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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Er stockte.

„Aber?“ fragte sie kalt.

„Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt. Nicht wahr: –“

Sie unterbrach ihn boshaft: „Richtig, mein Herr, so sagt Schiller.“

Er fuhr ruhig fort: „Nicht wahr, mein gnädiges Fräulein, das haben Sie bei Ihrer Ankunft dort wohl aus manchem Munde hören müssen?“

„Ich glaube.“

„Auch mir drängte sich bei Ihrer Ankunft natürlich eine geistreiche Bemerkung auf.“

„Ich zweifle nicht daran, hätte sie noch jetzt Gültigkeit?“

„Gerade jetzt.“

„So sei sie Ihnen gestattet.“

„Aber in der That, ich bemerke, daß Sie mit Ihrer Frage halb Recht hatten. Meine Bemerkung an sich bleibt richtig, Sie haben mich indeß verlegen gemacht, und in dem Munde eines Verlegenen haben auch die geistreichsten Bemerkungen keinen Werth.“

„Zählen Sie auch diese Bemerkung zu den geistreichen? Doch ich bitte.“

„Anzufangen?“

„Ja!“

„Ach, wie man eine Comödie anfängt!“

„So ungefähr.“

„Ich wäre Ihnen nur ein Schauspieler?“

„Mein Herr, führen Sie bei uns kein Schauspiel auf?“

Die Frau des Assessors erbleichte plötzlich. Der Assessor blieb völlig unbefangen.

„Mein Fräulein, wer in dieser ganzen respektablen Gesellschaft wäre nicht Schauspieler?“

„Ei, mein Herr, die geistreiche Bemerkung, die ich noch bei Ihnen zu Gute habe, muß eine ganz besonders geistreiche sein, da Sie allen Geist für etwas Anderes bei Ihnen absorbirt zu haben scheint. Darf ich endlich darum bitten?“

„Sie haben zu befehlen, meine Gnädige. Es handelte sich nur um eine Uebersetzung. Sie kennen doch das politische Sprichwort der Franzosen: „Le roi est mort, vive le roi!

„Ich kenne es.“

„Sehen Sie dort am Horizont noch gerade den letzten Strahl der scheidenden Sonne?“

„Nun?“

„Mit ihrem Scheiden kamen Sie. Die Königin stirbt, es lebe die Königin.“

„Sie erwarten Dank für die geistreiche Galanterie, mein Herr? Ich danke Ihnen.“

Das Fräulein sprach die Worte mit einem schneidend kalten Hohn. Unmittelbar darauf ging sie voran, der Gesellschaft nach, ohne dem Assessor Zeit zu einer Erwiderung zu lassen.

Die Gesellschaftsspiele wurden fortgesetzt. Die schöne Therese hielt mich fast mit Aengstlichkeit in ihrer Nähe fest. Ich wich mit einer Art von Mitgefühl nicht von ihr. Sie gab sich Mühe munter zu erscheinen. Der Assessor kümmerte sich nicht weiter um sie. Er war ausgelassen lustig den ganzen Abend.

Die Gesellschaft brach auf und nahm den Rückweg nach der Stadt, wie sie gekommen war, die jungen Leute zu Fuße, die ältern in ihren Wagen.

Die schöne Therese hatte Kopfschmerzen bekommen; sie erklärte es wenigstens beim Aufbruche, und sie verband damit die Erklärung, daß sie nicht zu Fuße zurückkehren könne.

„Du würdest aber allein fahren müssen“, sagte ihr der Vater, der an dem schönen Abend eine Fußpromenade vorzog.

Ich stand neben ihr.

„Würden Sie Ihre Dame verlassen?“ fragte sie mich mit einem freundlichen Lächeln und einem heimlichen Winke.

„Nur, wenn meine Dame es mir befiehlt!“

„So geben Sie mir Ihren Arm.“

Der Assessor hatte sie beobachtet. Er lächelte höhnisch.

Ihr Arm zitterte wieder in dem meinigen. Ich führte sie zu ihrem Wagen; wir fuhren in diesem allein nach Hause. Anfangs saß sie still neben mir. Sie starrte in den aufgehenden Mond. Ihr schönes Profil war doppelt schön und reizend in dem feinen, blassen Mondlichte. Sie blickte fortwährend unbeweglich. Auf einmal wurden ihre Augen glänzender in dem blassen Schein. Als ich genauer hinsah, gewahrte ich, daß der Glanz von großen Thränen herrühre, die in den Augen standen.

