Gemüther beschäftigte: die Kur, welche Mesmer mit dem Fräulein von Paradies begonnen und, von der er behauptet, daß sie zu einer Heilung führen werde.

Ganz Wien kannte dieses junge blinde Mädchen. Ganz Wien wußte, daß sie in ihrem zweiten Lebensjahre, in Folge zurückgetretener Masern, erblindet sei, und daß seitdem die Nacht, welche sie umgab, niemals durch einen Lichtstrahl unterbrochen worden. Ganz Wien liebte dieses junge Mädchen, in dessen Seele die allmächtige und allgütige Natur ein anderes, als das Licht der Sonne aufleuchten ließ, dem sie als Ersatz für ihre blinden Augen die Weihe der Kunst verliehen, dem sie es gegeben, Gott zu schauen nicht in der Natur, aber in der Musik. Wenn Therese von Paradies am Klavier saß, wenn ihre Hände mit schwindelnder Schnelligkeit über die Tasten hinglitten oder ihnen langsame volle Accorde entlockten, wenn sie mit ruhigster Sicherheit die schwierigsten Concertstücke spielte, welche die größten Virtuosen jener Zeit nur nach langer Uebung, nach langem Einprägen der Noten erlernt, von denen Therese aber sich nur zwei Mal die Noten vorlesen ließ, um sie alsdann ohne Anstoß spielen zu können, wenn sie, eine vollendete Virtuosin, öffentliche Concerte gab, in denen sie das Publikum entzückte durch so wundervolles Spiel, dann hätte Niemand glauben sollen, daß dieses reizende junge Mädchen mit den großen glänzenden Augen doch eine Blinde sei. Es leuchtete so viel Geist und Gefühl von diesem reinen, unschuldigen Angesicht, ihre Züge waren von einer so wunderbaren Beweglichkeit, ihre Augen schienen, wenn sie lachte, aufzublitzen in Freude, sie schienen umdüstert und traurig, wenn sie ernst war. Und dennoch war Therese von Paradies wirklich blind; aber es leuchtete eine glühende Seele von diesem Angesicht, und diese Seele war es, welche ihren Augen das Licht gab, das die Natur ihnen versagt hatte.




I.
Therese von Paradies.

Therese von Paradies war in ihrem Zimmer; ihre Mutter war bei ihr, und mit Hülfe derselben hatte die Kammerjungser eben den Anzug ihrer jungen Herrin vollendet. Therese war heute in einer besonders gewählten und glänzenden Toilette, und sie selber schien große Freude an derselben zu haben.

„Sage mir, Mutter,“ fragte sie jetzt, nachdem ihr Anzug vollendet war, „sage mir, von welchem Stoff ist doch dies Kleid, das so wunderbar weich und glatt ist, wie ein Menschenangesicht und sich so dem Körper anschmiegt, wie eine schöne Melodie der Seele?“

„Es ist Atlas, mein Kind,“ sagte ihre Mutter lächelnd.

„Und die Farbe?“

„Weiß!“

„Weiß!“ wiederholte sie sinnend. „Ihr nennt das die Farbe ohne Farbe. Wie wunderbar das sein muß, wie entsetzlich! Eine Farbe ohne Farbe! Ah, mir schaudert, wenn ich denke, daß ich die jetzt auch kennen lernen soll!“

„Dir schaudert?“ fragte Frau von Paradies lächelnd. „Freuen solltest Du Dich, diese schöne Gotteswelt mit all’ ihrer Herrlichkeit und ihren Wundern kennen zu lernen!“

„Freuen!“ sagte sie kopfschüttelnd. „Wie kann ich das? Ich werde in eine neue Welt treten, in eine Welt, die mich entsetzen wird mit ihrem fremdartigen und unerhörten Wesen. Jetzt kenne ich Euch Alle mit meiner Seele, jetzt leuchten Eure Angesichter in wunderbarer Herrlichkeit in meinem Herzen, aber wenn ich Euch sehe, werdet Ihr mir fremd sein, und nur an Euren Stimmen werde ich Euch wiedererkennen können, nur an dem Ton Eurer Seele! Ach Mutter, Mutter! Warum wollt Ihr mir meine Blindheit nehmen? Sie war so voll seligen Schauens! Ich war so glücklich in ihr!“

