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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Schauspiel gesehen zu haben. Viele Tausende dieser kleinen lieblichen Dinger hatten sich vollkommen entwickelt, und spritzten von ihren festen Sitzen im Wasser umher, ihre lilienweißen Köpfe so weit niederbiegend, bis sie ziemlich flach auf dem Blatte lagen, um sie plötzlich wieder aufzuheben, und mit jedem einzelnen Tentakel zwickernd, ohne Zweifel um seinen spärlichen Raub zu fangen. Diese unsichtbaren Partikelchen des Lebens, Infusorien, an welchen das Wasser so reich ist und von welchen die kleinen Kreaturen leben, dieses ausgezeichnete Pflanzenthier ist das Cyclorum papillosum. Man findet es in Menge an den Seegewächsen, ein wenig über dem niederen Wasserstande, aber nur wenige, welche den Strand besuchen, sehen es, weil sie nicht wissen, daß der rauhe schmutzige Ueberzug, welcher das Seegras bedeckt, der Garten ist, aus welchem durch die Berührung der Fee des Meereswassers die delikatesten Lebensblumen hervorschießen. Ich zählte 38 dieser kleinen Thiere auf einem Fleckchen nicht größer als mein Fingernagel. Man kann deren Gestalt ohne Lupe sehen, aber nicht die Einzelnheiten, welche ich eben angeführt habe. Da ich nicht gern lateinische Namen, wo deutsche angewandt werden können, führe, will ich sie von jetzt an Weingläser nennen, denn sie sind den glockenförmigen Weingläsern sehr ähnlich, wenn sie mit ihren schönen glasigen Tentakeln aufrecht an ihrem leichten Stengel stehen.

Ich ward von Herrn D. zurückgerufen, um in sein Glas, in welches er einen neuen Gegenstand gestellt hatte, zu sehen. Es war dies eine Gruppe von Enten- und Schüsselmuscheln (Balanus cranchii), alle damit beschäftigt, ihre großen, braunen, handförmigen Netze, mit welchen sie ihr Abendbrot fangen wollten, auszuwerfen. Obgleich sehr unterhaltend, war es für uns nichts Neues mehr, und ich konnte mich dabei nicht aufhalten, da ich eben eine andere Art Zoophyten entdeckte, welche dem Stein, wo sie sich niedergelassen, ein Busenstreifen ähnliches Aussehen gaben. Auf der einen Seite war ein kleiner, bernsteinfarbiger Berg, dicht mit gleichmäßigen Zellen besetzt, einer Honigscheibe ähnlich. Von jeder sprangen bernsteingelbe Tentakeln hervor, ungefähr wie meine Lieblings-„Weingläser“ geformt. Auch bemerkte ich eine Art der Sertularia, welche wie ein Wald kleiner kompakter Zellen in zwei gegenüberliegenden Reihen dastanden. Einige der Hauptzweige waren über einen Zoll groß, von welchen mehrere auf jeder Seite mit kleineren Zweigen regelmäßig abwechselten. Die ganze Pflanze sah aus wie ein Baum. Von jeder dieser Zellen des oberen Theiles der Seitenzweige ragten kleine blasige Sterne hervor, wie kleine Jasminblüthen, nur ganz durchscheinend und glänzend.

An vielen Theilen des Steines erhoben sich einzelne Röhren, von welchen weiße Sterne an der Spitze, mit den vorhergehenden ziemlich ähnlich, hervorstanden; aber das Lieblichste und Ueberraschendste war eine Menge von schneeweißen Zickzackstämmen und Zweigen, welche so leicht waren, daß sie beständig fibrirten, und an jeder Spitze eisige Quasten erscheinen ließen, welche, wenn sie sich bogen, schimmerten und glänzten und mit ihren Diamantspitzen im Wasser zitterten. Der Stein sah aus wie ein Blumengarten, und dieser wiederum wie ein Beet voll weißer Astern und war von einer gläsernen Durchsichtigkeit. Das hübsche Gewächs war die Laomedia geniculata. Eine Schnecke, mit lauter einförmigen Blumen besetzt, lang und röhrenförmig, wie der Stengel einer blühenden Lilie, milchweis und undurchsichtig, entdeckte ich außerdem im Glase. Sie erhoben sich zuerst in kleinen, weißen, runden Klümpchen, dehnten sich später nach und nach aus, bis die Lilienstengel mit fünf bis acht zartgeformten Blumenblättern besetzt erschienen. Diese Schnecke war der Wohnplatz einer kleinen Eremitenkrabbe (Pagurus Bernhardus). Diese große runde Schnecke war auf jedem Theile ihrer Oberfläche mit einer Masse von hübschen Zoophyten (Hydractinia echinata) besetzt, welche, als die Krabbe darüber kletterte, wie ein Kopf voll weißer Haare wogten. Einige dieser Geschöpfe waren einen vollen Viertelzoll lang, und standen so dicht wie Haare, so daß sie der Schnecke ein mit weißem Pelz überzogenes Ansehen gaben.