Sie bemerkte, daß ich sie ansah. Sie wischte die Thränen ab, dann wandte sie sich zu mir.

„Sie haben errathen, warum ich weine?“ fragte sie.

„Wie könnte ich? “ erwiederte ich ihr. Ich hatte in der That nur eine Ahnung.

„Sie haben“, sagte sie bestimmt. „Und es ist gut so. Ich muß einmal mein Herz erleichtern. Mein Vater hat nie Sinn für seine Kinder. Ich habe keine Mutter, keine Schwester, keinen Bruder, keine Freundin. Seien Sie mein Freund, mein Bruder. Sie sind verschwiegen.“ Sie nahm meine Hände. Indem sie sie heftig drückte, fuhr sie leidenschaftlich fort:

„Ja, ich liebe ihn. Sie haben es sehen müssen. Aber nur erst heute Abend haben Sie es bemerkt. Nicht wahr, nur erst heute?“

„Meine Ahnung wurde erst heute bestimmter.“

„Also schon früher? Auch die Andern?“

„Ich glaube nicht!“

„Haben Sie nichts darüber gehört? Hat Niemand darüber gesprochen? “

„Niemand.“

„Gewiß nicht?“

„Ich versichere Sie.“

Sie beruhigte sich.

„Ich war heute schwach“, fuhr sie fort. „Ich weiß selbst nicht wie es kam. Es war mir so sonderbar, gerade heute. Ich fühle mich so unglücklich, so verlassen.“

„Fräulein“, sagte ich –

„Nennen Sie mich Therese, Freundin.“

Sie war sehr aufgeregt. Ich faßte ihre Lage desto prosaischer auf und ich hielt es sogar für meine Pflicht, ihr frei und offen meine prosaische Ansicht über ihre Lage mitzutheilen.

„Meine Freundin“, sagte ich, „der Freund muß Ihnen sagen, daß Sie recht hätten sich unglücklich zu fühlen, wenn auch das Gefühl, das Sie für Liebe halten, wahr wäre.“

„Zweifeln Sie an diesem?“

„Um Ihretwillen!“

„Um meines Unglücks willen?“

„Zum Theil. Zum Theil aber auch –“

Ich stockte; was ich sagen wollte, war verletzend; ich konnte keine Worte dafür finden, die mir milde genug schienen.

„Was wollen Sie sagen?“

„Der Herr von Grauburg ist verheirathet.“

„Und?“

„Und ich muß Ihnen gestehen, daß ich die Ottilie in Goethe’s Wahlverwandtschaften nie für einen ächt weiblichen Charakter habe halten können.“

Ich sah im Mondschein ihr Gesicht blasser werden. Auf einmal wandte Sie mir ihr volles Gesicht zu. Sie sah mit ihren schönen Augen mich durchdringend an.

„Glauben Sie wirklich, daß er verheirathet ist?“

„Aber ich bitte Sie –“

„Ich begreife, daß Sie nicht daran zweifeln, daß Niemand es bezweifelt. Aber das Auge der Liebe sieht scharf. Das ist nicht mein Unglück. Aber er liebt mich nicht. Er hat meine Liebe bemerkt, er hat sie hervorgerufen, künstlich, vorsätzlich, um über sie, über mich zu spotten. Er hat kein Herz. Und ich liebe ihn!“

Ich hatte bisher zu der schönen, stolzen Präsidententochter, die durch ihr stolzes, würdevolles Wesen Jedermann von sich zurückzuhalten wußte, nur mit einer Art von Verehrung hinaufzusehen gewagt. Als sie mich so plötzlich zu ihrem Vertrauten machte, hatte ich zuerst nur Mitleid für sie gefühlt. Ihr letzten Worte schienen mir eine gewöhnliche verliebte und phantastische Närrin zu zeigen. Ich konnte dem Kitzel nicht widerstehen, sie das wenigstens ahnen zu lassen.

„Ich hatte geglaubt“, sagte ich, „er habe nur zuviel Herz, also jedenfalls ein sehr schönes, weiches und empfängliches Herz, und das habe gerade Ihnen gegenüber nicht widerstehen können, habe Ihnen gegenüber –“

Ich mußte mitten in meinem Satze einhalten.

Sie bedeckte laut weinend ihr Gesicht mit ihren Händen. „O Gott“, rief sie. „Stände ich doch wieder allein mit meinem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_479.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)