Seite:Die Gartenlaube (1856) 322.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

in ihren Ansichten sonst die Menschen sind, hierin werden diejenigen, welche Wein trinken können und denen der Genuß desselben nicht durch Propheten oder Nichtpropheten verboten ist, gewiß Alle mit einander übereinstimmen. Man glaubt zwar, daß sich im Laufe dieses Jahrhunderts das Bier zu einem gefährlichen Nebenbuhler des Weines erhoben habe, und allerdings ist der Wein an manchen Orten durch das Bier fast ganz verdrängt worden. Zwischen Wein und Bier ist aber kein Vergleich möglich; denn jedes Getränk besitzt seine besonderen ihm eigenthümlichen Vorzüge. Der Wein zeichnet sich durch seinen Wohlgeruch, seinen erwärmenden Wohlgeschmack, seine belebenden, erfrischenden Wirkungen aus; das Bier dagegen gehört mit seinen Nahrungsstoffen mehr zu den wirklich ernährend wirkenden Getränken, obschon sein Nahrungswerth gewöhnlich sehr überschätzt wird. Das Bier kann daher nicht den Wein und der Wein nicht das Bier ersetzen. Dem Ruhme des Weines haben ganz andere Verhältnisse geschadet; nämlich eines Theiles die vielen Mantschereien, die zu allen Zeiten mit dem Weine vorgenommen wurden und als „Weinfälschung oder Weinschmiererei“ bezeichnet werden, andern Theils die Angewöhnung der Menschen, auch die aus den schlechtesten Trauben bereitete saure Brühe „Wein“ zu nennen. Wir müssen daher wohl unterscheiden zwischen dem edlen Weine, der dieses Namens würdig ist, zwischen Weinbrühe oder zu saurem Weine, den man scherzweise auch „Getränk sieht aus wie Wein“ genannt hat und zwischen dem verfälschten Weine, dem Stoffe zugemischt worden sind, die nicht in den Wein gehören und nie im edlen Weine gefunden werden. Ein verfälschter oder schlechter Wein vermag die gewünschte Fröhlichkeit nicht in uns zu erwecken, sondern versetzt uns im Gegentheil in einen höchst unbehaglichen Zustand von Kopfschmerz, Uebelkeit, Schläfrigkeit u. s. w.; er macht uns auch bei mäßigem Genusse sogenannten Katzenjammer.

Würde nur guter Wein zu billigerem Preise geschenkt – wir werden sehen, daß dies möglich ist – so könnten sich täglich Millionen von Menschen durch ein oder mehrere Gläser dieses köstlichen Trunkes erquicken, die jetzt theils freiwillig, theils gezwungen auf den Weingenuß verzichten; freiwillig, weil sie sich vor dem verfälschten Weine scheuen; gezwungen, weil ihnen die Mittel zur Beschaffung desselben fehlen.

Die Furcht vor schlechten oder verfälschten Weinen ist zur Zeit durchaus nicht grundlos; denn das Gewerbe der Weinschmiererei und Weinfälschung ist im besten Schwunge und scheint von Vielen betrieben zu werden; es mag auch sehr einträglich und bequem sein, und leider giebt es genug Menschen, denen kein Mittel zu schlecht ist, um sich zu bereichern. Solche Menschen sollte man „Geschöpf sieht aus wie Mensch“ nennen; denn sie sind ihres Namens unwürdig. Wir verdanken der gesprächigen Fama, welche zwar manche Lüge, aber auch ebenso manche Wahrheit verbreitet, viele interessante, wahre Erzählungen aus den düstern Kellerräumen, in welche man gewöhnlich kein uneingeweihtes Auge blicken läßt. Wir hören mit Erstaunen, wie aus dem schlechtesten Weine, aus Aepfelsaft und anderen mehr oder weniger reinlichen Flüssigkeiten, die edelsten Weine mit kunstvoller Hand fabricirt werden, und auffallend genug ist es, daß in die großen berühmten Weinkeller, aus welchen stets nur „gute, edle, reine Weine“ herauskommen, doch so manches Faß, voll der schlechtesten Brühe, wandert. Was wird aber aus solcher Flüssigkeit? – Die Antwort liegt auf der Hand.

