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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

erlegt. Den letztern Vogel schenkte ich dem Knaben, der darüber höchlich erfreut war. Da ich keine Lust hatte, schon jetzt zurückzukehren, so schickte ich meinen Begleiter mit der Beute heim, nachdem ich mir meinen ferneren Weg von ihm genau hatte beschreiben lassen.

Allein geblieben warf ich mich nieder, um auf den Kräutern, welche den Boden bedeckten, zu ruhen, und hier würde ich in den wachen Träumen, welche unter dem blauen Himmel Indiens bei dem Nahen der kühlen Abendlüfte, die gleichsam nur athmen, nicht wehen, eine der schönsten Erholungen bilden, vielleicht ruhig gelegen haben, bis es Zeit war, zu meinem Zelte zurückzukehren, hätte mich nicht das schrille Geschrei eines Pfaues geweckt, der, sich träg hinter mir erhebend, seine Bahn kaum zwei Fuß hoch über dem Boden nach den jenseitigen Wäldern verfolgte.

„Soll ich die Goldader zu gewinnen suchen,“ dachte ich, „oder den weisen Vogel, der sie meidet?“

Ich erinnerte mich nämlich des unter den Hindu’s herrschenden Aberglaubens, wonach der Pfau einen so großen Abscheu vor dem Golde hat, daß er, sobald er dessen Gegenwart merkt, trotz der Abneigung, seine schwerfälligen Schwingen zu brauchen, über die Stellen fliegt, unter denen eine Ader des verderblichen Metalls verborgen liegt. Auch gedachte ich des wahrscheinlicheren Glaubens, daß wo Pfauen sich aufhalten auch Tiger nicht fern sind. Aber ich hatte noch nie Pfauen geschossen und da das Gelüst des Jägers die Habsucht sowohl als die vorsichtige Klugheit überwand, so raffte ich mich aus der angenehmen Ruhe empor und befand mich bereits tief in dem Labyrinth eines, wenn auch nicht dichten Waldes, ehe ich noch merkte, daß dies gerade der Punkt war, den mein kleiner Führer am Eifrigsten vermieden hatte.

Zweimal hatte ich den prachtvollen Vogel aufgetrieben und zweimal vergeblich geschossen. Jetzt überschritt ich einen schmalen „Dongur“ oder Graben, über den er gegangen war und durch welchen eine Quelle rieselte; da wurden meine Blicke plötzlich auf gewisse Spuren in dem sandigen Boden aufmerksam, die unverkennbar die Nähe einer Tschite verriethen. Da ich wußte, daß der Leopard und der Panther am Liebsten tiefe Thalgründe bewohnen und ihr Lager an solchen kühlen Orten aufschlagen, welche Wasser und Schatten zugleich gewähren, so beschloß ich, sogleich umzukehren. Aber noch war ich nicht vierzig Schritt weit gekommen, als ein lautes Gebrüll vor mir eine nahe Gefahr deutlich genug anzeigte. Unfern von mir, fast in derselben Richtung, in der ich gekommen, sah ich zwei feurige Kugeln, die Augen des am Boden lauernden Unthieres, durch die Akazienzweige leuchten und hörte, wie es mit dem Schweife die Erde peitschte. Es mahnte mich, an meine Vertheidigung zu denken.

So viel ich’s berechnen konnte, befand sich das Thier zwei Schritte weit von mir. Mein Gewehr war geladen, aber nicht mit Kugeln; zu meiner Rechten befand sich ein freier Raum, der nach einigen einzeln stehenden Kavis oder Holzäpfelbäumen führte; zwischen diesen Bäumen und mir schien der Boden neuerdings mehrere Schritt weit aufgewühlt zu sein, denn hier und da war er gelockert, vom Rasen entkleidet, welcher umherlag, während darüber Zweige und Aeste verstreut waren. Ein Blick reichte hin, mich zu überzeugen, daß der Stamm des nächsten Baumes, der zugleich der stärkste war, mein Vertheidigungspunkt sein müsse, obgleich ich beinahe daran verzweifelte, ihn zu erreichen, ehe die Tschite ihren Angriff machte. Schnell that ich, statt rückwärts zu gehen, plötzlich einen Sprung zur Rechten und erreichte im nächsten Augenblicke die gewünschte Stelle, gerieth aber dabei in eine andere unerwartete Gefahr. Während mein Fuß nämlich einen Augenblick den zwischenliegenden Boden berührte, fühlte ich, daß der mit Laub und Zweigen übersäete Grund unter mir nachgab und ward inne, daß sich ein Loch oder eine Kluft unter mir befand. Es war eine Fallgrube, in welcher die Bewohner jener Gegenden die gefährlichen Thiere fangen, von denen eins mich als gute Beute ausersehen zu haben schien.