Fräulein A. brachte jetzt eine große auf einem Drahtgestell stehende, mit Wasser angefüllte Glaskugel, in welcher die am Morgen gefangenen Meduse herumschwammen. Aber das Wasser war ganz trübe. Es sah ungereinigtem Kalbfuß-Gelée ähnlich, deshalb konnten wir das Geschöpf nicht eher in Augenschein nehmen, bis Herr D. das unreine Wasser mit reinem vertauscht hatte. Obgleich ganz klar, wurde es doch bald durch die fortwährenden Ausschwitzungen der Medusen getrübt. Wir hatten jedoch Zeit, die anmuthigen Bewegungen dieses Geschöpfes zu beobachten: den feinen, gefransten Rand, das fortwährende Ausdehnen und Zusammenziehen der Tentakeln, welche öfter einen halben Zoll vom Rand herunterhingen, dann wieder ganz zusammengezogen waren, je nachdem sich der Ring zusammenzog oder ausdehnte, wodurch der ballonartige Körper vorwärts getrieben ward, die gekräuselten und wie mit Falbeln besetzt aussehenden Gehänge, von welchen vier kreuzweise vom Mittelpunkt des untern Schirmtheiles hängen, steigend und fallend, so daß sie einen Augenblick tief in’s Wasser hingen, und den andern gänzlich unsichtbar wurden.

„Folgt mir jetzt,“ sagte Herr D., indem er das Glas nahm und nach der Thüre zu ging. Er führte uns Alle in eine kellerartige Stube, ein einziges Licht mitnehmend. Daselbst angelangt, rief er mit seiner tiefen Baßstimme: „Nun löscht das Licht aus, denn wir müssen totale Finsterniß haben.“

Nachdem dies geschehen, peitschte unser Freund mit einem Gebund Zweige das Wasser, worin sich die Medusen befanden. Welch’ ein wunderbares Schauspiel! Das Wasser war voll Feuer, jeder Zweig schien von Phosphorglanz erleuchtet, jeder Tropfen Wasser war ein Diamant, und in der Mitte des Wassers glänzten zwei feurige Ringe, die Medusen, in einem Gewand von glänzendem Licht, kleine Sonnen von Glanz und Glorie. Als Herr D., angetrieben durch den Beifall der Zuschauer, das Wasser immer heftiger schlug, wurde das seltsame Feuerwerk im Wasser noch schöner. Die Wassertropfen, welche er in seinem Eifer über den Rand an den Boden spritzte, glänzten wie Johanniswürmchen, und Blitze des Lichtes flogen nach allen Seiten umher.

„Seht Ihr,“ sagte er endlich, „hier haben wir den Schlüssel zu den geheimnißvollen Erscheinungen, welche die Seeleute und Andere so oft in Verlegenheit und Furcht gebracht haben. Ich meine die phosphorischen Lichter, welche zu gewissen Zeiten die Wogen des Meeres erleuchten. Man kann dann die Ruder, so oft sie aus dem Wasser hervorkommen, mit Feuer überzogen sehen. Jeder Tropfen, der niederfällt, erscheint wie ein Tropfen Feuer. Ich habe sogar ganze, morgengroße Flächen Wassers wie Feuer gesehen und Schiffskiele, welche auf ihrem Wege große feurige Streifen hinter sich zurückließen. Manchmal ist die Oberfläche des Meeres ganz und gar Licht, jede Welle bricht sich zu einem feurigen Kamm. Dieser prachtvolle Effekt entsteht durch die Masse von Zoophyten und vorzüglich Medusen, welche sich in dem Wasser drängen. Unsere Exemplare hier gehören zu den größern, aber es giebt noch Myriaden in dem Meere, nicht größer wie eine Erbse und noch andere, unsichtbar für das unbewaffnete Auge. Wenn sie jedoch phosphorisch leuchten – vielleicht besteht darin ihr Denken und Fühlen, insofern ja auch nach dem berühmten Ausspruch Moleschott’s kein Denken ohne Phosphor möglich sein soll – werden alle die Myriaden unsichtbarer beseelter Stäubchen sichtbar, da sich jedes mit einem wirklichen flammenden Heiligenscheine umgiebt. Jedes Stäubchen wird dann eine Sonne, strahlend und leuchtend aus eigner, innerer Lebens- und Gedankenfülle. Diese Sonnen der Tiefe leuchten in ein Leben hinab, von welchem wir bis jetzt blos Randbemerkungen kennen, auf ein Leben, gegen dessen Fülle, Farben- und Formenreichthum, gegen dessen Schönheiten und Schrecken unser oberflächliches Pflanzen- und Thierleben arm erscheinen würde; sie beleuchten unterseeische Gebirge beinahe eine deutsche Meile hoch oder tief und in unergründliche Tiefen hinab, in welche selbst kein centnerschweres Senkblei an meilenlangen Tauen hinabreicht, auf Meerungeheuer, gegen dessen scheußliche Gestaltung und Grausamkeit unsere grimmigsten Raubthiere zu Lämmern werden, auf riesige Pflanzenthiere, wie tausendjährige Eichen groß, aus deren tödtlichen Umarmungen, Saug- und Schlingapparaten sich der stärkste Mann nicht loswinden kann. Ein Matrose, der im indischen Oceane von einem solchen Raubpflanzenthier gepackt ward, rettete sich blos dadurch, daß er die von dem Ungeheuer umklammerten Glieder eins nach dem andern aus dessen lebendigen, gierigen Zweigen loshieb. Das ist entsetzlich! Aber die Natur fragt nicht danach, was uns entsetzlich erscheinen mag. Sie schafft und verschlingt in unerschöpflicher Energie und Fülle ununterbrochen das Herrlichste und Häßlichste, selbst mitten in Tod und Zerstörung neues Leben, neue Lust und Qual des Entsetzens, des Bestehens und Vergehens. Wir kennen ihre Gesetze, ihre Pläne, ihre Aesthetik nicht, wir suchen blos darnach und sind glücklich, wenn wir einmal ihre tiefsten Geheimnisse ahnen. Weil wir noch nicht in ihr inneres Wesen eindringen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_432.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)