„Thörichtes Kind,“ sagte ihre Mutter, „Du wirst noch viel glücklicher werden, wenn Du sehen kannst. Es ist wirklich kindisch, und albern, um das sich zu ängstigen, was, wenn es sich erfüllt, doch für Dich ein unaussprechliches Glück ist!“

„Und warum nennst Du das albern?“ fragte sie. „Geht nicht die Braut am Tage ihrer Hochzeit auch ihrem Glücke entgegen, und bangt sie nicht vor seligem Weh, und klopft nicht ihr Herz auch zum Zerspringen, und schaudert nicht ihre Seele in süßem Erschrecken? Nun, ich bin heute auch eine Braut, eine Braut des Lichtes, und ich erwarte meinen Bräutigam, den Tag!“

„Aber wer weiß, ob er kommen wird,“ seufzte ihre Mutter.

„Er wird kommen,“ sagte sie zuversichtlich. „Ich habe das gestern gefühlt, als Mesmer die Binde zum ersten Mal seit meiner Kur von meinen Augen nahm. Es war nur einen Moment, aber ich sah etwas wie einen Blitzstrahl, es fuhr mir wie ein schneidendes Schwert durch meine Augen, und ich stürzte besinnungslos zusammen.“

„Thörichtes Kind, es war nur ein Strahl des Tageslichtes, ein erster Blick Deines Bräutigams!“

„Dann werde ich sein volles Anschauen nimmer ertragen können,“ rief Therese bebend. „Aber, sage mir, Mutter, bin ich denn seiner auch werth? Habt Ihr mich schön geputzt, daß mein Bräutigam Freude an mir haben wird?“

„Gewiß, Therese, Du bist geschmückt wie eine Braut, und wie es sich geziemt, an dem Tage, an welchem eine junge Dame zum ersten Mal in die Gesellschaft tritt. Denn wir werden heute große Gesellschaft haben. Ganz Wien möchte dabei sein, wenn die Binde von Deinen Augen genommen wird. Selbst die Kaiserin hat den Besuch eines ihrer Kammerherren ansagen lassen, damit der ihr sogleich vermelden kaun, ob ihr Schützling wirklich sehen kann, und auch die beiden Leibärzte der Kaiserin, die Herren van Swieten und von Störk werden kommen, das Unerhörte zu schauen, und Fürstinnen und Fürsten, Gräfinnen und Grafen, Minister und Generale werden in Menge da sein. Gewiß, es ist für Dich ein Ehrentag, und deshalb habe ich Dich festlich geschmückt.“

„Ist auch mein Haar recht schön frisirt?“ fragte Therese, indem sie ihre beiden Hände erhob und sie prüfend über ihren hohen Kopfputz hingleiten ließ.

„Gewiß, wir haben Deine Lieblingsfrisur genommen, à la Matignon, und die Pepi hat einen wahren Wunderbau gemacht, die Frisur ist fast drei Viertel Elle hoch, und oben darauf schwebt eine ungeheuere Puffhaube mit langen himmelblauen Flatterbändern.“

„Ja, es ist wirklich sehr hoch, ich kann das Ende mit meinen Händen nicht erreichen,“ rief Therese lächelnd. „Ach, es muß wundervoll aussehen. Aber ich will Dich noch etwas fragen,“ fuhr sie dann ernsthaft fort, und ich bitte und beschwöre Dich, antworte mir die Wahrheit! Versprich mir, daß Du es thun willst.“

„Ich verspreche es Dir!“

„Nun dann, so sage mir, wie ist mein Aussehen? Bin ich so, daß ich den Menschen gefallen kann? Bis jetzt sind die Menschen gut und freundlich mit mir gewesen, weil sie Mitleid mit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_298.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2019)