Denn kaum hatte ich den Sprung zur Seite gethan, so war die Tschite mir nachgesprungen und war nur noch einen Fuß breit von mir. Aber es hatte die Fallgrube nicht bemerkt oder ihre Breite nicht genau berechnet, denn sobald es den trügerischen Ueberbau mit seinem schweren Körper berührte, wich derselbe unter ihm und das wüthende Thier sank mit dem Hintertheil des Körpers in die Grube, hielt sich aber mit den Krallen der Vorderfüße am Rande fest, so nahe bei mir, daß mir sein heißer, stinkender Athem in’s Gesicht schlug. Entsetzen erfaßte mich und doch mußte ich, wie in seltsamer Bezauberung befangen, auf die gewaltige aber schreckliche Gestalt des raubgierigen Thieres blicken, das selbst von Furcht und Wuth wechselsweise erfüllt, seine rothen, gierigen Augen fest auf mich gerichtet hielt, während aus seinem weitgeöffneten und mit Schaum bedeckten Rachen der schreckliche Mißklang seiner Stimme ertönte. Dabei bemerkte ich mit wachsendem Entsetzen, daß es sein Hintertheil immer mehr aus der Grube erhob, so daß ich fast den Augenblick vorausberechnen konnte, wo es sich vollkommen befreit haben würde.

Mit einer letzten Anstrengung aller meiner Kräfte erhob ich meine Vogelflinte, zielte dem Thiere auf die Augen und drückte los. Die Tschite stürzte mit gräulichem Geheul in die Grube und ich sank, voll heißen Dankgefühles für meine Errettung, auf den Boden, unfähig, mich länger aufrecht erhalten zu können.

Aber zum Verzug war keine Zeit. Der Abend näherte sich und die Schatten verlängerten sich bereits riesenhaft. Ich war schon so tief in’s Gehölz eingedrungen, daß ich nicht sicher war, ob ich den Weg wieder herausfinden würde; doch ging ich vorwärts bis ich fand, daß ich mich nur immer tiefer verirrte.

Ich stand still, um zu überlegen. Die Sonne ging unter und ihr goldenes Licht, das gleich einer Schaar strahlender Geister auf die grünen Zweige fiel, erinnerte mich, daß ich von West nach Ost gekommen war und also nun meinen Lauf dem sinkenden Tagesgestirn entgegen nehmen müsse. Aber das Dickicht ward immer wilder, die Bäume standen dichter und auf dem Wege, den ich eingeschlagen, befanden sich zahllose Gruben und Klüfte. Meine Lage wurde in der That sehr unbehaglich. Als ich um mich sah, stand ich vor dem Eingang einer Art von Höhle, aber die Besorgniß, es möchte das Lager der Tschite oder ihres Genossen sein, bewog mich, nicht einzutreten, sondern einen kleinen Erdhügel zu ersteigen, der, bedeckt mit Moos und Schlingpflanzen, die Decke dieser Höhle bildete, wie ich sofort entdeckte. Während ich nun auf Händen und Füßen emporkletterte – denn der Abhang war, wenn auch sanft, doch schlüpfrig – vernahm ich in meiner Nähe den dumpfen Klang menschlicher Stimmen und kaum hatte ich still gehalten, um zu lauschen, als der Boden unter mir nachgab und ich, in lächerlicher Nachahmung meines letzten Feindes, zwar unverletzt, aber doch sehr erschrocken unter eine Gesellschaft hinab fiel, die sicherlich noch erschrockener als ich war, denn Geschrei, Ausrufungen und Flüche schallten um mich her.

„Baugh! Baugh! Es ist ein Tiger!“ rief der Eine.

„Afrit! Ghowl! Pischesch! Ein Kobold! Ein Gespenst! Ein Teufel!“ riefen Andere.

Als ich endlich zu mir selbst kam und meine unbeschädigten Glieder und mein Gewehr wieder aufraffte, sah ich mich mitten in einer unterirdischen Hütte, deren Bewohner ein alter Mann, ein Weib und ein Knabe waren. Alle drei waren augenscheinlich an einem großen Feuer beschäftigt gewesen, über welchem sich die einfachen Geräthschaften befanden, welche die Eingebornen zur Destillation geschmuggelten Araks anzuwenden pflegen. Wirklich war es der geheime Schlupfwinkel eines Culel oder Destillateurs geistiger Getränke.

Mit wenigen Worten erklärte ich das ganze Ereigniß – das Abenteuer mit der Tschite – und meinen Wunsch, Demjenigen ein Bakschisch (Trinkgeld) zu geben, der mich auf den richtigen Weg bringen würde.

Die armen Leute freuten sich herzlich, als sie vernahmen, daß die Tschite gefangen sei und versicherten mir, dieselbe könne unmöglich aus der Grube entkommen, ihr Männchen sei aber einige Wochen zuvor getödtet worden. Sie baten mich, das Geheimniß ihres Schlupfwinkels zu bewahren und wiesen den Knaben an, mich auf den rechten Weg zu bringen, von dem ich bedeutend abgekommen war.

So verließ ich sie; allein die Schrecken der Nacht waren noch nicht vorüber.

Es war nun vollkommen finster geworden. Die plötzlich eintretende und fast ebenso schnell verschwindende als entstehende Dämmerung war vorübergegangen, während ich in der Hütte verweilte, welche sich, wie ich bemerkte, hart an der Grenze der Ebene befand, unter den letzten Gebüschen der Waldung verborgen. Wir hatten noch nicht eine von den sechs Meilen zurückgelegt, die ich, wie man mir sagte, zu wandern hätte, als mein

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