Mit Hülfe wissenschaftlicher Forschungen sind schon viele Betrügereien entdeckt und öffentlich gebrandmarkt worden; denn eine Hauptaufgabe der gesunden Wissenschaft und wohl die schönste ist: in allgemein verständlicher Weise das Richtige und Wahre, gegenüber dem Unrichtigen und Falschen hervorzuheben und namentlich den hemmenden Vorurtheilen und nachtheiligen Sitten oder Gebräuchen der Menschen belehrend und rathend entgegen zu wirken, oder die Menschen vor Betrug und Charlatanerie zu warnen und zu schützen. Der Gelehrte, der seine Aufgabe als Glied der menschlichen Gesellschaft richtig erkannt hat, wird seine Forschungen und Kenntnisse niemals gleich einem todten Kapitale liegen lassen, sondern das Resultat derselben allen Schichten der Gesellschaft in entsprechender Weise mitzutheilen suchen, damit Alle einen Nutzen davon haben. Denn eben so gut als der Gelehrte von den Anstrengungen so vieler Menschen Nutzen zieht, durch dieselben sogar erhalten wird, muß auch er nach Kräften dazu beizutragen suchen, seinen Mitmenschen das Leben zu erleichtern. Wäre das früher schon geschehen, wie es jetzt in so erfreulicher Weise geschieht, so hätte viel Unfug und Unglück vermieden werden können. Die schlimmste Folge jener früheren Abtrennung des Gelehrtenstandes ist: eine jetzt noch deutlich erkennbare Abneigung, ja selbst ein gewisses Mißtrauen des Publikums gegen die Mittheilungen desselben. Es ist nicht schwer, hiefür Beweise zu liefern. Wäre es z. B. möglich, daß die vielen Charlatane, die mit der Macht prahlerischer, unaufhörlicher Zeitungsanzeigen wohl bekannt sind, die ungeheuren Geldsummen zur Ankündigung ihrer Geheimmittel aufzubringen vermöchten, wenn es nicht Tausende von Menschen geben würde, die sich verleiten lassen, dieselben zu kaufen? Und doch ist von den berühmtesten, kenntnißreichsten Gelehrten schon längst ein Kampf gegen solche Mittel erhoben worden, und zwar in Schriften oder Zeitungen, die Allen zugänglich sind. Allein das Publikum ist noch zu wenig daran gewöhnt, von Seiten der Gelehrten, die früher die Rolle der Pharisäer spielten, Aufschluß zu erhalten, und schenkt daher ihren Warnungen kein Gehör. Es ist deshalb wohl nicht überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, daß sich jetzt die Verhältnisse geändert haben und immer mehr ändern werden; daß die Gelehrten jetzt mit für das allgemeine Wohl arbeiten, und daher wohl darauf Anspruch machen dürfen, daß ihren allerdings einfachen aber wahren Mittheilungen von Seiten des Publikums mehr Vertrauen geschenkt werde, als den vielversprechenden, aber meist unwahren Zeitungsanzeigen. Ich konnte diese Gedanken um so weniger unterdrücken, da auch bei der Betrachtung des Weines und seiner Verfälschung ähnliche Verhältnisse zum Vorschein kommen; und unwillkürlich drängt sich mir noch die Frage auf: wann wird endlich die dem menschlichen Verstande entsprechendere Zeit kommen, wo Sprichwörter, wie „die Welt will betrogen sein“ – „Kleppern gehört zum Handwerk“, aufhören, uns eine ironische Wahrheit zu verkünden?

Ein gedrängtes Bild über den Wein und seine Bestandtheile, mit besonderer Berücksichtigung des Weinveredelungsstreites und des Werthes der Weinveredelung, ist vielleicht manchen Lesern der Gartenlaube erwünscht und soll, wie ich hoffe, dazu beitragen, einige unrichtige Vorstellungen und allgemeine Vorurtheile zu beseitigen.


I.
Die Weintraube und ihr Saft.

Die Weintraube ist die Frucht des Weinstocks oder der Weinrebe (Vitia vinifera), deren Aussehen uns Schouw (die Erde, die Pflanzen und der Mensch, S. 182) mit folgenden treffenden Worten schildert: „Die Pflanze kennen wir Alle; wir erinnern uns des krummen unebenen Stammes, der geschlungenen Zweige, der schönen 3–5lappigen Blätter, der Ranken (dies sind Blumenstiele, auf welchen die Blüthen nicht entwickelt sind), der unansehnlichen grünen Blumen und der schönen Trauben.“ Als ursprüngliches Vaterland des Weinstocks glaubt man Mingrelien, Georgien und die angrenzenden Länder bezeichnen zu können, da er in den dortigen Wäldern überall wild wachsend gefunden wird. Die Kultur des Weinstocks ist uralt und wird bis auf das Zeitalter von Noah zurückverlegt. Dieselbe dehnte sich ganz allmälig über die wärmeren Länder der gemäßigten Zonen aus und gelangte im dritten Jahrhundert auch nach Deutschland, wo der Kaiser Probus am Rhein und in Ungarn die ersten Weinberge durch seine Soldaten anlegen ließ. Erst viel später wurde der Weinstock dann durch die Europäer nach Madeira, Teneriffa, dem Kap der guten Hoffnung, nach dem Innern von Nordamerika, z. B. Vevais am Ohio, nach dem gemäßigten Südamerika, nach Neu-Südwales in Neu-Holland u. s. w. verpflanzt. In China und Japan ist der Weinbau alt, aber unbedeutend. Die Grenze des Weinbaues liegt auf der nördlichen Halbkugel zwischen dem 51. und 52. Grad (in Nordamerika nur zwischen dem 38. und 40. Grade); auf der südlichen Halbkugel im 40. Grade (Chili). Die Erhebung des Weinbaues über der Meeresfläche ist in den verschiedenen Ländern sehr verschieden. In Würtemberg z. B. nicht über 1000, in der nördlichen Schweiz nicht bis 2000, in der südlichen Schweiz 2000, in Sicilien 3000 und im Himalayagebirge 10,000 Fuß über dem Meeresspiegel. Durch die Verschiedenheit des Erdbodens, des Klima’s, der Behandlungsweise etc. sind aus der ursprünglichen Weinpflanze viele Hunderte verschiedener Arten und Varietäten entstanden, wie dies in ähnlicher Weise auch bei den Aepfeln, Birnen und anderen Obstarten zu bemerken ist. Manche Arten der Rebe sind an einen ganz bestimmten Erdboden gebunden, gedeihen nur in einem gewissen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_322.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)