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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Drei Frauenbilder in Bayreuth.
2. Das preußische Familiengespenst.

Die weiße Frau.

Im neuen Schlosse in Bayreuth hängt ihr Portrait, ein zweites in der Eremitage. Das neue Schloß ist eine Schöpfung des Markgrafen Friedrich und seiner Gemahlin, der berühmten Markgräfin, aber sie erlebten Beide die Vollendung desselben nicht. Mit ihnen ging die Glanzperiode Bayreuths zu Grabe und schon 1769 starb die Linie aus, und Bayreuth hörte auf eine Residenzstadt zu sein.

Die Schlösser solcher ehemaliger Residenzen, in welchen regierende Fürstengeschlechter ausgestorben sind, haben stets etwas Unheimliches, und in allen solchen Städten trägt sich das Volk mit Spukgeschichten, die sich in solchen Schlössern ereignet haben sollen. Es gibt da stereotype Gespenster, die ein sehr zähes Leben haben, und die „weiße Frau“ ist ein sehr bequemes, das fast in allen deutschen Fürstenschlössern, ja sogar in außerdeutschen eingebürgert ist.

Soll sie doch sogar in dem nahen Orte Himmelkron, ehemaligem Kloster, dann Lustschloß und Erbbegräbniß des bayreuther Markgrafengeschlechts, begraben liegen. Hinsichtlich der Volkssagen, die seit vier oder fünf Jahrhunderten über sie im Schwange sind, können wir uns kurz fassen.

Die allgemeine Sage ist, daß das Gespenst „die weiße Frau“ sich vor Todesfällen in den betreffenden Fürstenfamilien an den Höfen und in den Residenzschlössern dieser Familien zu zeigen pflege und von dem langen weißen Gewande und dem weißen Schleier, in welche sie gehüllt sei, den Namen erhalten habe. Man behauptet aber auch sie sei erschienen, ohne daß bald nachher ein fürstliches Haupt zu Grabe gegangen, und viele fürstliche Personen in den Fürstenhäusern, in welchen sich das Gespenst vorzugsweise heimisch gemacht, seien Todes verblichen, ohne daß die Weiße Frau vorher von einem menschlichen Auge erblickt worden sei.

Die Orte ihrer prophetischen Wirksamkeit sind zumeist die Höfe des hohenzollernschen Fürstengeschlechts, und in Berlin ist sie sogar in neuerer Zeit wieder Mode geworden, und da die meisten deutschen Höfe mit dem brandenburger Hause verwandt sind, so hat sie sich allmälig bei denselben auch eingefunden; außerdem besucht sie die Königsschlösser in London, Kopenhagen und Stockholm und erlaubt sich überall unziemliche Vertraulichkeiten. In den drei letzten Städten mögen ihr Lokalsagen zu Hülfe kommen, und sie mag Gegenstand mancher Verwechselungen und falscher Deutungen sein. Ein Geschichtsforscher, der ihr Schritt vor Schritt nachgehen wollte, würde interessante Studien über die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_429.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2022)